33 Tage. Marko Rostek
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„An welche Reaktion haben Sie dabei gedacht, Herr Minister?“ „Aha, ich konnte ihn aus der Reserve locken“, denkt Berchtold, während er die Kanne wieder hinstellt und beginnt, in seiner Tasse umzurühren. Den Kopf weiterhin gesenkt, antwortet er blitzschnell, so als ob die Sache bereits beschlossen sei: „Unsere Armee ist innerhalb von 16 Tagen einsatzbereit, um gegen Serbien loszuschlagen. Wir sind guter Dinge, durch eine schnelle Aktion einem Einsatz Russlands an der Seite Serbiens zuvorzukommen, denn Russlands Armee ist für den Kriegseinsatz noch nicht gerüstet!“
Berchtold selbst ist keineswegs davon überzeugt, dass Russland hingehalten werden könnte, sollte die Monarchie einen Vergeltungsschlag gegen Serbien unternehmen. Aber sein Bluff hat gewirkt. Tisza ist sichtlich erregt, denn er legt seine hohe Stirn in Falten und macht durch eine abweisende Handbewegung sowie Kopfschütteln deutlich, dass er von einer kriegerischen Auseinandersetzung nichts wissen will. Er stellt beide Beine wieder auf den Boden und richtet sich auf. „Wenn sich die Anschuldigungen gegen Serbien bewahrheiten, sollten wir der serbischen Regierung Zeit geben, ihre Loyalität uns gegenüber zu zeigen, und nicht vorschnell über sie herfallen.“ „Dieser Meinung bin ich nicht“, kontert Berchtold, „im Gegenteil, wir dürfen in diesem Fall keine Schwäche zeigen, sonst werden Serbien und Russland umso sicherer mit unserer Ohnmacht rechnen und ihr konsequentes Zerstörungswerk fortführen.“ Jetzt geht der Minister aufs Ganze: „Damit ist auch Ihr geliebtes Ungarn unmittelbar betroffen, Herr Ministerpräsident! Denn die slawischen Völker innerhalb der Monarchie werden in ihren nationalistischen Bestrebungen weiteren Aufwind erhalten, wenn wir jetzt nicht angemessen reagieren!“ „Das hat gesessen“, überlegt Berchtold, der diesmal nicht geblufft, sondern die letzten Worte aus tiefster Überzeugung vorgetragen hat. Zudem hat er das kurze Aufflackern in Tiszas Augen mit Genugtuung wahrgenommen. Der Ungar, sichtlich beeindruckt von diesem letzten Argument, entgegnet Berchtold ein wenig irritiert: „Ich glaube, Herr Minister, dass sich die internationale Lage unserer Monarchie in Zukunft verbessern wird, wenn es gelingt, auch Bulgarien eng an uns zu binden. Denn mit diesem Gegengewicht zu den Rumänen, die, wie mir wohl bekannt ist, auf unsere östlichen Gebiete schielen, könnten wir einen stabilen Stützpunkt in der Balkanpolitik aufbauen.“ Berchtold erkennt sofort, dass Tisza hier seinen wunden Punkt, das zentrale Element seiner außenpolitischen Ausrichtung anspricht: Tiszas Familie stammt aus Siebenbürgen und noch heute sind viele seiner Verwandten dort beheimatet. Ein Konflikt mit Rumänien, wie er ihn anspricht, könnte die Abtrennung Siebenbürgens von der Monarchie zur Folge haben – für István Tisza eine Vorstellung, die es um alles in der Welt zu verhindern gilt. Berchtold ist überrascht, dass sich der Ungar auf diese Weise öffnet und seine eigentlichen politischen Motive durchblicken lässt. Er blickt ihn, eine Falle vermutend, fragend an. Keine Regung, nichts dergleichen.
„Ich bin selbstverständlich Ihrer Meinung“, Berchtold versucht nun, Zeit zu gewinnen, um sich ein klareres Bild zu verschaffen, „dass wir noch ein wenig Zeit brauchen, wenn es darum geht, wie wir mit Serbien abzurechen gedenken – aber …“ Der Graf macht eine Pause und seine Augen wenden sich dem Tee zu, der noch immer heiß dampfend am Tisch steht, „… aber eine Verbesserung unserer internationalen Lage wird sich nicht einstellen, denn die Zeit arbeitet gegen uns. Wir können unmöglich mit der Aufrüstung Russlands, die ja von Frankreich finanziert wird, mithalten. Wir haben jetzt noch die Möglichkeit, in Anbetracht der allgemeinen Empörung nach der Gräueltat von Sarajevo und der noch nicht vollendeten russischen Aufrüstung einen Beweis zu liefern, dass wir nicht der kranke alte Mann Europas sind!“
Berchtolds Stimme ist immer lauter geworden, nun hält er inne. Für einen Moment glaubt er, General Conrad zu hören, wie dieser vor zwei Tagen auf ihn eingeredet hat. Nun sitzt er dem ungarischen Ministerpräsidenten gegenüber und kann dessen abwartende Haltung genauso wenig nachvollziehen, wie es offensichtlich Conrad mit ihm selbst ergangen ist. „Ich weigere mich, dabei mitzumachen, Herr Minister, das Attentat in Sarajevo zum Anlass für eine Abrechnung mit Serbien zu nehmen. Ich halte das schlichtweg für einen Fehler. Solange nicht genügend Anhaltspunkte für die Verantwortung Serbiens und eine ablehnende Erklärung desselben vorliegen, können wir keinen Krieg entfachen, der sich unter ungünstigen Umständen zu einem Weltbrand entfacht. Ich werde die Verantwortung hierfür nicht mittragen!“
Tisza, seit mehr als 30 Jahren in der Politik, weiß, wann es Zeit ist, mit taktischen Floskeln aufzuhören und Klartext zu sprechen. Vielleicht hat er die Lage der Monarchie, was ihre zukünftige Rolle in der Staatengemeinschaft anbelangt, bisher falsch eingeschätzt, aber er will sich nicht leichtfertig von den österreichischen Kriegstreibern in einen Feldzug hetzen lassen. Erst recht nicht von einem Mann wie Leopold Berchtold, der ganz offensichtlich davon getrieben ist, seine außenpolitische Schwäche von 1912 und 1913 vergessen zu machen. Darüber hinaus will er sich keinesfalls den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie er das ungarische Parlament davon überzeugen kann, aus Rache für jemanden in den Krieg zu ziehen, der als erklärter „Ungarnhasser“ bekannt war.
Berchtold, der Tiszas Einmischung in die Außenpolitik mit dessen ausschließlich ungarischem Standpunkt nicht länger hinzunehmen gewillt ist, gibt erregt zurück: „Ich betone nochmals, dass ich ebenso wenig wie Sie gewillt bin, Hals über Kopf ins Unglück zu stürzen. Ich bin jedoch Realist genug, um zu sehen, dass das gegenwärtige, hoch in der öffentlichen Meinung Europas vorherrschende Momentum eines Rechts auf Sühne alsbald erlöschen wird.“
Hin und her schwappen die Argumente, beide Seiten beharren auf ihren Standpunkten. Weder der Minister des Äußeren noch der ungarische Ministerpräsident weichen zurück. Kurze Zeit später tritt eine Pattstellung ein, beide Männer haben die Sackgasse erkannt, in der sie stecken. Berchtold sieht ein, dass am heutigen Tag kein Ergebnis in seinem Sinne herbeigeführt werden kann. Die weitere Gestaltung der Außenpolitik der Monarchie wird fürs Erste weiterhin von ihm und Tisza auf gegensätzlichem Kurs bestimmt werden. Berchtold ist gereizt. Wie kann es sein, dass er als amtierender Minister des Äußeren auf Gedeih und Verderb den Ansichten des ungarischen Ministerpräsidenten ausgeliefert ist?
Er startet noch einen letzten Versuch, Tisza von den geplanten Maßnahmen gegen Serbien zu überzeugen. „Ihre Anregung, Bulgarien und Rumänien näher an den Dreibund zu binden, halte ich für eine richtige und Erfolg versprechende diplomatische Aktion. Aber sie darf die rasch auszutragende Sühne- und Sicherungsaktion gegen Serbien nicht verzögern.“ Dann appelliert er an die Loyalität Tiszas, indem er anfügt: „In beiden Fällen brauchen wir aber Ihre Unterstützung, die Unterstützung Ungarns.“
Kaum hat er den letzten Satz ausgesprochen, bereut er ihn auch schon wieder, denn die Reaktion Tiszas überzeugt Berchtold, dass er das Heft wieder aus der Hand gegeben hat. Tisza weiß, dass ohne ihn keine Außenpolitik in Österreich-Ungarn zu machen ist, und lehnt sich nach dem unerwartet intensiven Gespräch wieder einigermaßen entspannt zurück. „Mein verehrter Herr Minister“, beginnt er mit nun hörbar ruhigerer Stimme, „ich werde im Anschluss an unser Zusammentreffen meine Ansichten Allerhöchst vorzutragen die Ehre haben. Dabei werde ich dem Kaiser neben einer Zusammenfassung unseres Gesprächs insbesondere darlegen, dass ich ein Vorgehen gegen Serbien für bedenklich halte, solange nicht zwei Vorbedingungen erfüllt sind.“ Berchtold kann den schulmeisterlichen Tonfall in dieser Stimme kaum ertragen. Zu oft hat er dieses zweifelhafte Vergnügen schon gehabt. Er wendet sich wieder dem Tee zu, der schon kühl zu werden beginnt.
Tisza fährt fort: „Erstens ist ein Beweis für die Mitschuld der serbischen Regierung vorzulegen und zweitens will ich Sicherheit haben, dass Deutschland hinter uns steht.“
Berchtold erkennt, dass mit diesen Forderungen eine rasche, entschiedene Strafexpedition gegen Serbien nicht mehr möglich sein wird. Der Kaiser würde ohne