Kleiner Tod im Großen Garten. Bodo Dringenberg
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»So? Dann schauen Sie mal hier hinein, in unser hochseriöses hannoversches allgemeines Anzeigenblatt. Hier, diese Ausgaben aus dem Januar. Na los, sehen Sie sich das an!«
Verblüfft liest die Beamtin von einem Eisball, der gerade erst in diesem Jahr südlich von Hannover niedergerauscht ist.
»Schon wieder jemand mit himmlischem Einschlag«, murmelt sie. Doch ihr Gegenüber lässt nicht locker:
»Und dann vor zwei Wochen der Klumpen auf Herrenhausen. Mitten im Sommer schmetterte der nachts durch das Dach einer Kleingartenbutze. Morgens war eine stinkende, braune Wasserpfütze unter dem Loch, obwohl es keinen Tropfen geregnet hatte. Muss ich da wirklich noch mehr sagen? Von wegen Mythen, Sagen, Erfindungen, Spinnereien – schlichte Realität ist das, eklig und stinkend, nichts weiter!«
»Ich sehe schon, die Einschläge kommen näher. Aber trotzdem sind das noch keine Beweise für Ihre Annahme.«
»Hören Sie, ich will zur Aufklärung beitragen, und die Belohnung dafür beanspruche ich natürlich auch. Was kann ich dafür, dass es kein Mord oder so was war.«
»Ach ja, ein glitzernder Stern fiel herab wie bei Niki de Saint Phalle. Nun hören Sie mal zu. Es ist einfach hochgradig unwahrscheinlich, dass ein eisiger Klumpen aus dem Himmel fällt und exakt diesem gerade sehr beschäftigten Menschen den Schädel einschlägt. Was Sie mir da weismachen wollen, riecht nach einer beschissenen Story, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.«
Der Kommissar beginnt, seiner vorgesetzten Hauptkommissarin den Stand der Ermittlungen auszubreiten: »Also, ich habe die Informationen über alle in Frage kommenden Flugzeuge eingeholt und überprüft. Resultat: Es wurde keinerlei Eisabgang gemeldet. Aber so etwas kann eventuell unbemerkt passiert sein. Eine Zuordnung der Fäkalspuren zu Passagieren und der Besatzung eines ganz bestimmten Jets zur in Frage kommenden Zeit scheint selbst unseren Experten nicht mehr möglich zu sein. Dafür wäre ein quasi weltweiter Fäkalvergleich erforderlich. Schaurig. Aber da eben wegen des ausspülenden Gewitterregens sowieso nur noch minimale und damit unrepräsentative Reste dieser Ausscheidungen vorhanden sind, würde ein solch delikater Abgleich sowieso nicht zu harten Fakten führen.«
»Keine harte Fakten, das ist in diesem Fall besonders treffend«, ergänzt mit einer leichten Grimasse die Hauptkommissarin. Ungerührt fährt ihr Mitarbeiter fort: »Aber die Zellulosefasern stammen von Toilettenpapier, und die Druckspuren darauf, die bringen uns weiter.«
»Druckspuren, was für Druckspuren?«
»Na ja, das Klopapier heißt ›Morgentau‹, und das steht gedruckt auf den Blättern. Und dieses spezielle Toilettenpapier war bei keinem der von mir untersuchten Flüge an Bord. Hat einen halben Tag Recherche gekostet, aber hat sich doch gelohnt.« Der Ermittler macht eine bedeutungsschwere Pause.
»Da lag unser journalistischer Zeuge aus dem Großen Garten also daneben«, murmelt seine Vorgesetzte.
»Der lag ziemlich daneben, dieser fantasievolle Publizist. Und am Tag des Todes lag auch noch ein umgekipptes Dixi-Klo fast unmittelbar an der Graft. Kollegen haben es gefunden und der Verleihfirma gemeldet – eine ziemlich stinkende Sauerei. Da ich den Laborbericht betreffs der Papierreste bereits gelesen hatte, nahm ich mir einfach mal ein noch unbeflecktes Abwischblättchen aus diesem mobilen Entsorger. Und wie heißt das – ›Morgentau‹! Der Täter oder die Täterin hat sich aus dieser Jauchengrube bedient, warum, das ist noch unklar. Noch etwas: Die Spurensicherung untersucht gerade seitliche Fingerabdrücke am Dixi-Klo, und zwar genau an den Stellen, wo der Umstürzler angepackt haben muss. Mal sehen, ob da jemand dabei ist, den wir kennen.«
Anerkennend nickt die Hauptkommissarin und ordnet mit einem süffisanten Lächeln an:
»So, und nun geben wir mal eine Meldung an die Presse raus. So etwas mit ›angeblicher Eis-Unfall war vom Mörder fingiert‹ oder so ähnlich. Sie deichseln das schon, lieber Kollege, und zwar gleich jetzt, o. k.?«
Ein uniformierter Beamter betritt das Büro der Hauptkommissarin: »Draußen steht wieder dieser große Bärtige von neulich, der will Sie unbedingt sprechen und ist ganz hibbelig.«
»Na gut, gleich rein mit ihm!« Mit langen Schritten betritt der Wohnungslose das Dienstzimmer, wedelt mit der aktuellen Boulevardzeitung und legt gleich los: »Na klar war ich auf dem Klo, dem Dixi-Klo in der Nähe, ich bin doch kein Schwein. Aber ich hab das nicht umgekippt, das können Sie Ihren Leuten ruhig sagen, die da herumsuchen.«
»Die machen das schon richtig, keine Sorge. Sie bleiben hier in Hannover und sagen mir jetzt ganz genau, wo wir Sie derzeit erreichen können. Sie werden uns noch dankbar sein dafür.«
»Zunächst einmal die Fakten, Sie Klugschreiber: Der Politiker ist auf gar keinen Fall von einem eisigen Kotklumpen oder kotigem Eisklumpen erschlagen worden. Die Ausscheidungen stammen aus einem bestimmten Dixi-Klo, und wir haben außen an dessen Seitenwänden Ihre Fingerabdrücke einwandfrei gesichert. Mann, Sie sind nicht so clever, wie Sie glauben. Ihre Lage kann nur noch ein Geständnis verbessern.«
Ungewohnt nervös blickt der Journalist zu dem Uniformierten neben der Tür.
»O. k., o. k. – Ich sah die Blondine weglaufen, war neugierig, ging rüber in die sechste Triangel, bemerkte den Toten und drehte ihn um. Als mir klar wurde, wen die Blondine da erlegt hatte, kam ich auf die Idee, doppelt, wenn nicht gar dreifach von diesem professionellen Existenzvernichter zu profitieren und posthum noch den Ruf dieses Politikmonsters zu ruinieren. Deswegen das alles mit der Fäkalprobe aus Dixieland bis hin zu den realen Jet-Eisklumpen-Storys. Brieftasche, Zeitungshonorare, dazu eventuell Belohnung plus journalistischen Erfolg – es ist genau das, was einem Mann in meiner beschissenen Lage fehlt. Meine Chancen auf einen Posten bei einer Zeitung sind gleich null. Ich bin nicht mehr jung und ich brauch das Geld. Das alles mag Ihnen zynisch vorkommen, aber so denkt eben heutzutage manch abgesägte Existenz.«
»Und deswegen dieser Mord?«
»Nein. Nein. – Jaja, ich gebe ja zu, dass ich mit den Fäkalien aus dem mobilen Klo eine bizarre Spur legen wollte. Und weil der saubere Politiker sein dreckiges Geld sowieso nicht mehr benötigte, erleichterte ich ihn um seine Brieftasche. Da waren gerade mal hundert Euro drin, lächerlich. Aber der Typ war mausetot, als ich in Nummer sechs nachsah, der lag schon auf dem Bauch mit blutigem Schädel. Wenn Sie mich fragen: Ich glaube, der hat sie vergewaltigt. Scheiße, ich wollte eigentlich diese Blondine da rauslassen, lieber diese Eisklumpenvariante groß rausbringen. Warum bin ich bloß so blöd gewesen, mich als Zeuge zu melden. Aber ich brauche die Kohle einfach, verdammt noch mal. Und eines kann ich schwören: Im Boskett nebenan, der Nummer sechs, waren in jener Nacht die ganze Zeit über bloß dieser abartige Politiker und seine blonde Liebhaberin. Nur die kann es gewesen sein – falls er sich nicht selbst von hinten erschlagen hat.«
»Spätestens vor Gericht werden Ihnen solche dummen Scherze vergehen. Ich nehme Sie hiermit fest. Sie werden wegen Diebstahl und Mordverdacht angeklagt werden. Herr Polizeiobermeister, führen Sie den Herrn ab.«
»Den sauberen Journalisten haben wir so weit, dass er Klartext redet. Er hat den Artikel mit der Eisbombe auf einen Herrenhäuser Kleingarten von einem Kollegen, der ihm noch etwas schuldete, faken lassen. Bei den letzten Artikeln im Boulevardblatt hat er als ›Exklusivinformant‹ ebenfalls seine Meinung verobjektiviert, sozusagen. Der Raub und die bräunliche Spurenlegung gehen ebenfalls auf sein Konto. Der wollte partout und aus allen Mordumständen Geld und ein bisschen Erfolg herausschlagen. Ein armes Schwein, aber ein Schwein. Die Fingerabdrücke außen am Dixi-Klo haben ihn endgültig überführt,