Gesundheit – ein Gut und sein Preis. Sabine Predehl
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Sicher, hier tun eindeutig Viren, Bakterien und allerlei sonstige Kleinstlebewesen ihr verheerendes Werk. Doch damit sie das tun, also erstens massenhaft Krankheiten auslösen, die zweitens so oft tödlich verlaufen, brauchen diese Biester Menschenmassen unter Lebensbedingungen, die der moderne Weltmarkt in Verein mit kooperationswilligen örtlichen Standortverwaltungen überall da herstellt, wo sich die Benutzung von Menschen als Arbeitskräfte durchs Kapital gar nicht oder nur zu niedrigsten Löhnen und brutalsten Leistungsanforderungen lohnt. Ursache dafür, dass es die „Keime“ in gehöriger Menge gibt, dass sie die Menschen befallen, dass Infektionen zu Epidemien werden und dass daran in hoher Rate gestorben wird, ist nicht die dortige „unberührte grausame Natur“ voller krankmachender Parasiten, auch nicht, dass in den betreffenden Weltgegenden die Segnungen unserer Zivilisation noch nicht angekommen wären; der Grund liegt vielmehr in der Sorte Zivilisation, die die kapitalistische Produktionsweise und das Regime der Weltordnungsmächte ihrer „Peripherie“ bescheren und gelehrige Gewalthaber mit zeitgemäßem Geldbedarf vor Ort in Kraft setzen und halten. Zu ebendieser Zivilisation gehört zudem nicht bloß massenhafter Pauperismus, sondern auch die Verpestung von Wasser, Luft und Boden, also der elementaren Lebensbedingungen, durch Ölfelder, Schwefelminen, Chemiemüll etc., verursacht durch auswärtiges, von den ortsansässigen Machthabern gern gesehenes Kapital, das nicht nur die Bewohner der Landstriche vergiftet, die es für sich nutzbar macht. Woran die Völkerschaften dort leiden und kaputtgehen, sind insofern gleichfalls „Zivilisationskrankheiten“: notwendig infolge der Regeln und Sachzwänge, die der moderne Imperialismus weltweit stiftet, und infolge der Wirkungen, die sich über die Jahrzehnte schon eingestellt haben. Dass viele solcher Krankheiten zu anderen Zeiten unter anderen herrschenden Bedingungen auch schon aufgetreten sind, ändert daran gar nichts: Die „Zivilisation“ des kapitalistischen Weltmarkts und einer Hierarchie autonomer Nationalstaaten wird nicht dadurch bekömmlicher, dass frühere, auch schon sehr „zivilisierte“ Gesellschaftsformen auch schon einen wenig schonenden Umgang mit dem vorhandenen Menschenmaterial geboten und eingerichtet haben. Wenn man der modernen „Weltordnung“ unbedingt etwas zugutehalten will, dann ist es die Errungenschaft einer Hilfsindustrie, die auch für Einwohner der „Dritten Welt“ einige Naturabhängigkeiten schlecht und recht außer Kraft gesetzt und mit rudimentärer medizinischer Versorgung erreicht hat, dass es in den „armen Ländern“ überhaupt immer größere Menschenmassen gibt, die dann an den Konsequenzen der Lebensführung sterben, die ebendiese Ordnung ihnen aufzwingt.
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So viel zum Wesentlichen: zu den Ursachen der modernen „Epidemien“, zu ihrer systemeigenen Notwendigkeit. Für den bürgerlichen Verstand und seinen medizinischen Forschungsdrang ist das alles jedoch das Allerunwesentlichste. Denn Kritik ist unpraktisch, hilft innerhalb der kritisierten Verhältnisse nicht weiter und macht schon gar niemanden wieder gesund, den die Klassengesellschaft kaputtgemacht hat.
Die Medizin zwar auch nicht wirklich. Aber sie kümmert sich wenigstens: borniert, konstruktiv und unerbittlich dem reichlich anfallenden Krankengut verpflichtet.
1) „A relatively small group of health conditions is responsible for a large part of the disease burden in Europe. Of the six WHO regions, the European Region is the most affected by noncommunicable diseases (NCDs), and their growth is startling. The impact of the major NCDs (diabetes, cardiovascular diseases, cancer, chronic respiratory diseases and mental disorders) is equally alarming: taken together, these five conditions account for an estimated 86 % of the deaths and 77 % of the disease burden in the Region.“ (www.euro.who.int)
2) „Durch Mutation proliferationsrelevanter Gene können Onkogene entstehen, deren Produkte, die Onkoproteine, auch ohne physiologische Stimulatoren aktiv sind und daher Zellteilung unabhängig von physiologischen Wachstumsfaktoren fördern können… Auslöser von Mutationen können chemische Kanzerogene, Strahlen oder Störungen der DNA-Reparatur sein... Meist müssen mehrere Mutationen auftreten, bis die Zelle zu einer Tumorzelle entartet... Proliferiert die Tumorzelle, entsteht ein Tumor, der bereits durch die lokale Ausdehnung schwere Auswirkungen haben kann… Stark entdifferenzierte Tumore können in andere Gewebe auswandern (Metastasierung).“ (S. Silbernagl, F. Lang; Pathophysiologie, 2009, S. 16 f.)
3) Zur Kritik der Krankheitsqualität psychischer Störungen später.
4) An seiner neuerdings zunehmenden Hellhörigkeit bei allen Vergiftungen, die nach „Fertilitätsschäden“ und „Keimbahnmutagenität“ klingen, wird deutlich, dass den Staat offenbar die ernsthafte Sorge umtreibt, dass sein Volk sich auf jeden Fall wenigstens noch fortpflanzen können soll, bevor es ihm völlig überaltert wegstirbt.
© 2020 GegenStandpunkt Verlag
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