Krebs. Matthias Beck
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Krebs - Matthias Beck страница 4
Je unreifer ein Organismus ist, desto eher können Gene durch äußere Einflüsse geschädigt werden. Aber auch die epigenetischen Schaltmechanismen werden durch Umgebungsbedingungen sowie durch zwischenmenschliche Beziehungen beeinflusst. „Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern“ lautet der Untertitel eines Buches von Joachim Bauer.11 Diese epigenetischen Einflüsse entfalten bei unreifen Organismen wie bei Kindern größere Wirkungen als bei Erwachsenen.12
In der Embryonalentwicklung ist es vor allem der Dialog zwischen Mutter und Kind, der für die weitere Entwicklung von großer Bedeutung ist. Die pränatale Psychologie hat hierzu sehr viel erforscht.13 Umgekehrt gibt es einen sehr frühzeitigen „Dialog“ vom Embryo zur Mutter. Er sendet schon früh Signale, dass sie ihn nicht abstoßen soll. Denn er enthält die Hälfte des Genmaterials vom Vater und dieses Fremdeiweiß würde eigentlich vom Immunsystem der Mutter abgestoßen werden. Durch die Abgabe bestimmter Stoffe (leukemia inhibitory factor, LIF) wird diese Abstoßungsreaktion verhindert. All diese Kommunikationsprozesse stehen wiederum in einem größeren Zusammenhang zwischen den Zellen, den Menschen, letztlich der ganzen Welt. Bereits die genetisch-epigenetischen Verschaltungen bilden eine große Komplexität aus. Auf die 30.000 Gene kommen etwa 1,5 Millionen epigenetische Einflussvarianten. Die Palette der neuesten Erkenntnisse über diese Interaktionsvariabilität ist groß. So hat auch das Denken und Fühlen des Menschen sowie die gesamte Innenwelt des Menschen Auswirkung auf diese Verschaltungen. Das Gehirn hat „direkten Einfluss darauf, welche Gene einer Zelle aktiviert und welche Funktionen von der Zelle infolgedessen ausgeführt werden“.14
Für das seelische Innenleben des Menschen wurde der Zusammenhang zwischen epigenetischen Einflüssen und dem Abschalten von Genen so beschrieben, dass „der seelische Stress der Depression mehrere Gene des Immunsystems ab[stellt], die für die Produktion von Immunbotenstoffen zuständig sind“.15 Das Immunsystem kann also durch das seelische Innenleben des Menschen unterdrückt werden. Auf diese Weise brechen Krankheiten – auch Krebserkrankungen – leichter aus. Bezogen auf zwischenmenschliche Beziehungen und die Auswirkungen auf Krebserkrankungen fasst Joachim Bauer die genetischepigenetischen Verschaltungen so zusammen:
„Dass zwischenmenschliche Beziehungen Einfluss auf die Aktivität von Genen und auf biologische Abläufe haben, hat sich auch für das Immunsystem als zutreffend erwiesen. Stress und Depression verändern [mittels Zellaktivität] die Genaktivität nicht nur bei zahlreichen Immunbotenstoffen (Zytokinen), sondern auch in Zellen des Immunsystems (T-Zellen und Natural-Killer-Zellen), sodass deren Abwehrkraft gegenüber Erregern und gegenüber Tumorzellen entscheidend vermindert ist.“16
Auch das menschliche Verhalten wird neu erklärt und es wird gezeigt, wie Erbanlagen (Genetik) und Umwelt (Epigenetik) sich gegenseitig beeinflussen.17 Es werden zunehmend verschiedene epigenetische „Schalter“ im Gehirn gefunden, die für die Entwicklung des Gehirns und für Krankheiten eine besondere Rolle spielen.18 Auch die Epigenetik von neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer wird genauer erforscht.19 Schließlich wird das Sozialverhalten der Menschen in ihren epigenetischen Auswirkungen auf das Genom untersucht.20 Es scheinen also nahezu alle inneren und äußeren Faktoren Einfluss auf die genetischen Verschaltungen zu haben und damit auch für Krebserkrankungen relevant zu sein.
3. Philosophische Zugänge zum Phänomen „Leben“
Das Leib-Seele-Problem nach Aristoteles und Thomas von Aquin
Nach der Verschmelzung von Samen und Eizelle entwickelt sich der Embryo von selbst weiter. Diese innere Lebensdynamik bezeichnet Aristoteles mit dem Begriff der „Selbstbewegung“. Es geht um die Beschreibung einer Lebensdynamik von innen nach außen. Ein Keim entwickelt sich von innen her zu einem erwachsenen Organismus. Der Embryo wird zum Fetus, zum geborenen Kind, Jugendlichen und Erwachsenen.
Es ist ein zentrales Phänomen des Lebendigen, dass es sich dauernd verändert und doch eine sich durchhaltende „Identität“ besitzt. Dieses Phänomen hat Aristoteles veranlasst, von zwei Prinzipien im Lebendigen zu sprechen: von einem sich durchhaltenden und einem sich verändernden. Das eine nennt er „Seele“, das andere „Materie“. Die Seele beschreibt er als inneres Lebensprinzip, Formprinzip und Ganzheitsprinzip.21 Insofern haben nicht nur der Mensch, sondern auch Pflanze und Tier eine Seele. Genau genommen „haben“ sie keine Seele, sondern sie „sind beseelt“, sie entfalten eine innere Lebensdynamik. Beim Menschen konnte Aristoteles die Seele nicht mit dem Phänomen des menschlichen Geistes zusammendenken. Daher fügt er den Geist von außen hinzu. Dadurch verbleibt bei ihm ein Dualismus zwischen Seele und Geist.
Erst Thomas von Aquin bringt im Mittelalter die Leib-Seele-Einheit des Menschen denkerisch zustande.22 Vor dem Hintergrund seines jüdisch-christlichen Weltbildes, das den Menschen grundsätzlich als eine Einheit betrachtet, bringt er griechisches Leib-Seele-Denken mit jüdischchristlichem Einheitsdenken zusammen.23 Er übernimmt Aristoteles’ Auffassung von der Seele als innere Form des Leibes, konzipiert die Seele allerdings so, dass sie beides in einer Einheit ist. Die Seele wird so entworfen, „daß sie beides zusammen in Identität ist: ihrem Wesen nach ganz Form des Leibes und ganz subsistenter unzerstörbarer Geist“.24 „Subsistent“ heißt hier, dass der Geist dem Inneren des Menschen zugrunde liegt und alle anderen Elemente (auch das Seelische im psychologischen Sinn) zu einer Ganzheit integriert. Daher spricht Thomas auch von der „Geistseele“ („anima intellectiva“) als der inneren Mitte des Menschen. Die Tierseele als die sensible und fühlende Seele nennt er „anima sensitiva“ und die Pflanzenseele „anima vegetativa“ (ernährende Seele). Die Medizin kennt noch das Vegetativum oder das autonome Nervensystem, das vom Menschen kaum direkt willentlich beeinflusst werden kann.
In der Philosophie des Thomas von Aquin sind im Menschen alle diese drei Seelenanteile zu einer vereint. Die eine Seele in ihren dreidimensionalen Aspekten formt von innen her den Körper zum Leib. Thomas bringt diesen Sachverhalt in folgender Kurzformel auf den Punkt: „anima forma corporis“, „die (Geist-)Seele formt den Körper zum Leib“. Diese Gegebenheit kann man auch für den Alltag konkret machen: Das Geistsein hängt unmittelbar mit dem Gefühlsleben zusammen und dieses wiederum mit dem Vegetativum.
Konkret ausgedrückt: Das Denken des Menschen ist immer von Gefühlen begleitet und schlägt sogar manchmal bis ins Vegetative durch. Wenn eine Entscheidung zu treffen ist und jemand darüber nachdenkt (Vernunft, „anima intellectiva“), ob er dieses oder jenes tun soll, sind seine Gedanken mit bestimmten Gefühlen verbunden (sensible Anteile, „anima sensitiva“). Bei bestimmten Entscheidungen fühlt der Mensch sich wohl und freut sich, bei anderen ist er unruhig, unglücklich, deprimiert. Die Angst vor einer bevorstehenden Prüfung beispielsweise kann sogar über die Ebene des Gefühls hinaus auf das Vegetativum durchschlagen und zu Übelkeit und Diarrhö führen. Hier zeigt sich die Einheit von Geist (Denken), Seele (Gefühl, Erleben) und körperlichen Auswirkungen (Übelkeit). Die Richtung dieser Kaskade ist dabei vorgegeben: Es beginnt mit dem Gedanken an die Prüfung, ist begleitet von Gefühlen und führt zu körperlichen Reaktionen der Übelkeit. So gibt es ein Gefälle vom Gedanken über das Gefühl zum leiblichen Erscheinungsbild – nie umgekehrt. Der Prozess beginnt eben nicht bei der Übelkeit und führt von dort aus zum Gedanken an die Prüfung, sondern umgekehrt vom Gedanken zum körperlichen Symptom – allgemeiner gesagt: vom Geist zur Materie. So ist die Einheit von Geist, Seele und Körper (Leib) philosophisch ableitbar und auch im Alltag erfahrbar.25
Diese Leib-Seele-Einheit kann auch auf andere Weise philosophisch gezeigt werden, nämlich anhand eines wesentlichen Vollzugs menschlichen Lebens, am Phänomen der Erkenntnis. Erkennen ist ein Wesensmerkmal des Menschen. Der Mensch strebt von Natur aus nach Wissen (und Erkenntnis), so lautet ein Satz der Metaphysik von Aristoteles.26 Daher zeigt Thomas von Aquin die Einheit von Seele und Leib auch anhand