Die Forsyte-Saga. John Galsworthy
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Da der Wagen gerade einen furchtbaren Stoß bekam, blieb Swithins Ausruf ihm im Halse stecken. Gezwungen jetzt bergauf zu gehen, mäßigten die Pferde ihren Lauf, kamen in Trab und blieben schließlich von selber stehen.
»Als ich« – beschrieb Swithin es bei Timothy – »als ich die Pferde anhielt, war sie so ruhig wie ich selbst. Du lieber Himmel! sie tat wahrhaftig, als wär's ihr einerlei, ob sie den Hals bräche oder nicht! Wie sagte sie doch: »Es wär mir einerlei, wenn ich nie nach Haus käme!« Und auf die Krücke seines Rohrstocks gestützt, keuchte er zu Mrs. Smalls Entsetzen hervor: »Und ich wundere mich gar nicht darüber, wo sie einen solchen Zierbengel zum Manne hat wie diesen Soames!«
Es kam ihm nicht in den Sinn, darüber nachzudenken was Bosinney angefangen hatte, nachdem sie ihn verlassen; ob er herumgelaufen war wie ein Hund, mit dem Swithin ihn verglichen hatte; ob er in das Wäldchen hinunter gewandert war, wo noch der Frühling schwelgte und von fern der Kuckuck rief; dort unten ging und ihr Taschentuch an die Lippen preßte, dessen leiser Duft sich mit dem Geruch von Thymian und Minze mischte. Ob er mit einem Weh im Herzen dort unten ging, so wild und heiß, daß er unter den Bäumen hätte aufschreien mögen. Oder was der junge Mann wohl sonst getan haben mochte. Bis er bei Timothy anlangte, hatte Swithin ihn wirklich ganz und gar vergessen.
Viertes Kapitel
James sieht selber nach
Wer die Forsyte-Börse nicht kennt, würde vielleicht all den Aufruhr nicht voraussehen, den Irenens Besuch des Hauses erregte.
Nachdem Swithin bei Timothy die ganze Geschichte der denkwürdigen Fahrt erzählt hatte, wurde sie mit einem winzigen Anflug von Neugierde, einer ganz kleinen Spur von Bosheit, und in dem wirklichen Wunsch Gutes zu tun, June hinterbracht.
»Und wie abscheulich, so etwas zu sagen, mein Kind!« schloß Tante Juley, »das über ihr Nachhausekommen. Was meinte sie nur damit?«
Es war eine merkwürdige Erzählung für das Mädchen. Sie hörte sie mit peinlichem Erröten an, und plötzlich ging sie mit kurzem Händedruck davon.
»Beinah ungezogen!« sagte Mrs. Small zu Hester, als June fortgegangen war.
Die wahre Deutung hing von ihrer Aufnahme dieser Nachrichten ab. Es hatte sie sehr erregt. Darum war etwas nicht in Ordnung. Sonderbar! Sie und Irene waren so gute Freunde gewesen!
Es stimmte nur zu gut mit allem Flüstern und den Andeutungen überein, die seit einiger Zeit in Umlauf waren. Die Erinnerung an Euphemias Erzählung über den Besuch des Theaters – Mr. Bosinney, der immer bei Soames war! Oh, allerdings! Ja, freilich war er viel dort – wegen des Hauses! Nichts wurde offen heraus gesagt! Es war nur auf die lebhafteste, die dringendste Aufforderung hin notwendig, auf der Forsyte-Börse etwas offen herauszusagen. Diese Maschine war zu gut geaicht; ein Wink, der unbedeutendste Ausdruck von Bedauern oder Zweifel genügte, die – so teilnehmende – Familienseele in Aufruhr zu bringen. Keiner wünschte jemand dadurch ein Leid zuzufügen – durchaus nicht. Es geschah in bester Absicht, mit dem Gefühl, daß jedes Glied der Familie einen Anteil an der Familienseele hatte.
Und eigentlich liegt solcher Klatscherei große Güte zugrunde. Sie äußert sich häufig in Beileidsbesuchen, wie ein gesellschaftlicher Brauch sie vorschreibt, eine wahre Wohltat für den Leidenden und ein Trost für den Gesunden, den es immer angenehm berührt, wenn jemand unter etwas leidet, unter dem er selbst nicht zu leiden hat. Wirklich nur der Wunsch die Dinge eifrig zu erörtern, ein Wunsch, der zum Beispiel die öffentliche Presse beseelt, führte James jetzt mit Mrs. Septimus Small zusammen, Mrs. Septimus mit dem jungen Nicholas, den jungen Nicholas mit wer-weiß-wem, und so weiter. Die große Klasse, zu der sie aufgestiegen waren und der sie jetzt angehörten, forderte eine gewisse Offenheit und noch mehr eine gewisse Verschwiegenheit von ihnen. Beides war eine Gewähr für ihre Dazugehörigkeit.
Manche von den jüngeren Forsytes fühlten natürlich und erklärten offen, daß sie eine Einmischung in ihre Angelegenheiten nicht wünschten. Aber so mächtig war der unsichtbare magnetische Strom der Familienklatscherei, daß sie sich um keinen Preis dagegen wehren konnten, alles über jeden zu erfahren. Sie betrachteten es also als hoffnungslos.
Einer von ihnen (der junge Roger) hatte einen heroischen Versuch gemacht, die heranwachsende Generation dadurch zu befreien, daß er Timothy einen ›alten Kater‹ nannte. Es war aber auf ihn selbst zurückgeprallt; denn als die Worte in der zartesten Weise Tante Juley zu Ohren kamen, hatte sie dieselben entrüstet Mrs. Roger wiederholt, von wo sie wieder zu dem jungen Roger zurückkehrten.
Und schließlich litten nur die Übeltäter darunter, wie zum Beispiel George, als er sein ganzes Geld beim Billardspiel verlor; oder der junge Roger selbst, als er so furchtbar nahe daran war das Mädchen zu heiraten, mit dem er, so flüsterte man, schon durch die Gesetze der Natur verbunden war; und auch Irene, von der man eher dachte als sagte, daß sie in Gefahr sei.
Alles dies war nicht nur angenehm, sondern heilsam. Und es vertrieb so manche Stunde bei Timothy in Bayswater Road, viele Stunden, die sonst öde und trübselig für die drei gewesen wären, die dort lebten. Und Timothys Heim war nur eines der Hunderte solcher Häuser in dem großen London – der Häuser neutraler Personen der gesicherten Klassen, die selbst keine Kämpfe zu bestehen haben und darum in den Kämpfen anderer ihre Daseinsberechtigung finden müssen.
Ohne die Süßigkeit des Familienklatsches, wäre es dort wirklich einsam gewesen. Gerüchte und Erzählungen, Berichte und Vermutungen – waren sie nicht Kinder des Hauses, ihnen ebenso lieb und teuer wie plappernde Mäulchen, die Bruder und Schwestern auf ihrem Lebenswege hatten missen müssen? Darüber zu reden gab ihnen fast ebensoviel, wie der Besitz all der Kinder und Enkel, nach denen ihre weichen Herzen sich gesehnt. Denn wenn es auch zweifelhaft ist, ob Timothys Herz sich sehnte, kann nicht bestritten werden, daß die Ankunft jedes neuen Forsyte-Kindes ihn völlig überwältigte.
Es war nutzlos für den jungen Roger ›alter Kater‹ zu sagen, nutzlos für Euphemia die Hände emporzuheben, zu rufen: »Oh! diese drei!« und dann in ihr leises Lachen auszubrechen, das mit einem Quietschen endete. Nutzlos und nicht allzu freundlich.
Die Situation, die in diesem Stadium besonders Forsyteschen Augen seltsam – um nicht zu sagen ›unmöglich‹ erschien, war angesichts gewisser Tatsachen eigentlich gar nicht so seltsam.
Einige Dinge hatte man ganz außer acht gelassen.
Vor allem hatte man in dem Sicherheitsgefühl, das manche harmlose Ehen geben, völlig vergessen, daß Liebe keine Treibhausblume ist, sondern eine wilde Pflanze, die einer feuchten Nacht, einer Stunde Sonnenschein entstammt; einem wilden Samen entsprossen, den ein wilder Sturm über den Weg geweht. Eine wilde Pflanze, die wir, sobald sie zufällig innerhalb der Hecke unseres Gartens blüht, Blume nennen, und die, blüht sie draußen, Unkraut für uns ist; aber Blume oder Unkraut, Duft und Farbe bleiben immer wild!
Und ferner – denn Tatsachen und Gestalten ihres eigenen Lebens widersprachen dieser Vorstellung – merkten die Forsytes im allgemeinen nicht, daß wo diese wilde Pflanze wächst, Männer und Frauen nur wie Motten sind, die um die bleiche, flammengleiche Blüte flattern.
Es war lange her seit des jungen Jolyon Escapade – man befürchtete, es könnte die alte Ansicht wieder erstehen, daß Leute ihrer Stellung nicht die Hecke übersteigen, um eine solche Blume zu pflücken; daß man zu einer bestimmten Zeit auf Liebe wie auf Masern rechnen könne und – im Hafen der Ehe – bequem