33 Tage. Marko Rostek

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33 Tage - Marko Rostek

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sind ein sanftes Zurückfahren der Maschine und ein damit einhergehendes sanftes Hingleiten zum Steg nicht möglich. „Hoffentlich gelingt es den Männern, die Haltetaue gleich zu fassen“, denkt der Kapitän, als er beim ersten Versuch, den Pier zu erreichen, die Maschine drosselt. Mit einem dumpfen Schlag, der das Schiff erzittern lässt, schlägt die Fähre steuerbord an den hölzernen Landungssteg. Die Pferde und die Leichenwägen rutschen ein kurzes Stück seitlich weg, kommen aber sofort wieder zum Stillstand. Einige der Begleitpersonen stürzen, aber glücklicherweise gelingt es den Matrosen und den Helfern an Land, die Fähre rasch zu stabilisieren. Als der Kapitän von unten die Meldung bekommt, dass man weitestgehend gut vertäut am Landungssteg liege, atmet er tief aus und dankt Gott, dass er die heikle Ladung sicher aus seinem Verantwortungsbereich entlassen kann.

      Es ist kurz nach drei Uhr früh an diesem 4. Juli, als die Begleitmannschaft mit dem Anlanden der Leichenwägen beginnt. Die Männer sind nass bis auf die Haut und müde von den Anstrengungen der Nacht. Viele sind seit den frühen Morgenstunden unterwegs und jetzt steht ihnen der schwierigste und anstrengendste Teil des Weges noch bevor. Vom Schiff bis zum Schloss Artstetten gilt es, an manchen Stellen einen unbefestigten und steilen Karrenweg zu befahren, der schon am Tag und bei schönem Wetter eine Herausforderung für so manchen Fuhrmann darstellt. Zaghaft beginnt man mit der Abfahrt über die Landungsbrücke auf den Steg, das alte Holz quietscht, knarrt unter der Belastung und ist rutschig wie Schmierseife. Vorsichtig bewegen sich die Pferde, als ein weiterer gewaltiger Blitz und kurz darauf ein ohrenbetäubender Donnerschlag allen ins Gebein fahren. Die Pferde des ersten Wagens scheuen, schlagen aus. Kurz bevor sie außer Kontrolle geraten, können sie von den Begleitern gerade noch im Zaum gehalten werden. Da gellt ein Schrei durch die Nacht und übertönt beinahe die Urgewalten des Gewitters. Alle blicken auf und sehen, wie der Sarg auf dem Wagen zu rutschen beginnt und in die Donau zu stürzen droht. In letzter Sekunde gelingt es einem der anwesenden Hellebarden der Trauer-Eskorte, den Sarg mit einem der Schiffshaken zum Stehen zu bringen. „Nur runter von meinem Schiff, so schnell wie möglich“, brüllt der Kapitän, der die Szene hilflos auf seiner Brücke mit ansehen muss. Mit vereinten Kräften gelingt es schließlich, die beiden Wagen vom Schiff auf das befestigte Ufer zu bringen. Es regnet nach wie vor in Strömen, sodass die Männer immer absetzen müssen, um sich das Wasser aus den Augen zu wischen.

      Jetzt haben sie das beschwerliche Teilstück vom Flussufer über die Böschung hinauf zur Straße vor sich, das bei diesen Wetterbedingungen der Mannschaft die letzten Kraftreserven abverlangt. Als die Männer die beiden Wagen nach oben hieven und die Straße erreichen, haben die Matrosen auch die Fähre fest vertäut und ziehen sich in die Kajüte zurück, um für die Rückfahrt besseres Wetter abzuwarten. Jene an den Hofleichenwägen haben indes keine Möglichkeit des Rückzugs in ein trockenes Lager, sondern kämpfen sich tapfer durch die Sturmböen. Mit laut schmatzenden Lauten klatschen die großen, schweren Tropfen auf die Wagen, sammeln sich auf den Dächern, fließen als breite Rinnsale entlang der Dachränder ab und bilden einen unaufhörlichen, fingerdicken Wasserstrahl, der, von Sturmböen bald nach links, bald nach rechts weggedrückt, auf die Erde prasselt.

      Endlich lässt der Regen nach und auch die Sicht wird besser. Die schwierigen Passagen des Weges hat man mittlerweile glücklich gemeistert. Am nebelverhangenen Horizont zeigt sich das erste Grau des neuen Tages und vor sich sehen die Männer die letzte Steigung, die zwischen ihnen und der Hochebene von Artstetten liegt. Mannschaft und Pferde sind müde, aber der verantwortliche Kommandant treibt sie immer wieder an. Gespenstische Nebelschleier formieren sich ab und an rechts und links des Weges und begleiten den Trauerzug ein Stück, bevor sie sich auflösen und wieder verschwinden. Nachdem auch der letzte Anstieg überwunden ist, öffnet sich der Wald und gibt den Blick auf die vor ihnen liegende Ebene frei. Der Trauerzug mit den beiden Hofleichenwagen zieht vorbei an grünen, mit großen, alten Obstbäumen reich bepflanzten Wiesen. Große Seen haben sich zwischen den Bäumen gebildet und es wird sicherlich ein paar Tage dauern, bis der Boden die Nässe des Regens aufnehmen und weiter in die Tiefe leiten kann. Mit zunehmender Helligkeit können die Männer Einzelheiten in der Landschaft erkennen, an der sie vorbeiziehen. Heuschober sind in der Ferne auszumachen und im Hintergrund ist bereits die Silhouette der Pfarrkirche von Artstetten zu sehen. Abgesehen vom Klappern der Hufe und den schlurfenden Schritten ist es totenstill. Mühsam gehen Mensch und Tier die letzten Schritte des Weges neben den Särgen einher. Jetzt zeigen sich bereits die ersten Häuser des Dorfes, deren Dächer rot durch die Nebelschwaden und das Laub leuchten. Ein paar Schritte weiter sehen sie das Schloss Artstetten, das Ziel der Mühen.

      Kurze Zeit darauf kommt der Trauerzug in den frühen Morgenstunden völlig erschöpft in Artstetten an. Die Särge werden von der kleinen Dorfgemeinschaft bereits erwartet und für die in wenigen Stunden angesetzte Trauerzeremonie in die Kirche gebracht. Männer des Dorfes spannen die Pferde aus und entlassen sie auf die nächstgelegene Weide, während die Begleitmannschaft sich im einzigen Gasthof des Ortes wärmen und die Kleider trocknen kann. Auch für eine heiße Mahlzeit ist gesorgt. Für ausgiebige Ruhe ist jedoch keine Zeit. Zum letzten Mal werden nun für das ermordete Thronfolgerpaar Trauerfeierlichkeiten abgehalten. Nur die engsten Familienangehörigen sowie Erzherzog Karl und seine Gemahlin Zita kommen nach Artstetten, wo die Särge nach der Messe von der Dorfkirche in die vorbereitete Familiengruft unter dem Schloss gebracht werden. Begleitet werden die Särge dahin nur von jenen, die genau wissen, was sie an Erzherzog Franz Ferdinand verloren haben.

      ***

      „Bitte einsteigen und Türen schließen. Der Zug fährt ab“, hallt es metallisch und nur schwer verständlich aus den Lautsprechern. Im hinteren Zugteil, wo sich die Schlafwagen befinden, besteigt ein korpulenter Mann einen Waggon. Suchend blickt er auf jedes Türschild, an dem er vorbeikommt, und vergleicht es mit den Daten in seinem Gedächtnis. In der Mitte des Waggons wird er fündig. Den Koffer und die ungewöhnlich umfangreiche Aktentasche vor sich in das Abteil schiebend, drückt er sich hinterher. Sorgfältig verschließt er die Tür, und als der Zug mit einer ruckenden Bewegung langsam abfährt, hebt der Mann gerade den Koffer in das Gepäcksnetz über der Salonliege. Er bleibt noch eine Weile stehen, zieht die Taschenuhr an der silbernen Kette aus der Jacketttasche und blickt lange darauf. „Ausgesprochen pünktlich …“, denkt er und beobachtet, wie der Sekundenzeiger das Ziffernblatt umrundet. Das Signalhorn, das durch energisches Tuten die Ausfahrt aus dem Bahnhofsgelände und damit einhergehend eine höhere Fahrgeschwindigkeit ankündigt, reißt ihn aus seinen Gedanken. Der 55-jährige Diplomat setzt sich in Fahrtrichtung auf einen Platz und sieht die Vororte Wiens vorbeiziehen. Die umliegenden Hügel sind bereits von der untergehenden Sonne in rötliches Licht getaucht und kündigen eine angenehme, warme Nacht an.

      Zu Mittag hat ihn der Minister des Äußeren zum wiederholten Male in sein Büro zitiert, um mit ihm die Wichtigkeit der bevorstehenden Mission zu besprechen. Er hat Instruktionen für sein Verhalten, Informationen zu seinen Gesprächspartnern und sogar Leitfäden für mögliche Gesprächsinhalte bekommen. Man hat ihn mehrmals mit Situationen und Personen konfrontiert und seine Reaktionen und Antworten geschult. Nichts soll dem Zufall überlassen werden, das Ergebnis seiner Mission ist unzweifelhaft von entscheidender Bedeutung für die Monarchie. „Nicht nur für die Monarchie, auch für den Minister!“ Er weiß, dass mit seiner Mission auch die berufliche Zukunft von Graf Berchtold auf dem Spiel steht. Viel hängt von der Nachricht ab, die er nach den Unterredungen in Berlin nach Wien überbringen kann.

      Kurz vor der Abreise hat man ihm noch jene beiden Dokumente übergeben, die im Rahmen seiner Kontakte in Berlin an den deutschen Kaiser auszuhändigen sind. Zuerst hat es geheißen, dass nicht er, sondern der k. u. k. Botschafter in Berlin, Ladislaus Szögyény-Marich, den Besuch beim Kaiser wahrnehmen wird. Dann hat Berchtold aber anders entschieden. Zum einen, weil Szögyény schon sehr alt ist und unmittelbar vor der Ablöse steht, und zum anderen, weil Berchtold davon ausgehen muss, dass der österreichische Botschafter in Berlin als Ungar bestimmt von Tisza bereits Instruktionen erhalten hat. Berchtold ist jedoch bestrebt, in Berlin ein Signal für die allgemeine Stimmungslage in Wien zu setzen, die nun auf Entschlossenheit zur Lösung des serbischen Problems hinzielt.

      Jetzt im Zug nach Berlin erinnert sich der Gesandte wieder daran, dass man ihn

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