Drei Dekaden. Hermann Ritter

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Drei Dekaden - Hermann Ritter

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von weltlich/magischen Begrifflichkeiten

      Mythos und Wissenschaft befruchten sich gegenseitig. Eine Weiterentwicklung des einen ist ohne eine Weiterentwicklung des anderen nicht möglich. Unser Suchen nach Erkenntnis wird von unseren Träumen gespeist, und unsere Träume beziehen ihre realistischen Grundlagen aus unseren Erkenntnissen.

      Es ist daher nicht verwunderlich, dass mythologische Begriffe, welche die Jahrhunderte überstanden haben, immer wieder von Mythos und (!) Wissenschaft weiterentwickelt werden. Das klassische Beispiel hierfür ist der Atlantis-Mythos mit seinen starken Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte. Man betrachte nur, welche geographischen Veränderungen Atlantis durchgemacht hat. Vom Mittelmeer über den Atlantik hin zu Grönland und England im Norden, Südamerika im Westen und Westafrika im Süden. Und der Kreis schließt sich, wenn die moderne Forschung Atlantis nach Troja oder Santorin und damit zurück ins Mittelmeer verlegen will.

      Ähnliches gilt für Mythen, die – im Gegensatz zum Atlantis-Mythos – in den letzten Jahrzehnten untergegangen sind bzw. massiv an Bedeutung verloren haben, aber vorher einen wilden Wechsel von Bedeutung und Inhalt hinter sich gebracht haben. Das Einhorn wäre ein Beispiel85, ebenso der Vampir86. Faszinierend ist auch die Geschichte des roten Planeten Mars und seiner angeblichen Bewohner. Von Kanälen könnte man da sprechen, und von dreibeinigen Todesmaschinen, von Pyramiden und Marsgesichtern …87

       d. Probleme, die daraus entstehen

      Wir kämpfen mit dem Phänomen, dass ältere Texte und Rituale für uns unverständlich werden, weil uns der kulturelle Hintergrund/ Gefühlszusammenhang zu ihrem Verständnis fehlt. Das Weltbild ändert sich, ohne dass der an ein Weltbild gebundene Kult die Änderungen nachvollzieht.

      Oftmals haben wir zwar das Gefühl, den Text eines klassischen Rituals begriffen zu haben, aber das Verstehen geschieht auf einer sprachlichen und nicht auf einer inhaltlichen Ebene (wir verstehen die Worte, nicht den Sinn). Die oben genannten Erklärungen sollten ausreichen, um diese Behauptung zu untermauern.

      Ich will jetzt kurz ein paar Beispiele weltlicher und magischer Natur für die Bindung von einzelnen Begriffen an Religionen/Kulte oder magische Handlungen anführen. Und ich will zeigen, dass wir diese Begriffe zwar weiterhin verwenden (können), aber ohne die ursprüngliche Bindung zwischen Begriff und Bedeutung rekonstruieren zu können.

       Weltliche Beispiele

      Hierzu gehören die Bedeutung des Feuers bei den Parsen (Feuer spielt für uns schon lange nicht mehr die Rolle als Wärmespender und Waffe, die es früher gespielt hat), die magische Rolle von einzelnen Schriftzeichen (man denke nur an die Runen; durch die faktische Beseitigung des Analphabetismus in der Bevölkerung hat die Schrift überhaupt ihren magischen Charakter verloren) und Piktogrammen (ich meine nicht die Notausgang-Zeichen in öffentlichen Gebäuden, sondern steinzeitliche Jagdzauber an Höhlenwänden), der Verlust des faszinierenden Gefühls für fremde Sprachen in Ritualen (die lateinische Messe hat ihre Ausstrahlung verloren, ebenso aber auch Texte in unverständlichen Sprachen oder der Effekt des Zungenredens), die Naturgewalten verlieren an Bedrohlichkeit (die Wind- und Sturmgötter wie die Wilde Jagd verschwinden aus unserem Bewusstsein, weil die Naturgewalten für unsere Häuser nicht mehr bedrohlich sind und daher nicht mehr beschworen und besänftigt werden müssen), bestimmte Arbeiten verschwinden aus unserem Lebenszusammenhang (der Meergott der Fischer verschwindet aus unserem Kulturzusammenhang, da der Nährstand – und damit auch Fischer und Bauern – in unserem Leben nicht mehr direkt vorkommt; Pferdesegen und Schmiedezauber bleiben unverständlich, weil die entsprechenden Berufe aus unserem kulturellen Umfeld verschwunden sind), halbmenschliche/ tierische Götter verlieren an Bedeutung, weil das sie inspirierende Wesen aus unserem Leben verschwunden ist (so der gehörnte Gott/Hirsch, die Katze88, Wolf/ Hund etc.) und die Priester/Magier sind nicht länger Wächter des Kalenders (daher verschwinden auch die Großkalender wie die Megalithbauten aus den Erfordernissen unserer Kultur – niemand baut mehr selbst Zeitmessgeräte und niemand wird mit religiöser Verehrung bedacht, weil er Jahreszeiten oder Mondfinsternisse vorhersagen kann!).

      Der Begriff ist weiterhin da, und er steht auch weiterhin in unseren Ritualen und Texten. Aber wir verwenden ihn in anderer Bedeutung als der, in der er ursprünglich verwendet worden ist. Und daher sind wir nicht in der Lage, das ursprüngliche Ritual mit denselben Worten zu wiederholen, weil die Worte sich in ihrem Inhalt verändert haben.

       Magische Beispiele

      Mit magisch meine ich in diesem Zusammenhang Begriffe, die eher nicht der physischen Welt unterworfen sind. Ein typischer Begriff wäre der Begriff der Seele. Im Laufe der letzten Jahrhunderte hat die Seele ihren Platz im Körper verloren. Unsere wissenschaftliche Sichtweise des Körpers lässt keinen Platz mehr für ein unerklärtes Organ, die Seele kann also nicht im Körper materiell existieren. Da wir Menschen aber weiterhin wissen wollen, was hinter der letzten Grenze kommt, verlagern wir unsere Suche nach dem Jenseits in den Bereich der Nahtoderfahrung und verwandeln dadurch die Seele in ein immaterielles Organ89.

      Das kleine Volk wird von uns entrückt und unserem Lebenszusammenhang entrissen. Wir glauben nicht mehr daran, dass Kobolde in unserem Haus wohnen, Feen in den Büschen nisten oder Zwerge in unseren Hügeln hausen. Die nichtmenschlichen Völker, seit Jahrhunderten mythologische Partner und Freunde der Menschen, werden uns fremd.

      Ebenso verschwinden die Halbmenschen (Werwolf, Vampir, Satyr, Kentaur usw.) – entweder werden sie wissenschaftlich gedeutet und damit entmystifiziert90, entlarvt91 oder aber lächerlich gemacht.

      Und letztendlich bleibt die Frage, was mit jenen magischen Wesen geschah, die wir fast komplett aus unserem Bewusstsein verdrängt haben. Es sind überraschenderweise die alchemistischen Figuren, die unser wissenschaftliches 20. Jahrhundert ausgemerzt hat. Wo verbergen sich Phönix, Basilisk, Greif, Einhorn und Salamander vor unseren Blicken?

       e. Alternativen für die Zukunft

      Wenn wir einen Verlust der Bindung von alten Bildern an magische Energie postulieren oder einfach behaupten, dass eine Veränderung der gesellschaftlichen Umstände auch in einer Veränderung der für Religion und Kult benutzten Bilder resultieren muss, so ist es unumgänglich, dass wir uns überlegen, welche Alternativen sich im Umgang mit dieser Situation bieten. Es gibt drei unterschiedliche Alternativen, die ich kurz vorstellen will.

      1. Wir bleiben stur bei den alten Bildern, obwohl sie an Macht verlieren werden. Ich würde dies die Vogel-Strauß-Politik nennen, weil sie die Veränderung der Umstände einfach ignoriert und die Rückkehr in ein goldenes, mythisches Zeitalter zu postulieren scheint, in dem alles gut war und Magie immer funktioniert hat.

      Leider ist es so, dass die hier verwendeten Bilder weiterhin an Macht verlieren werden. Die Bindung zwischen Bild und Bedeutung wird schwächer, das Band zwischen mentaler, magischer Assoziation und weltlicher Bedeutung wird immer dünner werden, bis es eines Tages zerreißt. Und umso mehr Bänder zerreißen, umso dünner und schwächer wird der Strang, der Mythos und Kult, der Glauben und Religionsausübung, Theorie und Praxis miteinander verbindet.

      Die Ausbildung von neuen Funktionsträgern ist in dieser Alternative sehr schwierig, da die verwendeten Bilder schwächer sind als auf der Hand liegende Alternativen aus der Gegenwart. Potentielle Schüler werden sich – außer sie sind unheilbar romantisch … – eher für eine der anderen Alternativen entscheiden.

      Die Zukunft für diese Alternative ist sehr fraglich, da sie immer in der Gefahr leben wird, konservativ statt konservierend zu arbeiten und in die volkstümelnde (faschistische?) Ecke abzurutschen.

      2. Wir suchen uns völlig

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