Raue Februarwinde über den Elbmarschen. Manfred Eisner
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Читать онлайн книгу Raue Februarwinde über den Elbmarschen - Manfred Eisner страница 11
PMA Helga Timm liest laut vor, während sie flink die Daten zur Person in ihren Computer eingibt: »Sie sind also Herr Marius Petermann, geboren am 30. November 1953 in Brunsbüttel, hier am Ort wohnhaft in der Deichgrafstraße Nr. 17. Der Name der vermissten Person, bitte?«
»Ich bin der Wirt des Gasthofes ›Zur Lindenschenke‹, eben auch unter dieser Anschrift. Vor etwa drei Monaten mietete sich ein junger Mann aus Lübeck, ein gewisser Werner Reimers, bei mir ein. Hier ist der Anmeldezettel, den er beim Einzug ausgefüllt hat. Ich weiß nicht genau, was er hier macht, doch ich glaube, er hat irgendetwas mit der Montage der Windräder in unserer Gegend zu tun. Jedenfalls ist er ein sehr ruhiger und netter Kerl und hat stets pünktlich seine zweihundertachtzig Euro für Zimmer und Frühstück bezahlt. Bisher hat er sich unauffällig und tadellos verhalten. Als er am vorletzten und auch am gestrigen Sonntag nicht wie üblich seine wöchentliche Mietzahlung entrichtete, fragte ich Grazyna, meine polnische Bedienung, ob sie etwas über Herrn Reimers wüsste. Sie sagte mir, dass unser Gast seit dem letzten Wochenende nicht mehr zum Frühstück erschienen ist. Ich fand das merkwürdig, zumal er sich nicht abgemeldet hat. Also ging ich auf sein Zimmer und stellte fest, dass seine Kleidung ordentlich im Schrank hängt. Seine Wäsche liegt in der Kommode und die üblichen Toilettenartikel befinden sich über dem Waschbecken. Ich erkläre hiermit ausdrücklich, in seinem Zimmer nichts angerührt zu haben – ich habe nur nach Herrn Reimers gesehen. Nicht dass Sie jetzt glauben …«
»Keine Aufregung, Herr Petermann, alles ist gut! Beruhigen Sie sich. Ich finde es prima, dass Sie uns Bescheid geben. Gehen Sie bitte jetzt erst einmal nach Hause, wir schicken baldmöglichst einen Kollegen vorbei, der sich das einmal vor Ort ansieht, okay?« Als der Gastwirt nickt, fügt sie an: »Kommen Sie gut nach Hause, auf Wiedersehen. Und nochmals vielen Dank für Ihre Mühe!«
Beim Hinausgehen trifft Marius Petermann auf den just eintretenden Dienststellenleiter, Hauptkommissar Boie Hansen. Die beiden ziemlich beleibten Herren passen nicht gleichzeitig durch den Eingang, weshalb Hansen höflich grüßt und zur Seite ausweicht, um den Besucher hinausgehen zu lassen, bevor er das Revier betritt.
»Moin moin, Chef! Sie sollten besser im Bett bleiben bei der Grippe, die Sie sich eingesackt haben!« Helga Timm ist verwundert über das Erscheinen ihres Vorgesetzten.
»Was wollte eigentlich der Kneipen-Petermann von uns?«, grunzt Hansen gereizt, ohne auf die Begrüßung der Polizeimeister-Anwärterin einzugehen.
»Der hat soeben eine Vermisstenanzeige gemacht. Einer seiner Gäste, ein gewisser Werner Reimers, ist seit Tagen verschollen und hat seine Rechnung nicht bezahlt.«
»Ach so, na dann …« Hansen denkt einen Moment nach: »Einen Werner Reimers kennen wir hier doch nicht, oder? Wird sich wohl wieder einfinden. Und ja, ich gehöre tatsächlich ins Bett, aber ich habe es dort einfach nicht mehr ausgehalten. Unser Willi hat mich gestern Abend noch zu Hause besucht und mir von dem Leichenfund am Windpark erzählt. Dabei habe ich erfahren, dass neben unserem Kollegen KOK Hauke Steffens, der ja jetzt bei der Kripo in Itzehoe ist, auch rein zufällig meine liebe Nili Masal, ihres Zeichens Kriminalhauptkommissarin beim LKA in Kiel, am Tatort war.« Trotz seiner triefenden Nase kann sich Hansen eines genüsslichen Lächelns nicht erwehren. »Ich kann mir bis ins Detail vorstellen, was für ein Donnerwetter unser Hein Gröhl losgelassen hat, als er erfuhr, dass jemand vom LKA dabei gewesen ist!« Er setzt sich an seinen Arbeitsplatz und grient vor sich hin. »Ja, ja, die Nili! Wir haben sie hier sehr gemocht, sie ist eine kluge Deern und macht sich, wie man hört, auch beim LKA sehr gut.«
Wie auf ein Stichwort betritt Nili die Polizeidienststelle. »Einen wunderschönen – wenn auch kalten und nassen – guten Morgen allerseits!«
»Segg ick doch, Helga!« Boie Hansen steht auf und geht freudestrahlend auf Nili zu. »Wenn man vum Düvel schnacken deit!« Beide umarmen sich herzlich. Dann besinnt er sich seines Schnupfens und schiebt Nili behutsam von sich weg. »Go forts wiet aff vun mi, Deern, ick bün arg verköllt.« Dann stellt er Nili der Polizeimeister-Anwärterin vor.
Im Laufe der nun folgenden Unterhaltung lenkt Nili geschickt das Gespräch auf den Leichenfund am Windpark. »Stellt euch vor, mein Kollege Walter Mohr und ich waren gerade beim Joggen, als der Streifenwagen der Kripo Itzehoe an uns vorbeifuhr und Hauke Steffens uns wegen des gerade einsetzenden starken Schneefalls in seinem Wagen Schutz anbot. So gelangten wir unverhofft an den Tatort. Ich habe mich natürlich sehr gefreut, Hauke und auch Willi Seifert wiederzusehen. Wo ist der überhaupt?« Nili schaut sich suchend um.
Helga Timm zuckt mit den Schultern. »Der ist nicht da. POM Seifert und PM Klages wurden heute früh erneut zum Tatort gerufen, weil die Itzehoer KTU dort nach weiteren Spuren sucht.«
Nili ergänzt: »Ach ja, wegen des heftigen Schneefalls konnte die Spusi gestern dort nichts Wesentliches finden. Ich bezweifle allerdings, dass es ihnen heute bei diesem Regen besser gelingen wird.«
»Hast recht, Nili, es ist wirklich ein Schietwetter!«, kann Boie Hansen gerade noch von sich geben, als ihn auch schon eine heftige Niessalve überkommt. Die beiden Damen gehen schleunigst auf sicheren Abstand.
»Gesundheit! Ich sag doch, Sie gehören ins Bett, Chef!« Helga Timm zückt eine Packung Taschentücher und hält sie Boie Hansen hin.
»Papperlapapp! Ist doch nur ’n Schnupfen, wat shall dat!«, kontert Hansen mürrisch und zieht ein Taschentuch aus der Packung. »Zeig mir doch mal die Vermisstenanzeige von eben, Helga!« Als er diese über den Schreibtisch entgegennimmt und mit ihr den Anmeldezettel des Gasthofes »Zur Lindenschenke«, schnäuzt er sich zunächst und überfliegt dann das Geschriebene. »Schau doch mal im Computer nach, ob du etwas über diesen Werner Reimers findest. Gemäß Anmeldezettel ist er Mechatroniker, gebürtig am 22.10.1980 in 23554 Lübeck, dort wohnhaft in der Kurauer Straße 7.«
Nili spitzt die Ohren, als sie dessen Vornamen hört. Womöglich handelt es sich um KOK Köppen, der unter dem Decknamen »Werner Reimers« agiert hat. Auf ihre beiläufige Nachfrage erfährt sie von dem gerade erfolgten Besuch des Gastwirtes Petermann und dessen Meldung über das Verschwinden seines Gastes.
»Ich hatte Herrn Petermann gesagt, dass jemand von unserer Dienststelle vorbeikommen wird, um das Zimmer des Herrn Reimers zu inspizieren und ein Protokoll aufzunehmen. Aber jetzt sind ja die beiden Kollegen draußen. Was soll ich also tun?«
Geschäftig macht sich Helga an ihrem PC zu schaffen. »Hm, Werner Reimers gibt es einige in Lübeck: einen Zahnarzt, einen Malermeister, einen emeritierten Professor Doktor. Aber keinen Mechatroniker, und schon gar nicht unter der angegebenen Anschrift – also Fehlanzeige!« Ihr Gesichtsausdruck verrät Enttäuschung.
Nili überlegt. »Ist doch alles ziemlich seltsam, meint ihr nicht auch? Wenn du nichts dagegen hast, Boie, könnte ich ja mit der Kollegin Timm zum Gasthof fahren. Was hältst du davon?«
Boie Hansen nickt. »Eine gute Idee. Wie du siehst, sind wir für den Fall, dass zwei Einsätze gleichzeitig zu geschehen haben, vollkommen unterbesetzt. Ich bleibe so lange hier und halte die Stallwache, bis ihr zurückkommt. Dann gehe ich allerdings gern wieder zurück ins Bett!«
PMA Timm und Nili steigen aus deren Cross Polo und begeben sich in die nur schwach beleuchtete Gaststube. Das Gasthaus »Zur Lindenschenke« empfängt sie mit der so typischen schummrigen Dorfkneipenatmosphäre und einem schalen Geruchsverschnitt aus kaltem Rauch und abgestandenem Bier.
»Hier müsste mal ordentlich gelüftet werden!«, entfährt es Helga Timm, bevor sie laut in den Raum hineinruft: »Hallo! Jemand zu Hause?«
Sie vernehmen dumpfe Geräusche aus der Küche, dann betritt eine zierliche junge Frau die Gaststube. Hinter ihr wippt