Loverboy. Astrid Seehaus
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„Seit wann stehst du auf Rosa?“, versuchte Carel zu scherzen, der sich in Zaschas Gegenwart immer unwohl fühlte.
„Hat mir ’ne Tusse gegeben“, antwortete Zascha und konzentrierte sich auf den Film, der vor ihm ablief.
Sein wölfisches Grinsen gefiel Carel nicht sonderlich. Er warf einen flüchtigen Blick auf das Display, sah die dunklen Haare, die helle Haut, die aufgerissenen Augen und befahl: „Stell das ab!“
„Warum denn? Du hast es doch noch gar nicht gesehen.“
„Stell das ab!“, wiederholte Carel schärfer. Die Bilder tauchten von alleine auf, dazu brauchte Carel keinen Film: wie Zascha das Mädchen in die Wohnung gedrängt und mit der Waffe an ihrer Stirn gezwungen hatte, ihm gefällig zu sein. Es war eine ordentliche, wenn auch kärgliche Wohnung in einem Mietshaus gewesen, in dem es abgestanden gerochen hatte, in dem der eine Nachbar nichts mit dem anderen zu tun haben wollte, wenn die Wohnungen nicht sowieso gerade leer standen. Zascha war auf Droge gewesen und in diesem Zustand zu allem fähig. Womöglich hätte er das Mädchen erschossen, hätte Carel sich ihm in den Weg gestellt. Er war gegangen, besser gesagt, geflohen, und hatte im Auto auf seinen Boss gewartet. Nachher hatte Zascha behauptet, er hätte die Kleine doch nur für ihn zurechtgefickt. Carel hatte ihn ignoriert und war losgefahren. Und das würde er auch dieses Mal tun.
„Ist das alles, was du mir zeigen wolltest?“, fragte Carel kurz angebunden.
„Sei doch nicht so ein Spielverderber“, entgegnete Zascha beleidigt und stieg grußlos aus.
Carel unterdrückte einen derben Fluch, ließ den Wagen stehen und folgte Zascha, um die miese Stimmung zu kitten.
Heiligenstadt - Montagvormittag
Frank Rothe überflog zähneknirschend die Fußballergebnisse vom Wochenende. Rot-Weiß kam wirklich nicht aus dem Knick. Er mochte zwar neuerdings im Eichsfeld leben, aber fußballtechnisch schlug sein Herz weiterhin für Erfurt.
Frustriert faltete er die Zeitung zusammen. Er konnte nicht umhin, die Fußgängerzone abzuscannen, als wäre er im Einsatz. Berufskrankheit. Zudem bereitete ihm Untätigkeit, auch wenn es nur für eine halbe Stunde war, ein unangenehmes Gefühl. Diese Unruhe übertrug sich auf sein rechtes Bein, das übergeschlagen unter dem Cafétisch wippte.
Er fragte sich, was seine Tochter so plötzlich von ihm wollte. Jessi hatte gesimst, dass sie ihn „ganz schnell“ sehen müsse. Typisch für einen Teenager in ihrem Alter: Ein Gedanke, der auftauchte, musste sofort in die Tat umgesetzt werden. Und er hatte natürlich nichts Dringenderes zu tun, als zum vereinbarten Treffpunkt zu eilen. Würde er jemals damit aufhören, sich Sorgen um sie zu machen? Seit dem Attentat vor knapp zehn Jahren bezweifelte er das. Und Jessis Selbstmordversuch vor wenigen Monaten bestätigte ihn darin. Doch nicht jede SMS, nicht jeder Anruf war Bote für eine neue Katastrophe.
Über Rothes Gesicht huschte ein Lächeln, die Ungeduld hatte sie von ihm. Nun gut, er war da. Wer nicht da war, war sie. Hatte sie nun doch keine Freistunde? Während er sich um Ruhe bemühte und sich auferlegte, den Moment zu genießen, die Morgensonne wie den Cappuccino, beobachtete er die Vorübergehenden. Eine Mutter schob gerade ihr plapperndes Kleinkind im Buggy vorbei, und ein älterer Herr trat mit einer Zeitung unter dem Arm aus dem Buchladen.
Im Vergleich zu Erfurt erschien das Leben in der Kreisstadt weniger hektisch, auch wenn sich die Geschäftstüchtigkeit mit der in Erfurt nichts nahm. Es war allein die Größe, die den Unterschied machte. Rothe konnte sich nicht daran erinnern, sich jemals in Erfurt Zeit für einen gepflegten Kaffee genommen zu haben. Vielleicht hatte er es getan, aber das war dann lange her. Seit Manuelas Tod galt für ihn nur eines: Jessica Freude am Leben zu vermitteln. Er verdrängte den Gedanken, wie wenig geeignet er dafür war.
Ihm kamen die unterschiedlichen Formen von Liebe in den Sinn. Die Vaterliebe, von der sein Freund Sven behauptete, er würde es damit übertreiben. Die Liebe zu den Eltern und Geschwistern. Die Liebe zu den schönen Dingen des Lebens, für die er seit Jahren keinen Blick mehr hatte. Und die Liebe zu einer Frau. Zur Liebe gehörte die Treue und diese war für ihn keine leere Worthülse, auch wenn sich Sven immer wieder darüber lustig machte.
Bis vor Kurzem noch war die Liebe für ihn etwas gewesen, das ihn mit Manuelas Tod für immer verlassen zu haben schien. Als zweiundvierzigjähriger, alleinerziehender Kriminalbeamter mit Überstunden und einem Rucksack voller Probleme hatte er geglaubt, von einer romantischen Beziehung so weit entfernt zu sein wie Rot-Weiß von einem Aufstieg in die Bundesliga. Und dann war es passiert. So unerwartet und in diesem Moment, wo er hier saß und darüber nachdachte, ebenso unwirklich. Es war nur eine Nacht gewesen, die sie miteinander verbracht hatten. Eine fantastische Nacht, erfüllt von einer Lebendigkeit, die er schon seit Jahren nicht mehr gespürt hatte. Sie hatten geredet, gelacht und sich geliebt, und wenige Wochen später war es wieder vorbei gewesen. Als ob sich alles nur in seiner Fantasie abgespielt hätte. Wie elektrisches Licht hatte sie das, was in diesen leuchtenden Momenten zwischen ihnen entstanden war, wieder ausgeknipst. Ohne eine Erklärung. Nach ein paar Tagen Auszeit, die sie sich spontan genommen hatte, verhielt sie sich ihm gegenüber, als ob nie etwas zwischen ihnen vorgefallen wäre. Natürlich war er enttäuscht, aber schlimmer war, dass ihn diese Ungewissheit schier wahnsinnig machte. Behandelte sie ihn so, weil sie Kollegen waren? Trauerte sie noch seinem Vorgänger hinterher? Sie war nicht zu durchschauen. Hauptmeister Simone Nolte, schon vom ersten Augenblick an hatte sie ihn fasziniert.
Er starrte die Wilhelmstraße hinauf. Hinter dem Theodor-Storm-Museum, einem prächtigen Fachwerkhaus, konnte man auf dem Hügel die gotische Sankt Martin Kirche und die Schule sehen – eine der schönsten Stellen in Heiligenstadt. Jessi sollte bald aus dieser Richtung kommen. Wiederholt sah er auf die Uhr. Er musste zurück aufs Revier. Wenn sie nicht gleich erschien, würde er gehen, ob es nun wichtig war oder nicht.
Eine Bewegung, die er aus den Augenwinkeln wahrnahm, riss ihn aus den Gedanken. Reflexartig sprang er auf, als der Ball angeflogen kam und die Tasse vor ihm zu zerschmettern drohte. Geschickt nahm er ihn mit dem rechten Oberschenkel an, ließ ihn abtropfen und lupfte ihn mit dem linken Fuß nach oben, Vierteldrehung, Hacke, Rückdrehung, Spann, Knie. Für einen kurzen Moment hatte er vergessen, dass er nicht mehr zwölf war. Er fühlte eine unbändige Freude, bis ein anerkennender Pfiff der Sache ein Ende setzte. Verlegen passte er den Ball dem Jungen auf der anderen Straßenseite zu. Der Junge mochte vierzehn sein und war, wie es aussah, auf dem Weg zur Schule. Er sagte nichts, als er den Ball geschickt mit dem Fuß stoppte und in die Hand nahm. Aber sein Grinsen drückte pure Bewunderung aus. Frank Rothe musste ebenfalls grinsen. Er war längst noch nicht tot, auch wenn er sich bisweilen so fühlte.
Als er sich wieder setzte, kam ihm auf einmal alles freundlicher vor. Die Bedienung flirtete mit ihm. Sonnenstrahlen flirrten durch die Äste der Linde vor dem Café und zeichneten Muster auf das Pflaster. Die bunten Fassaden der Häuser verströmten eine leuchtende Fröhlichkeit. Er beobachtete einen Zulieferer, wie er seinen Wagen parkte und Ware auslud. Eine Angestellte des Buchladens stellte einen Tisch mit Büchern aus der Region vor die Tür. Rothe trank den kalten Rest vom Cappuccino. Selbst der schmeckte noch besser als die Plörre, die es früher gegeben hatte. Die Erinnerung an eine Familienfeier und das angewiderte Gesicht seiner Mutter über Erichs Krönung reizte ihn zum Lachen. Er überlegte, sich einen zweiten Cappuccino zu bestellen, verwarf den Gedanken aber gleich wieder.
Ein Mann setzte sich an den Nebentisch, ein paar Jugendliche eilten zur Schule. Jessi ließ weiterhin auf sich warten.
Beim Aufschauen fiel sein Blick auf zwei junge Frauen. Auf Stilettos staksten sie ungelenk an