Katzenschwund. Reinhard Kessler

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Katzenschwund - Reinhard Kessler

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bilden sie aus zur Lawinensuchkatze!“, sagte mit stolzer Brust der kleinere Sommerspössler neben ihm.

      “Und, macht sie Fortschritte bei der Ausbildung zur Lawinensuchkatze?“, fragte der Kommissar, und irgendwie war er unglaublich erleichtert, dass die drei Kinder wohl keinen grossen Schock hatten.

      “Jo, sicher, also Mäuse findet sie schon unterm Schnee und gräbt sie aus. Im letzten Winter hat sie fünf Mäuse gefunden.“

      Der Kommissar begriff: wohl eine ganz besondere Lawinensuchkatze. Voll im Mousetrailing-Training.

      Dummerweise und völlig unpassend fiel ihm der Werbespruch ein: Katzen würden Mäuse kaufen, oder so ähnlich.

      Es beschlich ihn aber auch eine leise Ahnung, nämlich, dass die Mäuse wohl nicht wirklich gerettet waren anschliessend. Was das Finden und Ausgraben von Menschen – das Mantrailing – angeht, war er eher noch skeptischer.

      Er wollte eigentlich doch gerne mehr wissen, schliesslich hatten sie den Toten gefunden. Aber das für solche Fälle zuständige Care-Team traf ein und übernahm die Betreuung der kleinen Indianer.

      Mit in diesem Care-Team war seine Lieblings-Psychologin Lona. Wir erfahren später noch, warum er ihr wann immer irgendwie möglich aus dem Weg ging, am liebsten grossräumig. Jeder Meter zählte.

      Er wusste aber auch, dass die Kinder bei ihr gut aufgehoben waren. Sie brachte sich ein, wie man das so nennt. Sie engagierte sich. Sie arbeitete sehr gewissenhaft, sehr planvoll. Wenn Jelato sie denken sah, dann dachte er sofort ‘die Lona – jetzt strukturiert sie wieder‘.

      Volles Programm. Ablauf geregelt. Wie ein Backrezept. Das war Lona. Psychologische Betreuung, Zurückbringen zu den Familien, weitere Seelsorger aktivieren, Lehrer benachrichtigen und natürlich ganz entscheidend für den weiteren Erfolg der Betreuung: Bilder malen.

      Alle Kinder in solchen und ähnlichen Fällen müssen Bilder malen, zum Aufarbeiten. Und wenn sie alle drei einen Mann mit Bart malen, ganz in schwarz, dann ist das ein Trauma und der Mann wahrscheinlich der Täter. Oder auch nicht.

      Manchmal müssen sie ihre Erlebnisse auch auf einen Zettel schreiben, den an einen Luftballon binden und dann fliegen lassen, das hat was Therapeutisches, die Sorgen und die schlechten Erinnerungen fliegen einfach weg.

      Neuere psychologische Theorien besagen aber, dass es wirksamer für die Aufarbeitung ist, wenn man aus diesen Zetteln Schiffchen faltet, die in einen Bach setzt und wegschwimmen lässt. Das ist noch therapeutischer.

      Das war inzwischen nach heftiger Diskussion auf allen Kongressen und in der Fachpresse von allen führenden Psychologen anerkannt und als herrschende Lehrmeinung in die Lehrbücher aufgenommen.

      Nebenbei war es auch billiger, man brauchte keine Luftballons und vor allem kein Helium mehr.

      ‘Alles Humbug‘, dachte er, ‘aber Hauptsache die Kleinen können ruhig schlafen‘.

      Er ging zurück zum Weiher.

      “Ich rede morgen mit den Kindern, jetzt ist erstmal das Care-Team dran“, sagte er zum Forensiker.

      “Hmm“

      “Hast du noch was für mich?“

      “Ja, komisch, hat Verletzungen, wurde aber nicht ausgeraubt. Geldbörse samt Inhalt noch da. Jetzt wissen wir auch, wer er ist … äh war.“

      “Und?“

      “Schau halt selber.“

      Er durchsuchte die Geldbörse: Geldscheine, Parkkarte, Umweltabo und ein Ausweis und noch einer. Das war ein Führerausweis.

      Das traf ihn wieder unvorbereitet: er konnte sich einfach nicht an die schweizer Benennung gewöhnen: Führerausweis! Verdammt, hört das denn nie auf.

      Was für ein Name: Führerausweis, das ist ein Führerschein, äh … nee, schon wieder Mist, ein Fahrausweis. Die mit ihrem Führer … äh … das war ja bei uns – ‘shit‘.

      Und dann noch ein Firmenausweis mit Logo und Name einer Bank und der Name des Besitzers mit einem miserablen Passbild. Das ersparte ihnen viel Arbeit. Er war mit der ersten Ausbeute zufrieden: Identität ist also geklärt, der Wohnort über den Führerschein – äh Fahrausweis – leicht zu ermitteln, Arbeitsstelle auch klar. Da konnten sie ja gleich loslegen mit ihren Ermittlungen zum Fall.

      “Aha, ein Bankster! “, sagte er.

      “Hmm, genau, wahrscheinlich so ein Börsewicht, die Typen haben mich viel Geld gekostet. Vielleicht ist das der Grund, dass ihn einer …“

      “Sei nicht vorschnell, vielleicht ist er ein Kassierer, einer der am Schalter steht oder so, kein Spekulazius, … andererseits …, wenn er jetzt tot ist … weisst doch, wie der Baselbieter sagt.“

      “Wie?“

      “Mir wei luege!“

      Zur Erklärung sei abschweifenderweise schnell erwähnt, dass es in diesem Land noch eine germanistische Rarität gibt, etwas, was vom Aussterben bedroht ist: das sogenannte Dehnungs-e nach dem u. Diese Art e ist in gewissen Regionen ausgestorben oder auf dem Rückzug, im Deutschen gibt es das fast nur noch hinter einem i. Wenn also ein i laaanggezogen sein soll, so kommt ein e hinter das i. Beispiel: der Dieb mit langem i, nicht etwa Dib, das klingt unschön, fast wie eine Sauce, und sieht geschrieben aus wie ein Hund, eine germanistische Greueltat, eine Rotstift-Orgie für Lehrer.

      Der Ausdruck mir wei luege ist also eine ausgewachsene Falle. Zuerst vermutet man eine chinesische Redewendung beginnend mit mir wei, dann folgt luege, welches aber auf gar keinen Fall wie lüge ausgesprochen werden darf, sondern eher so: luuueege, mit Deeehnungs-e.

      Übersetzt heisst das in einer etwas verbreiteteren Sprache: wir werden sehen. Würde man das mit wir werden lügen übersetzen, dann täte man diesen Leuten unrecht. Sie könnten allerdings ja auch gleich sagen was sie meinen, und nicht solchermassen verschlüsselte Botschaften senden. Jelato wird später seinen Assistenten an anderer Stelle noch darauf aufmerksam machen, dass alle Leute, die etwas zu verbergen haben, sich hinter einer Art Geheimsprache verstecken.

      Und zum Schluss noch dies: der Ausdruck wir werden sehen ist in Deutschland ebenso vom Aussterben bedroht. Das heisst heute in fussballdeutsch nämlich ganz einfach schaumermal.

      Zurück zu Karli.

      “Okay, ich mach hier Schluss, die wichtigsten Spuren sind gesichert, jede Menge Reifenspuren, Fussspuren, Pferde sind hier auch mal durch, aber nix Schlüssiges. Ich habe auch jede Menge Fotos vom Toten und vom Fundort gemacht“, sagte er und hielt die Kamera hoch.

      Der Kommissar fragte spitzbübisch: “Hast du überhaupt einen Film drin?“

      “Du Ignorant. Es sind wieder 100 Jahre um, falls es dir nicht aufgefallen ist, du digitaler Analphabet. Bringst auch die Speicherkarte zum Entwickeln ins Fotolabor, was? Und mit solchen Leuten muss ich zusammenarbeiten!“

      Sie grinsten sich an, aber nur versteckt, und auch nur ein bisschen, bei dem Ernst der Lage gerade noch tolerierbar.

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