33 Tage. Marko Rostek

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33 Tage - Marko Rostek

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sondern auch seine, die heile Welt des Oskar Potiorek, zum Einsturz gebracht. Dem Landeschef wurde keine Zeit zum Atemholen gegönnt, keine Möglichkeit der Aufarbeitung des Geschehenen, denn noch in der Nacht zum Montag kamen aus Wien erste Anweisungen zum Trauerzeremoniell. Potiorek richtete seine ganze Aufmerksamkeit und Konzentration darauf. Wenigstens bei der Abwicklung dieser so traurigen Aufgabe sollte alles fehlerfrei ablaufen.

      Der Montag stand daher ganz im Zeichen der Vorbereitung der Trauerfeier und der Überführung der Särge zum Bahnhof. Das Hofzeremoniell ließ für den Umgang mit dem ermordeten Thronfolgerpaar keine allzu großen Spielräume. Die Überführung war für den Abend vorgesehen. Und wieder hatte sich eine große Menschenmenge entlang der Straßen eingefunden. Diesmal jedoch, Potiorek hatte alle verfügbaren Soldaten der Umgebung in die Stadt befohlen, war genug Wachpersonal und Militär anwesend, das die Straßen freihielt. Als der Trauerzug am Bahnhof eintraf, wurden Salutschüsse mit eigens herbeigebrachten Kanonen abgefeuert und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung sang man die Volkshymne. Dann fuhr der Trauerzug mit der Bahn in Richtung Meer ab. Von dort, Potiorek hatte sich mit dieser Route gegenüber den Wünschen Wiens und zu Ehren des Erzherzogs durchgesetzt, würden die Särge auf die Viribus Unitis verladen, bis Triest verschifft und dann mit dem Zug nach Wien gebracht. Dieser Reiseverlauf entsprach exakt der Fahrt des Erzherzogs nach Bosnien, bevor diese auf so tragische Weise geendet hatte.

      Nach der Zeremonie forderten Potioreks Nerven und die Müdigkeit ihren Tribut und er begab sich in den Konak, um sich ein wenig Ruhe zu gönnen. Doch durch die Anspannungen des Tages und der Nacht konnte er keinen erholsamen Schlaf finden und wälzte sich unzählige Male im Bett hin und her. Die Ereignisse hinterließen auch in seinem Traum ihre Spuren und riefen Zerrbilder der vergangenen Stunden hervor. Schweißgebadet wachte er schließlich auf und entschloss sich noch in der Nacht, Gavrilo Princip im Gefängnis gegenüberzutreten. Er musste diesen Jungen sehen. Er wollte wissen, wie es sich anfühlte, dem eigenen Schicksal zu begegnen.

      ***

      Es knarrt laut und in den verrosteten Türangeln quietschen die Scharniere, als der Wachmann die Tür öffnet, hineinspäht und, nach einer Prüfung, ob für den Landeschef ein sicheres Eintreten möglich ist, Oskar Potiorek den Zutritt freigibt. Der Feldzeugmeister hat keine Erfahrung im Umgang mit politischen Attentätern, wie Princip einer ist. Unsicherheit beschleicht ihn. Ihn, der seit er auf den Posten des Landeschefs berufen ist, die Geschicke dieser jüngsten Provinz des Habsburgerreiches mit Vehemenz von seinem Schreibtisch aus geführt hat. Er zögert wieder. Nachdem er sich mit einem weiteren prüfenden Blick der Wachsamkeit und Einsatzbereitschaft des Wachpersonals vergewissert hat, tritt Potiorek ein. Wie zum Hohn muss er dabei seinen Kopf senken und gewissermaßen eine Verbeugung andeuten, denn die Zellentür ist nach uralter Bauart viel zu niedrig für seine Größe. In der Gefängniszelle blickt er hastig um sich und versucht, der ihm fremden Situation Herr zu werden, indem er sich möglichst hoch aufrichtet und so seiner Autorität Gewicht verleiht. Das Bild, das sich ihm bietet, lässt seine Verunsicherung jedoch rasch schwinden und er weist das hinter ihm in die Zelle drängende Wachpersonal mit einer Handbewegung an, sich zu entfernen. Mit einem satten Geräusch schließt sich die Zellentür und der schwere schmiedeeiserne Riegel wird langsam entlang der alten, massiven Holzdielen in seine Verankerung geschoben. Es herrscht Stille.

      Potiorek blickt noch einmal prüfend im Raum umher. Die Wände sind grob verputzt und was einmal ein weißer Kalkanstrich war, ist mit der Zeit vergilbt und verstaubt. Überall sind Kratzspuren und Bemalungen von früheren Insassen zu sehen, selbst der Plafond wurde bekritzelt. Im linken hinteren Eck steht eine Bettstatt mit dem für Gefängnisse typischen Bettzeug: Eine unförmige Matratze, ein Polster und eine Decke, die auf einem einfachen Holzgestell liegen, sind mit grobem Leinen überzogen. Sein Blick wandert weiter zum Fenster, das hoch oben, fast direkt unter der Decke, angebracht ist. Selbst an diesem warmen, schönen Tag lässt es nur wenig Tageslicht in die Zelle, sodass alles ein wenig fahl und matt erscheint. Die Kühle im Raum und Potioreks Übermüdung sorgen dafür, dass ihn ein kalter Schauer erzittern lässt. Neben dem Bett und dem Holzeimer für die Notdurft des Insassen gibt es nur noch einen armseligen Holztisch und einen ebensolchen Sessel. Für den Besucher ist jedoch kurz vor seiner Ankunft ein zweiter Sessel gebracht worden.

      Potiorek spürt, wie sich seine Hände, die hinter dem Rücken die Handschuhe seiner Uniform halten, unwillkürlich zu Fäusten ballen. Durch die beinahe atemlose Stille im Raum hört er, wie das Leder der Handschuhe knirschend zusammengepresst wird. Potioreks Puls steigt an und sein Blut beginnt am eng anliegenden Kragen seiner Uniform zu pulsieren. Plötzlich ist die Kühle im Raum nicht mehr zu bemerken und auch die Müdigkeit scheint wie weggeblasen. Potiorek versucht, seine Erregung zu unterdrücken, und beruhigt mit einem tieferen Atemzug seinen Puls. Er geht langsam, den Blick nun starr geradeaus gerichtet, zum Tisch und setzt sich auf den freien Sessel.

      Was kann er einem Fanatiker wie Princip wohl sagen? Soll er etwa die Frage nach dem Warum stellen? Soll er diesen 18-jährigen bosnischen Burschen mit Vorwürfen konfrontieren, ihm den Irrsinn seiner Tat vorhalten? Nichts dergleichen kann die Tat rückgängig machen und damit sein Schicksal wieder ins Lot bringen. Und auf eine politische Debatte hat er keine Lust.

      Müdigkeit und Resignation befallen erneut Potioreks Körper. Im Angesicht des Elends, das da vor ihm sitzt, fällt das Gerüst seiner Moralpredigt, die er sich zurechtgelegt hat, langsam und unaufhaltsam in sich zusammen und hinterlässt nichts als Leere. Princip scheut sich, ihn direkt anzublicken, und starrt regungslos auf die Tischplatte. Die Augen des Attentäters wirken bleiern und fahl, sein Gesicht ist blass. Die Augenringe lassen ihn älter aussehen, als er in Wahrheit ist.

      Potiorek fährt sich mit einer Hand durch sein schütteres Haar. Zweifel über die Sinnhaftigkeit dieses Besuches befallen ihn. Er steht wieder auf und geht an das hintere Ende der Zelle. Dicht vor der Wand bleibt er stehen. Potioreks Gedanken verschwimmen. Er spürt die Feuchte der Wand, kann die alte Farbe riechen, das leicht Schimmlige und Modrige in der Mauer. Drei-, viermal atmet er stehend tief ein und aus, dann gewinnt sein Machtbewusstsein einmal mehr die Oberhand und er geht, diesmal mit festem Schritt, zum Tisch zurück und setzt sich wieder auf den Stuhl. „Im Angesicht dieses Mörders“, seine Gedanken gewinnen spürbar an Entschlusskraft, „und so wahr ich hier sitze, werde ich alles in meiner Macht Stehende ausreizen, damit dieses Odium der Schuld nicht an mir haften bleibt!“

      ***

      Bei seiner Berufung zum Landeschef von Bosnien hatte er gehofft, einen ruhigen Posten anzunehmen. Als er nach Sarajevo kam, informierte er sich nur oberflächlich über die politische und militärische Lage im Land, gesellschaftliche oder soziale Belange interessierten ihn noch weniger. Er zog in den Konak, das herrschaftliche Palais der Stadtväter, und führte von dort aus in streng administrativer Manier das Land. Er machte nie viel Aufhebens um die Bevölkerung und deren Bedürfnisse, Entscheidungen traf er hinter seinem Schreibtisch sitzend. Bis jetzt hatte er in Sarajevo immer ein relativ angenehmes Auskommen gehabt! Die paar Jahre, die ihm noch bis zum Ruhestand blieben, sollten mit dem Besuch des Thronfolgers einen krönenden Höhepunkt erreichen. Schon kurz nachdem er über diesen Besuch informiert worden war, beschäftigte er sich daher intensiv mit der Planung und Organisation des erzherzoglichen Aufenthaltes. Mehrmals wurden seine Pläne und Vorschläge von Wien korrigiert, nicht zuletzt auch mit dem Hinweis auf budgetäre Engpässe. Schließlich konnte man sich doch einigen und das Programm festlegen.

      Es gab immer wieder Gerüchte, dass es zu Störversuchen kommen könnte, aber Unannehmlichkeiten dieser Art würden bei jedem Besuch eines Mitglieds der kaiserlichen Familie in allen Teilen der Monarchie vorkommen. Die Besorgnis von Potiorek und seinem Mitarbeiterstab war nicht größer als sonst. Wie hätte er ahnen sollen, dass just in seiner Stadt ernst gemacht würde und man nach dem Leben des Thronfolgers trachtete. Die üblichen Sicherheitsmaßnahmen entlang der Wegstrecke fielen ebenso wie zusätzliche Wachtruppen dem Spargedanken zum Opfer. Die Benutzung der offenen Wagen war seine Anordnung. Man wollte der großen Hitze Rechnung tragen.

      Im Nachhinein erwies es sich als fatal, dass

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