1918. Johannes Sachslehner
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Kann Arz mit der Ernennung des etwas undurchsichtigen und ungarnfreundlichen Erzherzogs Joseph zum homo regius noch einigermaßen leben, so ist das mit der zweiten wichtigen Personalentscheidung des Kaisers an diesem trüben Sonntag schon weniger der Fall. Als Nachfolger von Max Hussarek ernennt Karl den 65-jährigen Völkerrechtsexperten Dr. Heinrich Lammasch zum neuen Ministerpräsidenten. Der ehemalige Berater von Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, geboren im niederösterreichischen Seitenstetten, ist überzeugter Pazifist, ein international angesehener Gelehrter, der jedoch Arz nicht den Eindruck eines Mannes machte, der den schwersten Stunden des Reichs gewachsen war. Karl aber möchte ein Zeichen setzen, einen Mann des Friedens an die Spitze jener Regierung stellen, die, wenn möglich, sein Reich und seinen Thron noch retten soll – Arz muss das akzeptieren, auch wenn er ahnt, dass von Lammasch und seinen Ministern für die Männer an der Front keine wirkliche Unterstützung mehr kommen wird. Auch vom neuen Außenminister nicht, dem Grafen Julius Andrássy, Sohn jenes ungarischen Diplomaten, der vor knapp vierzig Jahren das Bündnis der Monarchie mit dem Deutschen Reich geschlossen hat.
Was das Amt des Finanzministers betrifft, so hat sich der Kaiser für den aus Göding (Hodonín) in Mähren stammenden Verwaltungs- und Verfassungsrechtler Josef Redlich entschieden, der als deutschnationaler Abgeordneter am 21. Oktober auch Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung der Republik Deutschösterreich geworden und nunmehr in einer äußerst seltsamen Doppelrolle tätig ist: Als k. u. k. Finanzminister schwört er den Eid auf Karl und verpflichtet sich, für Wohl und Wehe des versinkenden Vielvölkerstaats zu wirken, als Verfassungsexperte im Vollzugsausschuss der Provisorischen Nationalversammlung ist er angehalten an den Rahmenbedingungen für den entstehenden deutschsprachigen „Nationalstaat“ zu arbeiten – Redlich wird dafür zwar von seinen eigenen Parteifreunden heftig kritisiert werden, er selbst aber sieht in diesem kunstvollen Spagat zwischen Monarchie und Republik keinen besonderen Grund zur Aufregung.
Tatsächlich tief getroffen wird Generalstabschef Arz von einer Nachricht, die aus Berlin eintrifft: Der Erste Generalquartiermeister Erich Ludendorff, Kopf der Obersten Heeresleitung des mit Österreich-Ungarn verbündeten Deutschen Reiches, der Mann, der zusammen mit Hindenburg gleichsam eine uneingeschränkte Militärdiktatur errichtet hatte und den „totalen“ Krieg führen wollte, ist entlassen worden – für Arz, der die militärischen Leistungen Ludendorffs immer sehr bewundert hat, eine Katastrophe: Es war kein Zweifel mehr, wir waren am Ende angelangt.
„Würdevolle Repräsentation“: Generalstabschef Arz von Straußenburg wird von der kaiserlichen Diplomatie nicht immer am Laufenden gehalten …
Die Schwierigkeiten mit den Ungarn in Budapest und bei den ungarländischen Truppen, die überraschende Nachricht von der Entlassung Ludendorffs, die neue Regierung unter Lammasch und die insgesamt ungünstige Entwicklung an der Piavefront – all das aber sollte noch nicht den Gipfel des Ärgers an diesem Sonntag bedeuten: Um etwa 20 Uhr abends hatte sich plötzlich Kaiser Karl am Telefon gemeldet: „Hat Graf Andrássy mit Ihnen gesprochen?“ Erstaunt über diese seltsame Frage, verneinte der Generaloberst. „Hat er Ihnen nicht die Note gesendet?“ Wieder musste Arz verneinen, bewahrte aber Fassung und versicherte Karl, dass er sich sofort an den Minister des Äußeren wenden werde. Um 21 Uhr hat er schließlich die fragliche Note in Händen, liest sie einmal, dann noch einmal, gibt sie an Generalmajor Alfred von Waldstätten, den Chef der Operationsabteilung im Generalstab, weiter, dann auch an den eben beim Armeeoberkommando anwesenden Grafen Trautmannsdorf aus dem Ministerium des Äußeren. Arz, der überzeugte Anhänger des Bündnisses und der Gemeinsamkeit mit Deutschland, ist konsterniert, kann zunächst nicht glauben, was er da schwarz auf weiß vor sich sieht: Gespräche über den Frieden werden angeboten, „ohne das Ergebnis anderer Verhandlungen abzuwarten“. Ein Affront für das mit Österreich-Ungarn verbündete Deutsche Reich! Waldstätten und Trautmannsdorf sehen die Dinge nicht so tragisch, versuchen die Bedenken des Generalstabschefs zu zerstreuen, wobei zur Sprache kommt, dass die Note der Regierung an US-Präsident Woodrow Wilson bereits abgegangen ist – ein nächster Schlag für Arz, der so erfahren muss, dass man ihn bei der Beratung und Abfassung des Textes einfach übergangen hat! Er beklagt sich bei Andrássy, der ihm jedoch kühl mitteilt, dass er es nicht für notwendig gehalten habe, die diplomatischen Details der Durchführung mit dem Generalstabschef zu besprechen, da er, Arz, sich bereits für Waffenstillstand und Frieden ausgesprochen habe. Außerdem habe man auch den deutschen Botschafter über den Inhalt der Note vor ihrer Absendung informiert, der Kaiser selbst habe bereits am 26. von Gödöllö aus ein Telegramm an den deutschen Kaiser Wilhelm II. geschickt, in dem er seinen Waffenbruder über diesen Schritt informiert habe. Arz muss die Erklärungen des Ministers akzeptieren, ahnt zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht, dass ihm der wendige Diplomat in einem Punkt nicht die ganze Wahrheit gesagt hat … Auch vom Telegramm Karls an den Hohenzoller in Berlin hat Arz nicht gewusst, auch das ein Punkt, der schmerzt: Er, der verantwortlich ist für Erfolg und Misserfolg der Armeen, wird von seinem Obersten Kriegsherrn nicht über jeden Schritt informiert! Erst jetzt erfährt er den Wortlaut der Depesche, mit der Karl seinen Entschluss zu einem Separatfrieden angekündigt hat: „Teuerer Freund!
Es ist meine Pflicht, Dir, so schwer es mir auch fällt, zur Kenntnis zu bringen, dass mein Volk weder imstande noch willens ist, den Krieg weiter fortzusetzen.
Ich habe nicht das Recht, mich diesem Willen zu widersetzen, da ich nicht mehr die Hoffnung auf einen guten Ausgang hege, für welchen die moralischen und technischen Vorbedingungen fehlen, und da unnützes Blutvergießen ein Verbrechen wäre, das zu begehen mir mein Gewissen verbietet.
Die Ordnung im Innern und das monarchische Prinzip sind in der ernstesten Gefahr, wenn wir dem Kampf nicht sofort ein Ende bereiten.
Selbst die innigsten bundesbrüderlichen und freundlichsten Gefühle müssen vor der Erwägung zurückstehen, dass ich den Bestand jener Staaten rette, deren Geschick mir die göttliche Vorsehung anvertraut hat.
Deshalb kündige ich Dir an, dass ich den unabänderlichen Beschluss gefasst habe, innerhalb vierundzwanzig Stunden um einen Separatfrieden und um einen sofortigen Waffenstillstand anzusuchen.
Ich kann nicht anders, mein Gewissen als Herrscher befiehlt mir also zu handeln.
In treuer Freundschaft
Karl“
Wilhelm II. hatte auf diesen „Verrat“ sofort reagiert, Karl telegrafisch beschworen, nur im Einvernehmen mit der deutschen Regierung die Verhandlungen mit den USA fortzuführen – vergeblich. Karl, der sich so oft den Wünschen Berlins gebeugt hatte, der nach der Sixtus-Affäre im April 1918 in völlige Abhängigkeit von der deutschen Führung geraten war, sah nun, in der Stunde der Verzweiflung, nur mehr die Rettung der Monarchie und seines Throns als Ziel. Gemeinsam mit Andrássy tüftelt man an den Formulierungen, der Entwurf geht auch an die designierten Regierungsmitglieder Lammasch, Ignaz Seipel und Josef Redlich, die zu Mittag im Büro von Julius Meinl darüber beraten. Sonntagabend entscheidet man sich am Ballhausplatz endgültig für die Absendung der Note, die über Stockholm nach Washington befördert wird; ihr endgültiger Text, der noch während der Nacht die führenden Männer der Mittelmächte in helle Aufregung versetzen wird, lautet schließlich:
„In Beantwortung der an die österreichisch-ungarische Regierung gerichteten Note des Herrn Präsidenten Wilson vom 18. des Monats und im Sinne des Entschlusses des Herrn Präsidenten mit Österreich-Ungarn abgesondert über die Frage des Waffenstillstands und des