Das Mädchen mit den Schlittschuhen. Michael W. Caden

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Das Mädchen mit den Schlittschuhen - Michael W. Caden

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seinen Begleiter völlig unerwartet ein. »Als Kind lebte er dort, ist wohl dann irgendwann ausgerissen, weil er zu Hause Probleme hatte.«

      »Ach ja, das ist interessant. Wo hat es ihn denn hingetrieben?«

      »Ins Ermland, bis nach Heilsberg. In der Nähe hat er später auf einem Rittergut meine Mutter kennen gelernt.«

      »Ach übrigens, ich heiße Albert.«

      »Weiß ich«, meinte Heinrich Ostrowski scherzhaft und deutete mit dem Finger auf das Namensschild auf dem Rücksitz, mit dem er Albert am Flughafen in Empfang genommen hatte. Beide gaben sich die Hand.

      »Ich bin der Heinrich, geboren am 17. August 1935 auf einem Gutshof bei Guttstadt. Dort lebe ich schon ein Leben lang. Dort möchte ich auch begraben sein. Aber noch nicht so bald. Ich hoffe, der liebe Herrgott gibt mir noch ein Quäntchen Zeit.«

      Albert erblickte auf der Konsole über dem Handschuhfach einen Christophorus. Ob man den hier braucht? Gerade nach dem Zerfall des Ostblocks hörte man immer wieder, dass sich die jungen Polen mit den schnellen, neuen Westautos in den Alleen Ostpreußens zu Tode fuhren. Abholzen wollte man diese prachtvollen Baumbestände – für Albert unvorstellbar. Allein der Gedanke daran für ihn ein Stich mitten ins Herz.

      »Schau, Albert, da drüben – der Turm der Nikolaikirche.« Heinrich deutete nach links aus dem Fahrzeugfenster.

      Albert hatte den Turm schon seit einiger Zeit bemerkt. Und auch die Hinweisschilder hatte er keinen Moment aus den Augen gelassen. Elblag, der polnische Name für Elbing, hatte ihn schon seit Beginn der Fahrt in Danzig begleitet. Doch er konnte sich nie so recht daran gewöhnen, nicht in 60 Jahren, nicht hier und nicht heute. Elbing, das war für Albert die Stadt, in der Loeser & Wolff 1878 die größte Zigarrenfabrik Kontinentaleuropas gründeten. Hier stand die größte ostdeutsche Molkerei. Hier wurde das erste protestantische Gymnasium Preußens eingerichtet und der Preußische Bund gegründet. Elbing das war auch Schiffsbau, das war deutsch und mehr als nur ein Wort – Elbing, das war der Geburtsort seines Vaters, auch ein Teil seines Lebens.

      »Wie sehen die Polen das heute eigentlich, wenn immer mehr Deutsche zu Besuch kommen?«, fragte Albert. Mittlerweile hatten sie Elbing schon ein Stück weit hinter sich gelassen und steuerten auf Preußisch Holland zu.

      »Wissen Sie Herr Steinky, ähm Albert, die Leute sind verunsichert. Kaczynski hat den Eindruck erweckt, und viele Boulevard-Zeitungen sind drauf angesprungen, dass die Deutschen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zurückkommen werden. In Ostpreußen hat Kaczynski den polnischen Familien »hundertprozentige Rechtssicherheit« versprochen; sie dürften keine Angst haben, dass ihnen jemand ihr Land wegnehme. Kaczynski will deutschen Ansprüchen auf Eigentum in Polen endgültig einen Riegel vorschieben. Er kündigte an, er werde das Problem der Rückgabe von Immobilien an frühere deutsche Eigentümer ‘ein für alle Mal’ regeln. Die Ansprüche Deutscher, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben und enteignet wurden, lösen in den betroffenen polnischen Gebieten große Sorge aus.«

      Albert hatte davon gehört. Doch er sagte nichts, schaute stattdessen nur aus dem Fenster. Sie passierten gerade einen kleinen Ort. Er sah, wie ein paar Kinder an einer Schule Seilhüpfen spielten.

      »Ich stamme aus einem kleinen Ort namens Klotainen. Das liegt in der Nähe von Heilsberg«, begann Albert ganz unverhofft zu erzählen. »Dort gab es auch ein gleichnamiges Rittergut. Mein Vater arbeitete dort. Er war Kutscher und für die Pferdestallungen verantwortlich. Meine Mutter arbeitete auf dem Gut als Köchin. Wir waren zu fünft: Mein Vater Willi, Mutter Elisabeth, ich, mein jüngerer Bruder Karl und Lieschen, unser Nesthäkchen.«

      »Ja, Pferde, die hatten wir auch auf unserem Hof bei Guttstadt«, wandte Heinrich ein. »Die stammten zwar nicht aus großen Züchtungen, doch wie sagte mein seliger Vater doch immer so schön: ‚Schwarze Kehj gewe ok witte Melk’. Sie haben ihren Zweck erfüllt, und es waren wunderbare Arbeitstiere.«

      In ein paar Hundert Meter Entfernung entdeckte Heinrich einen Kirchturm.

      »Da schauen Sie, Albert, wir sind schon in Preußisch Holland. Jetzt geht’s nur noch gen Osten.«

      »Mein Gott, wie schön – die ersten Alleen.« Wie sehr hatte sich Albert nach ihnen gesehnt. Er kannte diesen Anblick nur noch aus Reisereportagen im Fernsehen. Wie ihn dieser Anblick faszinierte.

      Direkt hinter Preußisch Holland nahm der Straßenverkehr merklich ab. Nur noch ab und zu begegnete den beiden ein Fahrzeug.

      »Ich wusste gar nicht mehr, dass es hier so einsam sein kann.«

      »Ja, das kann es. Besonders im Winter.«

      »Wie weit ist es noch bis Heilsberg?«

      »Vielleicht so fünfzig Kilometer.«

      Die Landschaft nahm Albert gefangen. Beim Blick aus dem Fenster fielen ihm sofort die vielen Wegekreuze und Kapellen an den Straßen und in den Vorgärten auf. Wie früher, dachte Albert. Doch was nicht passen wollte, das waren die verlassenen und verfallenen Bauernhöfe, die wie stumme Zeugen einer verfehlten Agrarpolitik in der hügeligen Landschaft standen.

      Albert blickte kurz zu seinem Begleiter.

      »Gibt es hier noch viele Bauernhöfe?«

      »Ja, die gibt es.«

      »Das war früher auch schon so. Es hat sich nicht viel verändert. Meine Mutter stammte von solch einem Hof in der Nähe von Raunau am Rande des Ermlandes.«

      »Ja, ja, das Ermland. Eine katholische Insel in der evangelischen Provinz Ostpreußen, es war ein Bauernland mitten im Gebiet des Großgrundbesitzes«, schwärmte Heinrich, aus dem es jetzt nur so heraussprudelte. Er hatte, so schien es, seine Hausaufgaben gemacht.

      »Es gab keine natürlichen Grenzen, die es von den Nachbargebieten trennten, nur durch die geschichtliche Entwicklung ist die Sonderstellung des Ermlandes innerhalb Ostpreußens zu erklären. Obwohl im Herzogtum Preußen nach 1520 die Reformation eingeführt wurde, behauptete der Bischof von Ermland seine Selbstständigkeit. Das Bistum blieb katholisch.«

      »Ich dachte immer, dass es heutzutage ärmlich hier aussehen würde. Das tut es aber gar nicht«, meinte Albert nachdenklich.

      »Die Gegend gehört auch heute noch zu den fruchtbarsten Gebieten Ostpreußens. Es gibt zwar keine großen Güter mehr, dafür aber überall wohlhabende Dörfer. Neben dem Ackerbau widmeten sich die ermländischen Bauern schon immer der Vieh- und Pferdezucht und der Milchwirtschaft. Die mittelschweren Pferde hier wurden immer sehr geschätzt. Zwischen den wohl bestellten Feldern und fetten Weiden fehlte es nie an Naturschönheiten. Im Walschtal fand der naturfrohe Wanderer ein unberührtes Naturschutzgebiet mit seltenen Pflanzen, an der Simser und der Alle anmutige Flusstäler, und im Kreis Allenstein war er mitten im Land der dunklen Wälder und kristallenen …«

      Völlig unverhofft beendete Heinrich seinen Monolog. Er stoppte den Fiesta und setzte den Blinker. Dann bog er mit dem Wagen nach links in eine kleine Einfahrt.

      »Wir sind da! Da oben links ist das Hotel.«

      Albert und Heinrich hatten sich lange über das Land und seine Menschen unterhalten. Dabei war es Albert ganz entgangen, dass sie das Ortseingangsschild von Heilsberg bereits passiert hatten. Die letzten 50 Kilometer waren wie im Fluge verstrichen.

      »Da ist es also, das Pod Klobukiem«, sagte Heinrich und betonte es dabei so, als habe er gerade ein Fünfsterne-Luxushotel

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