Finde deine Lust!. Nicole Siller
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Hysterische und frigide Frauen
Frauen, die ihre Lustbedürfnisse und ihre Sexualität nicht ganz unterdrücken wollten oder konnten, nannte man hysterische Frauen – und ihrer gab es nicht wenige. Manche der wohlhabenderen wurden zum Arzt geschickt, der sie gar nicht so selten manuell zum Orgasmus massierte. Was für ein Job – man stelle sich das heute vor! In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfand der britische Mediziner Joseph Mortimer Granville schließlich den Vibrator, die Handarbeit war vielen Ärzten zu mühsam geworden (danke, Joseph Mortimer Granville!).
Auf der anderen Seite wurden (und werden bis heute) Frauen als frigide bezeichnet – nämlich dann, wenn sie sich dem Sex, aus welchen Gründen auch immer (Angst, Traumata, Unwissenheit, körperliche Einschränkungen, Schmerzen, hinderliche Glaubenssätze etc.), nicht hingeben konnten, bzw. wenn es nicht möglich war, ihrem Mann durch reinen Geschlechtsverkehr seinen Orgasmus zu schenken.
Sandra Konrad weist in „Das beherrschte Geschlecht“ darauf hin, das weibliche Lust ein Mysterium war und es teilweise noch immer ist. Je nach Epoche und Zeitgeist habe eine andere Haltung vorgeherrscht: Entweder hätte sie gebändigt oder geweckt werden müssen, wäre sie gefürchtet oder herbeigesehnt, überhöht oder übersehen worden. Einst sei sie unterdrückt worden, heute werde sie per Pille verschrieben.
Ein wechselhaftes 20. Jahrhundert
Im vergangenen Jahrhundert gab es dann wohl die komprimierteste Entwicklung „rund um die weibliche Sexualität“ und starke Pendelausschläge in unterschiedliche Richtungen. Den schweren Jahren während des Ersten Weltkrieges folgten die wilden 20er und die schlimme Zeit des Zweiten Weltkrieges. Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit, der Beginn der Emanzipationsbewegung und des Feminismus, das 68er-Jahr mit den Versuchen der freien Liebe – die Herausforderungen, aber auch die neuen Möglichkeiten waren da für manche groß.
Mit Willen und Mut auf neuen Wegen
Zusammenfassend kann man sagen: Trotz all der widrigen Umstände haben Frauen aber immer wieder auch Wege gefunden, ihre Sexualität lustvoll zu leben, vorausgesetzt, sie wollten es und waren mutig genug – wenn schon nicht wirklich frei, selbstbestimmt und gleichwertig.
Frauen und Sexualität heute
Männliche Sichtweisen – noch zeitgemäß?
Wir waren und sind in unserer Lust immer noch von männlich dominierten Maßstäben und Bewertungen abhängig. Gerade auf „moderneren Kanälen“ wie Instagram, Facebook, Snapchat & Co scheint sich nicht viel geändert zu haben – zu oft fragen sich Frauen dort (wenn auch nicht direkt): Gefalle ich?
Der Beginn und das wahre Leben
Heute wissen wir definitiv sehr viel darüber, wie eine sinnliche, erotische Liebe beginnt, besser gesagt, wie sie beginnen sollte. Man denke an Tinder und all die anderen Plattformen: Hier erwarten wir uns schon vor dem ersten Treffen ausreichend Wissenswertes – ein entspanntes Sich-Annähern, ein wirkliches Kennenlernen durch Begegnung braucht dann etwas Zeit. Auch die Filmindustrie zeigt uns allerorten, wie Liebe starten und sein soll: romantisch, leidenschaftlich, für immer. Allerdings endet beinahe jeder Film dort, wo das wahre Leben beginnt.
Anziehung und dann?
Wie auch immer wir „gestartet“ sind, Sexualität beginnt meist mit einer starken Anziehung – das ist heute oft DER Grund, warum wir uns für jemanden entscheiden. Falls eine Beziehung daraus wird, also mehr als nur das Begehren verbindet, eröffnen sich – theoretisch – durch gemeinsames Gestalten, Probieren, Annehmen und Verführen bzw. Sich-verführen-Lassen unendliche Spielfelder. Viele erwarten jedoch, dass es von selbst so bleibt, wie es zu Beginn war. Das passiert in den allerwenigsten Fällen.
Wie Liebe bzw. Beziehung so gelebt wird, dass sie zumindest über einen gewissen Zeitraum für beide Teile als anregend, nährend, freudig und lustvoll erlebt werden kann – das zeigen uns die Filme nicht. Aber auch im echten Leben gibt es hier oft wenig Kompetenz. Natürlich haben sich neue Formen der Partnerschaft entwickelt und sind inzwischen salonfähig geworden: Gar manche Ehe (bisweilen sogar jede zweite!) hält nicht mehr bis in alle Ewigkeit, im Laufe des Lebens gibt es für viele Menschen mittlerweile mehrere Lieben und Beziehungen (schön, dass wir heute entscheiden können). Ob die dadurch gewonnenen Erfahrungen aber immer „lehrreich“ waren oder ob die „alten“ Muster weitergelebt werden, sei dahingestellt.
Über viele Generationen vererbte und oftmals auch unbewusst weitergegebene Verhaltensmuster und Sichtweisen wirken natürlich immer noch nach. Auch wenn wir dies partout nicht mehr wollen und uns selbst ganz bewusst und achtsam verhalten, es ist unsere Entwicklungsgeschichte: So manche Denkweise, so mancher moralische Anspruch sind auch heute noch dermaßen in uns Frauen verankert, dass wir nicht erkennen, wie sehr wir uns selbst und einander einschränken. Glaubenssätze und Mythen hemmen uns heute wie damals.
Mythen, Mythen, Mythen
Es gibt reihenweise Literatur über Mythen, die uns nach wie vor prägen – hier seien nur einige erwähnt: Das erste Mal tut weh, ein Orgasmus gehört immer dazu, Männer wollen immer, Männer können immer, der Orgasmus des Mannes ist wichtiger, nur spontaner Sex ist gut, Pornos stimulieren, je größer der Penis, umso mehr Spaß für sie, nur Frauen können einen Orgasmus vorspielen, bei richtig gutem Sex kommen immer beide gleichzeitig, frau muss nicht erregt sein, einen Penis aufnehmen kann sie immer usw. usf.
Das Glück des Mannes heißt: ich will! – Das Glück des Weibes heißt: er will!
Friedrich Nietzsche, „Also sprach Zarathustra“
Mythos gute Mutter
Auch heute noch haben viele das Bild der „guten Frau“ im Kopf. Die Hure oder Schlampe, also der sexuell aktive, lustvolle und freie Teil der Frau, hat spätestens mit dem ersten Kind und den Herausforderungen des Alltags das Ehebett zu verlassen. Die Frauen, mit denen Männer eine alltagstaugliche Partnerschaft leben und Kinder großziehen möchten, soll doch bitte seriös, mütterlich, verständnisvoll, schon auch selbstständig, in jedem Fall aber alltagstauglich und geduldig sein.
Die Guten ins Töpfchen
Wir müssen nicht weit schauen: Einige der alten Geschichten und Verhaltensweisen sind wir vielleicht zum Teil losgeworden, dafür haben wir uns neue geschaffen: Die allgegenwärtigen Medien halten