33 Tage. Marko Rostek
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Hoyos ist über diese ungewöhnliche Offenheit und Direktheit des Ministers noch immer erstaunt. Wieder greift er nach seinem Schlips, um diesen ein weiteres Mal zurechtzurücken. In diesem Moment vernimmt Hoyos wieder Schritte. Dieses Mal wird die Tür geöffnet und der Begleiter bittet ihn weiterzukommen. Erneut folgen sie einem Gang, passieren etliche kleinere Zimmer und erreichen endlich den Wartesalon des Kaisers. Gemeinsam mit Mitarbeitern und weiteren Gästen wird Alexander Hoyos in das kaiserliche Speisezimmer geführt und an einen Stuhl am festlich gedeckten Esstisch verwiesen. Bedächtig geht Hoyos auf diesen zu und bleibt dahinter stehen. Sekunden später erscheint Wilhelm II., deutscher Kaiser und König von Preußen, mit energischem Schritt, gefolgt von einer Handvoll Offizieren. Nacheinander begrüßt der Kaiser seine Gäste, blickt jedem dabei fest in die Augen und wechselt einige freundliche Worte. Auch den österreichischen Gast begrüßt er auf diese Weise herzlich, seine behinderte linke Hand stets hinter dem Rücken haltend. Nach einigen allgemeinen Bemerkungen zur Fahrt und dem Befinden bittet der Kaiser zu Tisch und setzt sich. Hoyos und die anderen Gäste nehmen nach den höfischen Regeln erst Platz, nachdem der Kaiser das Zeichen dafür gegeben hat.
Kaum, dass die Plätze eingenommen sind, kommt Wilhelm zur Sache und wendet sich an den Gast aus Wien: „Sie haben Dokumente für mich mitgebracht?“ „Jawohl, Euer Majestät“, entgegnet Hoyos und fährt, nachdem der Kaiser einen fragend Blick des Wieners aufmunternd beantwortet hat, fort: „Es handelt sich hierbei zum einen um ein Memorandum, welches die gegenwärtige politische Lage der Donaumonarchie beschreibt und mit den Erkenntnissen aus den jüngsten schrecklichen Vorfällen in Sarajevo ergänzt wurde, und zum anderen um ein Allerhöchstes Handschreiben Seiner Majestät Kaiser Franz Josephs, welches direkt an Euer Majestät gerichtet ist.“ Hoyos öffnet seine Aktentasche, zieht die beiden Schriftstücke heraus und reicht sie dem ihm nächststehenden Adjutanten. Dieser übernimmt sie mit einem Kopfnicken, geht um den Tisch herum und übergibt sie mit einer tiefen Verbeugung dem Kaiser. Ohne zu zögern öffnet Wilhelm die Umschläge beider Dokumente und beginnt, während die Dienerschaft die Speisen ins Zimmer trägt, diese hastig zu überfliegen. Servierwägen werden gebracht, wobei die darauf befindlichen Speisen durch glänzende Abdeckungen den Blicken der Gäste entzogen sind. Anderes Personal trägt Schalen mit heißem Wasser an die Tische und stellt diese jeweils zwischen zwei der Gäste. Die Vorbereitungen enden damit, dass hinter jedem Gast ein Diener mit einem Tablett wartet. Auf ein Zeichen Wilhelms treten die Diener in vollkommener Bewegungsharmonie an den Tisch und setzen die Speisenteller unmittelbar vor den Gästen ab. Zuletzt wird die Abdeckung auf den Tellern entfernt und der Blick auf die Speisen freigegeben. Sofort steigt der warme Duft der herrlichen Vielfalt den erwartungsvoll am Tisch Sitzenden in die Nasen.
Währenddessen ist Wilhelm aufgestanden und hat seine Gäste ermahnt, sich nicht von den Köstlichkeiten abhalten zu lassen, während er seine Aufmerksamkeit völlig auf die Dokumente zu richten gedenke. Jetzt geht er mit kleinen, vorsichtigen Schritten im Hintergrund des Speisesaals auf und ab und vertieft sich vollständig auf die beiden Schriftstücke, die er kontinuierlich umblätternd mit großem Interesse liest. Ab und an bleibt er stehen, um sich besser auf die Formulierungen konzentrieren zu können. Hoyos, ein wenig orientierungslos ob dieser unorthodoxen Vorgehensweise, blickt Hilfe suchend um sich. Als er sieht, dass der höchstrangige Offizier unter den Anwesenden ihm aufmunternd zunickt, ergreift Hoyos das Besteck und beginnt mit der Mahlzeit. Kaiser Wilhelm verliert er dabei keinen Moment aus den Augen. Wilhelm liest zuerst das Allerhöchste Handschreiben, dann das Memorandum, wie Hoyos bemerkt. Nachdem Wilhelm das Studium der Unterlagen beendet hat, bleibt er stehen, dreht sich zu Hoyos um, der augenblicklich aufspringt, und winkt ihn zu sich. Die Serviette auf den Tisch legend und hektisch den Stuhl nach hinten rückend, eilt Hoyos auf den Monarchen zu. „Ich“, beginnt der Kaiser und dreht sich mit dem Österreicher vom Tisch weg, „bin über die Inhalte der beiden Dokumente nicht überrascht und habe Mir aufgrund des schrecklichen Ereignisses, welches meinen lieb gewonnenen Freund Franz Ferdinand auf so entsetzliche Weise aus dem Leben riss, eine Reaktion auf das Attentat in dieser Art erhofft und erwartet. Richten Sie Seiner Majestät Kaiser Franz Joseph aus, dass Ich die Donaumonarchie unterstützen werde, auch“, Wilhelm hält inne und starrt Hoyos mit leicht zugekniffenen Augen an, „wenn es zu einem Ernstfall kommen sollte. Heute Nachmittag habe Ich eine Unterredung mit Reichskanzler Bethmann Hollweg, dieser wird Ihnen morgen eine definitive Antwort überbringen.“ Hoyos ist überrascht. Auf eine derart klare Aussage hat er nicht zu hoffen gewagt, noch dazu ohne sein gänzliches Dazutun. Nach einem leisen „Jawohl, Euer Majestät“ und einer angedeuteten Verbeugung dreht sich Hoyos um und geht an seinen Platz zurück.
Nach dem Essen erweist Wilhelm II. seinen Gästen noch die Ehre eines gemeinsamen Digestives, bricht dann jedoch alsbald die Konversation mit dem Hinweis ab, dass der Reichskanzler für die angekündigte Unterredung jeden Augenblick eintreffen würde. Alexander Hoyos und die meisten der anderen Gäste werden von einem Hofbediensteten durch die Vorzimmer, Gänge und Treppen wieder zum Tor gebracht. Hoyos ist vom soeben Erlebten zutiefst beeindruckt. Die unkonventionelle Haltung des deutschen Kaisers ihm gegenüber, die unumwunden klare und deutliche Zusicherung, die Donaumonarchie zu unterstützen, sowie die Beiziehung des mächtigen deutschen Reichskanzlers zur Erörterung des österreichischen Anliegens verlangen ihm Respekt vor dem deutschen Führungsstil ab. „Und das alles“, er gerät bei diesen Gedanken ins Schwärmen und kann einen neidvollen Seufzer beim Vergleich mit dem Wiener Krisenmanagement nicht unterdrücken, „innerhalb eines Nachmittages, hier wird nicht lange gefackelt. Es scheint, als würde Wilhelm wissen, was zu tun ist!“
Am großen Tor angekommen, wird er aus dem Neuen Palais entlassen und wieder zurück auf die Straße geführt. Er hört das hinter ihm zufallende Tor und die sich rasch entfernenden Schritte des Wachpersonals. Seine Blicke suchen das Botschaftsautomobil, das er alsbald die Straße hinunter entdeckt. Der Fahrer steht gelassen an das Fahrzeug gelehnt und unterhält sich mit Passanten. Als er vor dem Tor die Straße überqueren will, muss er für einen Moment stehen bleiben, denn eine schwarze Limousine kommt zügig näher. Unmittelbar vor Hoyos reduziert der Fahrer seine Geschwindigkeit und biegt in Richtung Haupttor des Palais ab. Sich erneut dem Tor zuwendend, bemerkt Hoyos, wie zwei Wachebeamte aus dem Haus stürzen und die schweren gusseisernen Flügeltore auseinanderdrehen, um dem Wagen die Durchfahrt zu ermöglichen. Während die Limousine wartet, erkennt der österreichische Sondergesandte den deutschen Kriegsminister Erich Falkenhayn und Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg im Fond des Wagens. Für eine nähere Bestimmung der anderen Personen, deren Silhouetten Hoyos ebenfalls wahrnimmt, reicht die Zeit nicht, denn der Fahrer nimmt sofort wieder Fahrt auf, nachdem die Tore geöffnet sind. Alexander Hoyos beobachtet, wie der Wagen die Auffahrt entlangfährt und, während die Gittertore wieder geschlossen werden, die Männer aussteigen und im Schloss verschwinden.
„Hm, Falkenhayn, Bethmann Hollweg und andere! Unsere Angelegenheit scheint von größter Wichtigkeit für Berlin, denn sonst wäre nicht die Reichsspitze vertreten.“ Hoyos blickt bei dem Gedanken noch einmal links und rechts, um danach schnellen Schrittes die Straße zu überqueren und zum Automobil zurückzueilen.
***
Kaum hat der Wagen vor dem Haupteingang des