Loverboy. Astrid Seehaus
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Loverboy - Astrid Seehaus страница 8
Die durchgemachten Nächte forderten ihren Tribut, er konnte nicht mehr klar denken. Ihm entglitt die Kontrolle. Mit einem Ruck brachte er den Wagen zum Stehen, riss die Tür auf und sprang raus. Er sah sich um.
Wo verdammt war er nur hin?
Die von der Autobahn zerschnittenen Äcker verloren sich im Dunkel. Die quaderförmigen Gebäude der Gewerbegebiete, angestrahlt durch die Straßenbeleuchtung, hoben sich vom Nachthimmel ab. Was wollte Zascha hier?
Er musste sich zusammenreißen. Er musste nachdenken. Man verließ sich auf ihn. Zascha war seine Aufgabe, und nun war ihm ein weiterer Fehler unterlaufen. Carel presste seine Fingerkuppen gegen die Schläfen, dass es schon schmerzte.
„Was geht in Zascha vor? Versuch es, du Idiot! Was geht in diesem Verrückten vor? Was? Denk nach, Carolus! Denk nach!“
Die Erkenntnis kam so schlagartig, dass er sich vor Übelkeit krümmte.
Das Mädchen hatte nicht geschlafen. Sie war auch nicht bewusstlos. Sie war tot. Und nun würde Zascha versuchen, die Leiche zu beseitigen. Natürlich würde er das. Es war Zascha, um den es ging, und der war zu allem fähig. Der würde die Leiche beseitigen.
Carel stürzte zurück zum Auto. Er war sich sicher. Zascha würde nicht in die Stadt fahren. Nicht mit einem Mädchen, das tot war. Noch nicht einmal Zascha war so irre und fern der Realität. Aber was hatte er mit ihr gemacht? Was hatte das Schwein angestellt?
Irgendwo in dieser Umgebung musste Zascha eine Stelle kennen, wo er eine Leiche entsorgen konnte, ohne entdeckt zu werden. Irgendwo hier am nördlichen Stadtrand. Carel zermarterte sich das Hirn, was Zascha ihm einmal in zugekokstem Zustand, nicht mehr ganz Herr seiner Zunge, zugeraunt hatte. Der beste Platz, um eine Leiche loszuwerden, sei eine Stelle im Norden. Dort kenne er einen Ort, wo sich nur noch herrenlose Hunde verkröchen – und Ratten. Da gebe es nichts, außer Dreck. „Dreck gehört zu Dreck“, hatte Zascha gelallt, und Carel hatte nur gedacht: Was für ein affiges Gequatsche! Doch Zascha hatte nicht aufgehört mit dem Gebrabbel. Der Müll stapele sich bis zur Dachrinne und niemals seien dort Menschen anzutreffen, außer deren Geister. Dabei hatte Zascha gelacht, und Carel hatte es als Fantasie eines durchgeknallten Junkies abgetan.
Jetzt fragte er sich, ob Zascha einen Friedhof gemeint haben könnte, verwarf den Gedanken jedoch. Die Erwähnung von Geistern war wieder mal nur Zaschas Hang zur Theatralik zu verdanken gewesen und der Müll passte nicht ins Bild. Es musste sich um einen anderen Platz handeln.
Carel kannte den Norden Erfurts nicht. Hierher war Zascha nie mit ihm gefahren. Warum auch? Hier gab es nichts außer Feldern und Gewerbe. Intuitiv nahm er die Straße Richtung Westen. Die Gegend wirkte ruhig, fast wie ausgestorben. Auch eine pulsierende Stadt hatte ihre stillen Momente. Wenn er an den Seitenstraßen vorbeirollte, sah er nach links und rechts, in der Hoffnung, den schwarzen Subaru zu entdecken. In der Ferne hörte er die Autobahn. Ein aufgemotzter Trabi zog qualmend an ihm vorbei.
Als er sich den Bahngleisen näherte, war die Schranke unten. Vor ihm knatterte der Trabi, auf der anderen Seite der Gleise sah er weitere Fahrzeuge geduldig warten. Er stellte sich die Frage, ob Zascha darunter wäre. Bei dem grellen Scheinwerferlicht konnte er nichts erkennen, und so bog er spontan rechts in einen schmalen Weg ein. Das Abblendlicht schaltete er aus und rollte langsam vorwärts. Es war nur eine kurze Sackgasse, wie er bald erkannte, und die einzige Beleuchtung, die es gab, hatte er nach wenigen Metern passiert. Nur mit Mühe gelang es ihm, die Schlaglöcher zu umfahren, zumal Wasser sie in Pfützen unabsehbarer Tiefe verwandelt hatte. Die schwachen Lichtreflexe auf dem Wasser halfen kaum, um etwas zu erkennen. Er parkte schließlich hinter dornigem Gestrüpp.
Von Zaschas Auto fehlte jede Spur, und trotzdem war Carel sich sicher, dass er in der Nähe war. Sein Gehirn war auf Zascha-Modus eingestellt. Er fühlte sich in das unrhythmische Ticken eines Junkies ein. Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, checkte er die Umgebung. Er nahm alles in sich auf: den Wind, die Nachtgeräusche, das leichte Nieseln, das sein Gesicht kitzelte und ihm eine Gänsehaut verursachte. Die Anspannung ließ ihn schaudern. Vielleicht war es aber auch Angst, belebt durch die zahllosen Horrorfilme, denen er sich als Jugendlicher ausgesetzt hatte.
Vor ihm zeichneten sich im schwachen Licht der nahen Gleisfeldleuchten die Umrisse mehrerer Baracken ab. Wenn Zascha eine Leiche loswerden wollte, dann war das der ideale Platz. Aber es würde für ihn schwer werden, Zascha und das tote Mädchen zu finden. Dieses Gelände sah aus wie die Hölle, wie ein Schlachtfeld, auf dem Giganten einen Kampf auf Leben und Tod ausgefochten hatten. So würde es Zascha ausdrücken. Carel sah es nüchterner: Die Gebäude waren Ruinen. Die Dächer waren eingestürzt, die Wände eingefallen, überall lag Bauschutt vermischt mit dem Unrat vieler Jahre. Vom Sperrmüll bis zu unzähligen Müllsäcken, aufgerissen und zerfetzt, der Inhalt vom Wind verteilt – hier war alles abgeladen worden, was man nicht mehr brauchte. Ein ideales Versteck für Dinge oder Menschen, die verschwinden sollten. Bis jemand sich ein Herz fassen, das Grundstück übernehmen und aufräumen würde. Nur wann würde das sein? Niemand schien Interesse an diesem heruntergekommenen Gelände zu haben.
Nur mit Mühe erkannte Carel Umrisse von Maschinen und Containern, die Regen und Wind ausgesetzt waren und vermutlich schon seit Jahren vor sich hin rosteten. Maschinen, die einst einen Wert besessen hatten. Fässer waren offensichtlich für einen Abtransport zusammengestellt und dann doch nicht abgeholt worden. Der Wind fuhr unter eine Kunststofffolie, und das plötzliche Knattern ließ Carel zusammenfahren.
Hatte er sich vielleicht doch geirrt? War es nicht Zaschas krankes Hirn, das ihn aufrieb, sondern sein eigenes? Warum war er sich so sicher, dass das Mädchen tot war? Vielleicht hatte sie wirklich geschlafen. Doch was, wenn sie bewusstlos war? Was würde Zascha dann mit ihr tun?
Carel rieb sich die Augen. Diese Müdigkeit nervte ihn. Sie machte ihn unkonzentriert. Ratlos lauschte er in die Nacht hinein. Der Wind hatte zugenommen, und es war schwer, etwas in diesem böigen Rauschen auszumachen. Weit entfernt hörte er das zornige Hupen eines Lastwagens, etwas flatterte neben ihm auf. Erschrocken fuhr er herum und versuchte seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen, als er einen Nachtvogel davonfliegen sah. Das nahe Aufheulen eines Motors ließ ihn auf einmal hoffen. Er stolperte um ein Häuschen herum, in dem vielleicht einst das Büro untergebracht gewesen war, und erspähte einen rollenden Schatten, der sich vom Gelände entfernte.
Noch einmal war der Zufall in dieser Nacht Carels bester Freund. Das Mädchen war in seiner Nähe. Er spürte es. Er spürte es so sehr, als ob jemand ihn an die Hand nähme und zu ihm führte. Als Carel sich langsam vortastete, fiel er über eine räudige Katze, die ihm aufkreischend die Krallen in den Knöchel hieb. Fluchend rieb er sich die schmerzende Stelle, und dann sah er sie. Vielmehr zuerst das Kleid. Zascha hatte sich nicht die Mühe gemacht, das Mädchen zu verstecken. In dem weißen Kleid wirkte es auf den schwarzen Müllsäcken wie die umgefallene Marzipanfigur einer Hochzeitstorte. Er musste sich sehr sicher gewesen sein, dass niemand diese Hölle betreten würde. Wer kam auch schon freiwillig hierher?
Nun, Zascha hatte sich getäuscht, Carel war hier, und das wiederum bedeutete, dass Zascha keine Ahnung hatte, dass er verfolgt worden war.
Carel suchte mit zittrigen Fingern den Puls des Mädchens. Seine Haut war weich und samten. Aber es war kein Leben auszumachen. Er war zu spät gekommen. Zu spät. Wie profan das doch klang. Man kam zu spät zu einer Verabredung. Zu spät zum Unterricht. Man verpasste den Bus, weil man zu spät war. Aber zu spät zu sein, um das Leben eines Menschen zu retten? Das war so … unglaublich banal. Er ballte die Fäuste und wusste eines: Dieses Schwein würde ihm nicht so einfach davonkommen!
Heiligenstadt - Montagvormittag
Rothe schnaubte leise, als der Mann am Nebentisch