Die Forsyte-Saga. John Galsworthy
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Читать онлайн книгу Die Forsyte-Saga - John Galsworthy страница 41
Längst hatte er jene Tage mit ihren Hoffnungen, Ängsten und Zweifeln über die Klugheit der Verbindung vergessen (denn Emily war zwar hübsch, besaß jedoch nichts, und er selbst verdiente damals knapp tausend Pfund im Jahr), jene seltsame unwiderstehliche Anziehungskraft, die ihn vorwärts getrieben, bis er glaubte sterben zu müssen, wenn er das Mädchen mit dem blonden, so sauber zurückgestrichenen Haar, mit den schönen Armen, die das enganliegende Leibchen freiließ, und der schönen Gestalt nicht heiraten konnte, die ein Käfig von wahrhaft verblüffendem Umfang züchtig schützte.
James war durchs Feuer gegangen, aber er war auch durch den Strom der Jahre gekommen, der das Feuer löscht. Er hatte die traurigste aller Erfahrungen gemacht – hatte vergessen, was es heißt zu lieben.
Vergessen! So lange schon vergessen, daß er vergessen, daß er vergessen hatte.
Und nun war dies Gerücht zu ihm gelangt, das Gerücht über die Frau seines Sohnes; sehr unbestimmt, ein Schatten unter den handgreiflich sichtbaren, äußeren Dingen, unwirklich, unfaßbar wie ein Geist, aber wie ein Geist mit unsagbarem Schrecken im Gefolge.
Er versuchte klar darüber zu werden, aber es nützte nicht mehr als der Versuch, sich mit einer jener Tragödien vertraut zu machen, von denen er täglich in seiner Abendzeitung las. Er konnte es einfach nicht. Es konnte nichts daran sein. Es war alles Unsinn. Sie stand mit Soames nicht, wie sie sollte, aber sie war ein liebes kleines Ding – ein liebes kleines Ding!
Wie die nicht unbeträchtliche Mehrzahl der Menschen genoß James einen netten kleinen Skandal und sagte wohl in selbstverständlichem Tone, indem er sich die Lippen leckte: »Ja, ja – sie und der junge Dyson; sie sollen in Monte Carlo leben!«
Aber die Bedeutung einer Sache dieser Art – ihr Entstehen, Sein und Werden – war ihm nie zum Bewußtsein gekommen. Auch nicht was ihr zugrunde lag, aus welchen Qualen und Wonnen sie entstanden, welch lauerndes, überwältigendes Verhängnis über den nackten, zuweilen schmutzigen, aber gewöhnlich pikanten Tatsachen geschwebt, die sich seinem staunenden Blicke darboten. Es war durchaus nicht seine Art solche Dinge zu tadeln, daraus Schlüsse zu ziehen oder sie zu verallgemeinern; er hörte nur ziemlich lüstern zu, wiederholte was ihm erzählt wurde und fand ein solches Vergnügen daran wie am Genuß eines Sherry oder Bittern vor der Mahlzeit.
Jetzt jedoch, wo so etwas – oder vielmehr das Gerücht, ein Hauch davon – ihm persönlich nahe gekommen war, fühlte er sich wie in einem Nebel, der ihm einen schlechten muffigen Geschmack im Munde verursachte und ihm das Atmen erschwerte.
Ein Skandal! Die Möglichkeit eines Skandals!
Sich dieses Wort beständig zu wiederholen, war die einzige Art es sich vorzustellen und begreiflich zu machen. Er hatte die Empfindungen vergessen, die zum Verständnis des Verlaufs, des Schicksals und der Bedeutung dieser Dinge notwendig waren; er konnte einfach die Möglichkeit nicht mehr begreifen, daß Leute um der Leidenschaft willen irgend welche Gefahr laufen konnten. Es wäre ihm lächerlich vorgekommen anzunehmen, daß einer unter all seinen Bekannten, die tagtäglich in die City fahren, dort ihren mannigfachen Geschäften nachgingen, in ihren müßigen Stunden Aktien kauften und Häuser, dinierten und spielten, wie es hieß, sich um etwas so Unklaren, Wesenlosen willen wie die Leidenschaft es war, in irgend eine Gefahr begeben könnte.
Leidenschaft! Er hatte wohl davon gehört, und Regeln wie »Ein junger Mann und eine junge Frau dürften einander nie anvertraut werden«, saßen fest in seinem Gedächtnis wie die Breitengrade auf einer Landkarte (denn alle Forsytes haben, wenn es sich um felsenfeste Tatsachen handelt, ein feines Gefühl für Realismus), aber sonst – ja, er konnte eben auf alles dies nur das eine Stichwort ›Skandal‹ anwenden.
Aber es war kein wahres Wort daran – es konnte nicht sein. Er fürchtete nichts; sie war wirklich ein liebes kleines Ding. Doch hatte man so etwas einmal im Kopf, wurde man es nicht wieder los. Und James war von nervösem Temperament – einer jener Menschen, die von den Dingen nicht loskommen, denen Unentschiedenheit und Vermutungen die größten Qualen bereiten. Aus Furcht sich etwas entschlüpfen zu lassen, das er sich sonst hätte sichern können, war es ihm eine physische Unmöglichkeit einen Entschluß zu fassen, bis er die absolute Gewißheit erhielt, durch diese Unentschlossenheit einen Verlust zu erleiden.
Im Leben jedoch gab es viele Gelegenheiten, wo er die Notwendigkeit einen Entschluß zu fassen, nicht einmal in Betracht zog, und dies war eine davon.
Was konnte er tun? Mit Soames darüber reden? Das würde die Sache nur verschlimmern. Und schließlich war doch nichts daran, dessen war er gewiß.
Das Haus allein war an allem schuld. Er hatte der Idee von Anfang an nicht getraut. Wozu brauchte Soames aufs Land zu ziehen? Und wenn er schon eine Masse Geld dafür ausgeben mußte sich ein eigenes Haus bauen zu lassen, warum nahm er dann nicht einen Mann ersten Ranges anstatt dieses jungen Bosinney, von dem niemand etwas wußte? Er hatte ihnen gesagt, wie es kommen würde. Und er hatte gehört, daß das Haus Soames einen hübschen Batzen mehr kostete, als er darauf zu verwenden gedacht.
Diese Tatsache brachte James, mehr als irgend etwas anderes, die wirkliche Gefahr der Lage zum Bewußtsein. Es war immer dieselbe Geschichte mit diesen ›Kunstfexen‹; ein vernünftiger Mann würde sich gar nicht erst mit ihnen einlassen. Auch Irene hatte er gewarnt. Und was war nun daraus entstanden!
Und plötzlich fiel es James ein, selbst hinzugehen und nachzusehen. Mitten in dem Nebel von Unbehagen, der sein Gemüt umhüllte, gewährte ihm der Gedanke, daß er hingehen konnte und das Haus sehen, eine unaussprechliche Befriedigung. Vielleicht verschaffte ihm einfach der Entschluß etwas zu unternehmen – wahrscheinlicher jedoch, die Möglichkeit das Haus zu sehen – eine Erleichterung.
Er hatte das Gefühl, durch das Betrachten eines Gebäudes aus Mörtel und Ziegel, aus Holz und Stein, das von dem verdächtigen Mann selbst gebaut war, zu dem Kern des Gerüchtes über Irene vorzudringen.
Ohne daher irgend jemand ein Wort zu sagen, nahm er eine Droschke zum Bahnhof und stieg in den Zug nach Robin Hill. Dort war er, da es wie in der ganzen Gegend keine Wagen gab, gezwungen zu Fuß zu gehen.
Langsam stieg er die Anhöhe hinan, seine eckigen Kniee und die hohen Schultern bogen sich kläglich, die Augen hefteten sich auf die Füße, aber trotz alledem sah er gut aus in seinem hohen Hut und dem Schoßrock, dem höchste Sorgfalt fleckenlosen Glanz verliehen hatte. Dafür sorgte Emily; das heißt, sie sorgte natürlich nicht selbst dafür – denn gutsituierte Leute sorgen nicht selbst für solche Dinge – aber sie sorgte dafür, daß der Diener dafür sorgte.
Er mußte dreimal nach dem Wege fragen; jedesmal wiederholte er die ihm bezeichneten Richtungen, ließ sie sich ebenfalls wiederholen und wiederholte sie dann selbst noch einmal, denn er war von Natur gesprächig, und man konnte in einer neuen Gegend nicht vorsichtig genug sein.
Er versicherte sie unaufhörlich, daß er nach einem neuen Hause suche; und erst, als ihm durch die Bäume das Dach gezeigt wurde, war er wirklich überzeugt, nicht völlig falsch geführt worden zu sein.
Ein schwerer Himmel schien das graue Weiß einer getünchten Zimmerdecke über die Welt zu breiten. In der Luft war weder Wohlgeruch noch Frische. An solch einem Tage taten selbst britische Arbeiter nicht mehr als sie mußten und erfüllten ihre