Das Mädchen mit den Schlittschuhen. Michael W. Caden

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Das Mädchen mit den Schlittschuhen - Michael W. Caden

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streiften sich noch kurz die Erde von den Hosen ab und dann taten sie das, was sie eine halbe Stunde zuvor auch schon getan hatten: sie rannten.

      »Deiwel noch eins! Was ist das denn?«

      »Was denn, Komputzki?«

      »Da ist jemand …, da ist jemand aus dem Grab rausgekommen? Und nuscht nur einer. Ich glaub’, es waren sogar zweije!«

      Komputzki stand dort wie zu einer Salzsäule erstarrt, geradeso als sei der Leibhaftige mit einem weiteren Höllenwesen der Unterwelt entstiegen.

      »Ach halt den Jabbel, Komputzki. Ich glaub’, du hast dir zu viel vom Bärenfang off de Lampe gegossen.«

      »Wenn ich es dir doch saag, da sind zwee aus dem Grabe heraus!«, beteuerte Komputzki, dem ohne Pause die Knie schlotterten.

      Behnke wurde ungehalten.

      »Ach Unfug. Los Komputzki, fang an und schaufele. Sonst sind wa morjen früh noch nuscht fertig.«

      Als Willi und Paulchen längst schon hinter der Kirche verschwunden waren und den Nachhauseweg angetreten hatten, unterhielten sich die Totengräber noch lange bei ihrer Arbeit. Als das Werk getan war, war sich Komputzki sicher, dass diese geisterhafte Erscheinung – genauso wie Behnke es meinte – nur durch den Bärenfang ausgelöst worden sein konnte.

      »Glaub mir, Komputzki, der Bärenfang, der is nuscht Gutes nuscht. Du solltest künftig vielleicht besser beim Reinen Wort Gottes weilen«, womit Behnke den Kornschnaps meinte.

      Komputzki besann sich tatsächlich eines Besseren. Fortan ging er durch die Welt und pries das Reine Wort Gottes bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den höchsten Tönen und dankte es ihm auf mannigfaltige Weise. Erscheinungen soll er seitdem auch keine mehr gehabt haben …

       Das Dingslamdei

      Wann Willi erstmals das Meer sah, daran konnte er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Doch sobald er durch die Haustüre trat, konnte er es riechen und schmecken. Vater Wilhelm, ein langer schmaler Mann, arbeitete bei den Elbingener Schichauwerken als Werkzeugmacher, Mutter Johanna kümmerte sich um die Kinder. Als da waren: Willi, sein kleinerer Bruder Kurt und seine ältere Schwester Elisabeth. Gemeinsam bewohnten sie in Mattendorf ein kleines Häuschen. Von hieraus war es nicht weit zum Ostpreußenwerk am Elbingfluss, die Schornsteine der Brauerei Englisch-Brunnen konnte man sehen, und auch der schöne Ziesepark lag in der Nähe. Hinterm Haus gab es einen kleinen Obstgarten mit Äpfel-, Birnen- und Kirschbäumen. Hier saß Johanna an milden Tagen oft auf einer Bank und schaute den Kindern beim Spielen zu. An dem großen Kirschbaum hatte Vater Wilhelm eine Schaukel befestigt, das Brett dazu stammte von einem Bierkasten der Brauerei Englisch-Brunnen, das Seil hatte er am Hafen besorgt. Johanna liebte die Schaukel am Kirschbaum, sie mochte es, wenn sie in der noch warmen Abendsonne den kleinen Kurt auf den Armen hielt und der Wind durch ihre rabenschwarzen Haare streifte. Wenn sie schaukelte, fühlte sie sich dem Himmel auf Erden ein Stückchen näher.

      Es war schon spät am Nachmittag, als es Willi vor die Haustüre zog.

      »Mutter, kann ich mal zum Paulchen rüber?«

      »Ja, aber komm nicht zu spät nach Hause. Du weißt, dass dein Vater es nicht mag, wenn du nicht beizeiten am Abendtisch sitzt.«

      »Kein Problem!«, versicherte Willi.

      Er wusste, dass sein Vater sehr ungehalten sein konnte, wenn er mal etwas später kam. Früher – vor dem Krieg – da war er ganz anders zu den Kindern gewesen, hatte ständig mit ihnen rumgealbert, und sie hatten jede Menge Spaß miteinander. Als Mutter ihn zu den anderen Soldaten an den Bahnhof brachte, steckten ihm zwei Frauen eine Blume an. Er nahm sie und gab sie seiner Frau, »damit sie immer an ihn denken möge.« Das war 1914. Als er drei Jahre später verwundet und gezeichnet aus der Gashölle von Ypern zurückkehrte, hatte Johanna als Willkommensgruß einen Blumenkranz um die Eingangstür gewunden. Wilhelm nahm ihn nicht einmal zur Kenntnis. Sein Blick war starr geworden, und manchmal zitterte er am ganzen Körper. Ständig war er gereizt, die kleinste Kleinigkeit konnte ihn aus der Bahn werfen.

      »Vater hat im Krieg Furchtbares erlebt«, sagte Mutter einmal. Darüber geredet hatte er nie. Mit den Jahren wurde sein Zustand etwas besser. Die Arbeit in den Schichauwerken machte ihm jedoch stark zu schaffen. Ganz gesund wurde er nie wieder. Das Giftgas von Ypern steckte tief in seinem Körper und in seiner Seele.

      Nach ein paar Minuten hatte Willi Paulchens Haus erreicht. Er klopfte an die Tür, die sich kurze Zeit später öffnete. Vor ihm stand Paulchens größere Schwester Hanne in Pampuschen und Kittelschürze. Sie war von schlanker Statur, mit blonden Zöpfen und einer riesigen Oberweite, was zu dieser Zeit selbst dem kleinen Willi ins Auge fiel. Schließlich konnte man ihre Brüste einfach nicht übersehen. Hanne, da war er sich sicher, die hatte bestimmt Dutzende von Verehrern.

      »Na Willi, willste zu unserem Paule?«

      Willi nickte.

      »Ja, ist er zu Hause?«

      »Ja, ist er. Sag mal Willi, kann es sein, dass ihr – also du und det Paulchen – in den vergangenen Tagen mal was mitgenommen habt, was mir gehörte und was im Wäschekorb hinterm Haus lag?«

      »Nee, was meinste denn?«

      Willi schluckte.

      »Na, so’ n Stück Wäsche.«

      Willi stellte sich dumm. Er wusste nur zu genau, worauf die Hanne hinaus wollte.

      »Nen Stück Wäsche? Wat denn für ne Wäsche? Strümpfe vellecht?«

      »Ne keijne Strümpfe. So nen Büstenhalter eben.«

      »Eijnen Büstenhalter? Eijnen in echt?«

      Willi bemerkte, wie sich in Hannes Gesicht zu dem ansonsten so blassen Teint ein leichtes Rot gesellte.

      »Aber Hanne, wat sollen Paulchen und ich denn mit nem Büstenhalter? Wir sind doch keijene Marjellchens nuscht. Brauch ich etwa nen Büstenhalter?«, lachte er und schob sich mit beiden Händen den Pullover nach oben.

      Willi wusste, dass Hanne sehr eigen war, was ihre Kleider betraf. Würde sie merken, dass er ihr etwas vorgaukelte? Oder würde er sie tatsächlich mit seinem stümperhaften schauspielerischen Talent täuschen können?

      »Ja, wer wees, wat hier manchmal für Packzeug um de Häuser streicht! Da hatte bestimmt einer einen Furz im Kopf.«

      Paul erschien in der Tür und zwängte sich mit einer Angel unterm Arm und einem Eimer in der Hand an Hanne vorbei.

      »Hallo Paulchen! Wie geht’s?«

      »Gut! Weijste Willi, Hanne sucht immer noch ihren Büstenhalter, so eijnen großen. Irgend eijn Lodschack hat den wohl mit nach Hause genommen. Vellecht hat da jemand eijne Sammlung mit eröffnet.«

      »Wisst ihr, wenn ich den erwische, dem hau ich eins auf den Nischel«, zischte Hanne und meinte: »So, ihr beiden. Ich muss mich noch um de Wäsche kimmern.«

      »Tschüss, Hanne.«

      »Tschüss, Willi.«

      Hanne schloss die Tür. Willi wandte sich Paulchen zu.

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