Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer. Mady Host

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Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer - Mady Host

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einer Bank am Loire-Ufer und schaue mir die Wolken an, die sich im Wasser spiegeln, und erfreue mich am üppigen Grün an der Uferlinie, an Sandstränden in der Ferne und der endlich wiedererwachten Sonne, welche ihre Strahlen auf mein Gesicht schickt. Die Inseln, die ich immer wieder in diesem Fluss sehe, gefallen mir besonders, sind sie doch Kennzeichen eines Gewässers, das vom lauten vereinnahmenden Schiffsverkehr glücklicherweise verschont bleibt.

      Pause hinter Orléans

      Der Radweg führt unter anderem auf hervorragendem Asphalt auf dem Deich entlang und kurz vor meinem Ziel verläuft er dann abgegrenzt neben einer Landstraße, über die mein kleines familiäres Begleitteam und ich nahezu zeitgleich den Campingplatz erreichen. Die Freude über das Wiedersehen ist groß, wir tauschen unsere Erlebnisse aus, schlemmen gemeinsam, zeigen einander Reisefotos und spielen Boules – ein Hobby, dem meine beiden gern in ihren Campingurlauben nachgehen, vor allem in Frankreich, wo es an jeder Ecke entsprechende Plätze dafür gibt. Vor Einbruch der Dunkelheit baut mein Vater noch einen neuen Fahrradständer an meinen Fidibus. Ein passendes Geschenk, denn mein treuer Drahtesel und ich feiern heute Jubiläum: Eine ganze Woche schon fahren wir an Frankreichs wildem Fluss entlang und haben um die 550 Kilometer zurückgelegt. Es rollt …

      Die Loire von oben in der Nähe von Sully

      In meiner ersten Woche bin ich so freundlich in diesem Land aufgenommen worden, dass ich meine persönliche „Tour de France“ jeden Tag aufs Neue genieße. Immer wieder sprechen mich Menschen an, auch wenn ich sie gar nicht nach dem Weg frage. Wenn sie dann erfahren, wohin meine Reise noch geht, sind sie aus dem Häuschen und bewundern meinen großen Plan, bis nach Rumänien zu radeln. „Sie sind sehr mutig“, ist der meistgehörte Satz bisher, gefolgt von den Top drei Fragen: „Wo kommen Sie her?“, „Wohin wollen Sie?“ und „Haben Sie sich verfahren?“ Offensichtlich wirke ich manchmal etwas verloren, wenn ich – vor allem in Städten und in deren Vororten – nach Wegweisern Ausschau halte. An mancher Schlüsselstelle fehlt mir ein Schild beziehungsweise taucht es erst ein paar Meter später auf, was mich hin und wieder suchen lässt. Aber alles in allem gelingt es mir, die grobe Richtung nach Rumänien zu halten.

      Ja, ich sagte die „grobe Richtung“. Gut eine Woche nach meinem Start verfahre ich mich so gründlich, dass ich mich ziemlich fernab des Weges befinde, aber auch hier gilt: „Schwächen haben ihr Gutes“, denn ich lerne zwei sympathische Frauen kennen. Die Häuser des Dorfes, in dem ich gelandet bin, wirken eher schlicht, manche sogar etwas ärmlich. Die ältere der beiden Frauen hat dünnes Haar und der mangelnde Wohlstand ist ihr an den Zähnen abzulesen. Die jüngere ist kräftiger, trägt ihr blondes Haar kurz, aber modisch und hat zwei Kinder im Schlepptau. Dank der häufigen Herumfragerei ist mein Französisch in der kurzen Reisezeit viel besser geworden, sodass wir ins Plaudern kommen. Die beiden Nachbarinnen sind restlos beeindruckt von meiner Tour und wollen mir beinahe nicht glauben, dass es aus eigener Kraft noch bis nach Rumänien gehen soll. Allein schon die zurückgelegte Distanz vom Startpunkt am Atlantik wirkt auf sie wie eine Unmöglichkeit und das mit so viel Gepäck. Dass ich allabendlich auf Campingplätzen mein Lager aufschlage und mir mein Essen selbst koche, lässt sie dann fast an meiner realen Existenz zweifeln. Es ist schon spannend, wie unterschiedlich Gesprächspartner mein Abenteuer wahrnehmen. Für die radelnde Kollegin aus der Reisebranche bin ich diejenige, mit der es sich austauschen lässt. Im Vergleich zum weltreisenden Totalaussteiger erscheint mein Vorhaben vielleicht als – zugegeben etwas überspitzt formuliert – Sonntagsspaziergang. Aber für die Frauen vor meiner Nase vollbringe ich eine wahre Meisterleistung. Ja, es ist alles Ansichtssache und verändert sich mit der Perspektive und dem Erfahrungsschatz des Gegenübers. Alles in allem zählt natürlich, wie ich selbst auf mich blicke. Weil ich mit Outdoorurlauben groß wurde, bin ich an diese Art des Reisens zwar gewöhnt, empfinde trotzdem Stolz über meine Umsetzung. Es ist meine bisher längste Radlerdistanz und das auch noch allein, zumindest die erste Streckenhälfte betreffend. Dass die Frauen vor meiner Nase mich so loben, steigert diese Empfindung.

      Die Loire in Nevers

      Ich will mich später besser an sie erinnern und packe meine Kamera aus. Währenddessen erzählen sie mir von der Wichtigkeit des Familienzusammenhalts. Die Angehörigen der älteren Frau leben zwar verstreut an unterschiedlichen Orten, aber sie sehen einander regelmäßig, essen dann zusammen und tauschen sich aus. „Das macht mich glücklich“, erzählt mir meine Gesprächspartnerin. Ihre Nachbarin hat sich in der Zwischenzeit umgezogen und nun posieren sie zusammen mit den beiden Kindern vor einem der Häuser für mein Foto. Sie lachen und winken in die Kamera und ich nehme ihnen ab, dass die regelmäßige Aussicht auf Familienbesuch in diesem kleinen abgelegenen Dorf sie immer wieder erfreut.

      Am Abend erreiche ich – ohne weitere Extrarunden – die Stadt Nevers, am Zusammenfluss von Loire und Nièvre rund 260 Kilometer südlich von Paris gelegen. In dieser 36.500-Einwohner-Stadt, deren Altstadtbild von engen Gassen und Bürgerhäusern aus dem 14. bis 17. Jahrhundert geprägt ist, ist heute richtig etwas los. Ich gerate mit meiner Kameraausrüstung mitten in eine Wohltätigkeitssportveranstaltung, bei der Menschen für einen guten Zweck einen Laufwettkampf absolvieren. Ihre Strecke führt sie am „Espace Bernadette Soubirous“, dem Kloster, in dem der Leichnam der heiligen Bernadette Soubirous zu finden ist, vorbei. Die Heilige hatte einst als Mädchen mehrere Marienerscheinungen.

      Bevor ich mich in das Reich der Träume verabschiede, kann ich heute noch mein erstes Radtourenbuch verstauen, denn die Karte „Loire-Radweg“ endet hier in Nevers und wird von „EuroVelo 6 – Frankreich Ost“ abgelöst. Stolz über meine bisher erbrachte Leistung schließe ich die Augen und träume schon von der Region Burgund, dem südlichen Elsass und den Tälern sowie Kanälen, die mich erwarten.

      Ich verlasse Nevers und folge einem unbefestigten, aber sehr gut zu fahrenden Kanalradweg in südöstliche Richtung. Weil ich so zügig vorankomme, rolle ich bis zur Mittagspause durch und bestelle mir beim Universum einen Supermarkt, der am heutigen Sonntag lange genug geöffnet hat und in dem ich mich mit Keksen eindecken kann. Seit einigen Tagen vermute ich verwandtschaftliche Beziehungen zum Krümelmonster, so groß ist mein Heißhunger auf das Gebäck geworden.

      Mein neues Grundnahrungsmittel

      Ziemlich exakt 12:30 Uhr stehe ich vor einem riesigen Markt am Ortseingang von Decize und überfliege schnell die Öffnungszeiten an der Tür: sonntags bis 12:30 Uhr. Eine Mitarbeiterin, die eigentlich gerade die Pforten dicht machen will, mustert mich freundlich. Mein Blick scheint Bände zu sprechen, denn plötzlich unterbricht sie ihre Tätigkeit und bietet an: „Na, los, fünf Minuten! Ihr Radler müsst doch essen …“

      Dankbar schlüpfe ich hinein, kaufe in Windeseile Kekse, einen Joghurtdrink und ein paar frische Sachen aus der Obst- und Gemüsetheke. An der Kasse danke ich ihr und dem Universum und reiße vor der Tür hungrig die Packung meiner Krümelmonsternahrung auf.

      Es geht noch ein Weilchen am Kanal entlang, bis der Weg dann über eine asphaltierte Straße führt, die nahezu verkehrsfrei ist, allerdings habe ich das Gefühl, dass es deutlich häufiger auf als ab geht. Kaum komme ich mal ein kleines Stück zügig rollend voran, tritt schon die nächste Steigung in mein Blickfeld und meine Hand muss in den ersten Gang drehen. Hoffentlich reicht die Keksenergie, denn ich stecke mitten in einer Einhundert-Kilometer-Etappe, die nötig ist, um meinen anvisierten Campingplatz zu erreichen. Ich schalte auf den Meditationsmodus um, statt auf meinen Atem konzentriere ich mich nun auf nichts anderes mehr als „fahren,

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