Katzenschwund. Reinhard Kessler
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Der Assistent schaute und erstarrte schon wieder.
Dann benutzte er ein Schimpfwort aus dem Bereich der Fäkalsprache. Da war er aber voll reingelaufen.
Verdammt, das hätte er merken können, nein, merken müssen. Da hat ihn der Alte aber böse gelinkt.
Dieses alte Auto hatte noch ein Kassettenabspielgerät, ein Tape-Deck, und was sie gehört hatten, war eine Kassette. Im Winter vom Radio aufgenommen, eine ganze Oldiesendung, eine Stunde lang inclusive dazwischen gequatschter Verkehrsnachrichten. Was andere verärgert löschten, liess Jelato absichtlich drauf.
“Ich habe auch eine Kassette für den Winter“, meinte der Kommissar spöttisch. „Da sind Oldies drauf und die Wassertemperaturen vom Freibad und dass die Kinder irgendwo hitzefrei haben.“
“Das ist ja krank.“
“Es dient der Auflockerung – und es ist eine Art Intelligenztest.“
“Wie kommt man nur auf solche Ideen? Ist das heilbar? Wird das irgendwann besser?“
“Nein, haha.“
Sie waren fast am Ziel.
Die Firma war am grossen Logo von weitem zu erkennen. Einfach der Strasse am Rhein entlang, nicht zu verfehlen.
An der Porte brachten sie ihr Anliegen vor.
„Wenn Sie bitte hier warten würden“, sagte der Portier und telefonierte. Nach dem kurzen Telefonat stellte er ihnen Besucherausweise aus. Er erklärte ihnen den Weg und wiess darauf hin, dass sie die Ausweise nachher wieder abgeben sollten.
Sie gelangten zum betreffenden Gebäude.
Vor dem Gebäude sahen sie an einer Ecke Leute stehen. Er dachte an eine Stehung, man müsste ja wirklich nicht immer eine Sitzung abhalten. Oder war das eine sogenannte Ansammlung, eine Keimzelle für einen Volksaufstand, eine Verschwörung, ein konspiratives Treffen?
Das war es aber nicht. Es stieg Rauch auf. Habemus papam. Von wegen, nix da, habemus Zigarette!
Das war die Raucherecke, wie früher auf dem Schulhof, wo sie von fortschrittlichen Leuten eingeführt worden ist und von noch fortschrittlicheren Leuten Jahre später wieder abgeschafft wurde.
Die standen da und zogen sich gerade ihre Lungenbrötchen rein.
“Siehst du, das ist wahrer Fortschritt. Die Raucher werden in Zukunft nicht mehr an Lungenkrebs sterben.“
“Wieso?“
“Sie erfrieren im Winter im Freien.“
“Fortschritt hat viele Gesichter.“
Sie betraten das Gebäude.
Im Eingangsbereich hing ein grosses Bild an der Wand. In weisse Tücher gekleidete dunkle Gestalten in der Nacht, die erinnerten fast ein wenig an Ku Klux Klan. So um die 100 solcher Leute schlichen in einer langen Reihe an den Wändern der Häuser in einer Stadt entlang.
Darunter der Spruch:
Horig, horig, horig isch die Katz,
und wenn die Katz nit horig isch,
no fängt sie keine Mäuse! Horig, horig.
Der Assistent meinte: “Irgendwie mysteriös, und das Bild scheint mir unpassend in einer Versuchstierhaltung.“
Der Kommissar mit seinen deutschen Wurzeln erklärte dem Assistenten, was es damit auf sich hat.
“Das ist die alemannische Fasnacht auf der anderen Seite des Rheins, das kennst du halt nicht. Das sind die Hüüler von Bad Säckingen, ist ungefähr 40 km von hier weg, und was die machen, das heisst Ecken auslaufen.“
“Was soll der Katzenspruch?“
“Das ist ein ungelöstes Rätsel der Menschheit. In der Region hier haben sie es eben mit den Katzen. Sie verehren dort auch eine Dichterkatze, den Kater Hiddigeigei. Da musst du halt mal den „Trompeter von Säckingen“ lesen. Die haben nicht nur eine Scheffelstrasse, der hat es nämlich geschrieben, der Scheffel, die haben einen Hiddigeigei-Brunnen, ein Hiddigegei Hotel, eine Hiddigeigei Skulptur, eine Hiddigeigei …“
“Hör schon auf, ich werde ja selber noch ganz Hiddigeigei.“
“Jaja, aber in dem Gedicht gibt es eine Stelle, die würde viel besser hierher passen.”
Er zitierte:
“Ach, das Leben birgt viel Hader
Und schlägt viel unnütze Wunden,
Mancher tapfre schwarze Kater
Hat umsonst den Tod gefunden”
Soviel Bildung hätte der Assistent dem Kommissar gar nicht zugetraut. Der Alte überraschte ihn immer wieder, heute schon zum zweitenmal.
“Das würde wirklich besser zu den Versuchstieren passen, dürfte aber sicher nicht aufgehängt werden.“
“Pass nur auf. Man erklärt uns sicher gleich, dass hier jede Katze gerne Versuchstier wäre, und dass es wahrscheinlich lange Wartelisten für die Katzen draussen gibt.”
“Ich glaube, sie verkaufen unter anderem Rattengift in ihrer Geschäftssparte namens Tiergesundheit. Da muss man auch erstmal drauf kommen.”
Sie wurden bereits vom Vorgesetzten der Frau erwartet.
Das Büro war eingerichtet wie eben geschäftliche Büros eingerichtet sind.
Jelato analysierte es blitzschnell.
Handy vorhanden, Notebook auf dem Tisch, kein überragendes Kunstwerk an der Wand, kein Teppich, etwa 15 Quadratmeter Bürofläche, keine eigene Sekretärin. Also mittleres Management.
Er war nicht hierarchisch orientiert, im Gegenteil, das werden wir noch sehen, aber er wollte immer möglichst schnell wissen, wer ihm gegenüber sitzt.
Dann das übliche Bild einer dümmlich grinsenden Geschäftsleitung mit einem Stück Papier vor sich, wahrscheinlich so ein ISO-Zertifikat aus der früher grassierenden ISO-Zertifizierungswelle, oder Supplier of the year oder ähnlicher Käse.
‘Das soll die Quelle der Innovation hier sein? Die sehen ja aus wie ein Anti-Beatles-Komitee aus den 60er Jahren, alle im dunklen Anzug, wie bei einer Beerdigung und dann dieses lächerliche Stück Papier‘, dachte er.
Ein merkwürdiges Objekt auf dem Schreibtisch, nicht ganz klar, was das sein soll, mit einer Gravur. Er vermutete sowas wie Employee of the month, also die englische Form von Held der Arbeit, für 150-prozentige Planübererfüllung.
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