Grundprobleme der Invaliditätsbemessung in der Invalidenversicherung. Thomas Gächter

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Grundprobleme der Invaliditätsbemessung in der Invalidenversicherung - Thomas Gächter

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KriterienGemäss ständiger Rechtsprechung zu Art. 16 ATSG ist der Invaliditätsgrad «so konkret wie möglich» zu bestimmen und wird nicht etwa medizinisch-theoretisch festgelegt:[12] «Der Invaliditätsbegriff, verstanden als Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit, verlangt, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen wirklichkeitsnah und individuell bestimmt werden.»[13] Dabei bestimmt sich das Mass der Erwerbsunfähigkeit nach objektiven Kriterien und damit nach der Erwerbseinbusse, welche die versicherte Person auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt bei zumutbarer Verwertung ihrer verbleibenden Arbeitsfähigkeit erleidet (Art. 16 ATSG).[14] Gesundheitliche wie erwerbliche Abklärungen zur Erwerbsunfähigkeit «gipfeln eigentlich in der Frage, welche Art von Arbeit dem Versicherten zumutbar sei».[15] Das Kriterium des ausgeglichenen Arbeitsmarktes weist darauf hin, dass der Verdienst, den eine versicherte Person mit ihrer Arbeit in einem zufälligen Zeitpunkt tatsächlich erzielt, grundsätzlich kein genügendes Kriterium für die Bestimmung der Erwerbsunfähigkeit darstellt: «Ausschlaggebend ist der dem Zustand des Versicherten entsprechende objektive Durchschnittsverdienst, während der tatsächliche Verdienst möglicherweise nur vorübergehend ist; würde auf ihn allein abgestellt, so könnte je nach seiner Höhe eine dauernde Begünstigung oder Benachteiligung des Versicherten eintreten».[16]

      1 Vgl. die Hinweise bei Egli, passim.

      2 Der Invaliditätsbegriff enthält im Kern ein medizinisches und ein wirtschaftliches Element, nämlich den Gesundheitsschaden einerseits und die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit andererseits, siehe dazu Bühler, S. 261.

      3 KSIH, Rz. 3076.

      4 BBl 2017 2535, 2617.

      5 BBl 2017 2535, 2617.

      6 EVGE 1960, S. 249 E. 1.

      7 Bericht Expertenkommission 1956, S. 121.

      8 Bericht Expertenkommission 1956, S. 119; dazu nun dezidiert Geertsen, Gedanken, passim.

      9 Bericht Expertenkommission 1956, S. 121.

      10 Siki, S. 147.

      11 Hürzeler, Rz. 388.

      12 Dazu Meyer/Reichmuth Art. 28a N 48, 89 mit Hinweis auf u.a. BGE 135 V 297 E. 5.2; siehe auch BGE 143 V 295 E. 2.2.

      13 Rüedi, Invalidität, S. VII/1 ff., 10, Hervorhebung beigefügt; Omlin, S. 108; siehe auch SGVR, S. 1 ff., mit der Empfehlung, «den Begriff der Erwerbsunfähigkeit konkret und individuell anzuwenden, d.h. im Einzelfall zu prüfen, wie sich die medizinische Invalidität wirtschaftlich für die betreffende Person auswirkt.» (Hervorhebung im Original); Pfluger, S. 54 f.; kritisch jüngst Geertsen, Gedanken, S. 165 ff.; Riemer-Kafka, S. 24.

      14 EVGE 1960, S. 249 E. 1.

      15 Piccard 1957, S. 123 (Hervorhebung im Original); Meyer/Reichmuth, Art. 28a N 26.

      16 EVGE 1960, S. 249 E. 1.

      2

      Fiktion des «ausgeglichenen Arbeitsmarkts»

      Einleitung

      ArbeitsmarktbetrachtungDamit sind die Grundprobleme der Figur des ausgeglichenen Arbeitsmarktes bereits gut umrissen: Eine allzu konkrete Arbeitsmarktbetrachtung kann dazu führen, das Arbeitsmarktrisiko über die Invalidität abzudecken und eine Art von «Arbeitsmarktrenten» auszurichten, womit die Grenze zwischen Erwerbsunfähigkeit und Erwerbslosigkeit bzw. zwischen Invalidität und Arbeitslosigkeit verwischt würde. Dagegen birgt eine allzu abstrakte Arbeitsmarktbetrachtung das Risiko, die Verwertbarkeit eines medizinisch-theoretisch vorhandenen Erwerbspotenzials zu fingieren und sich damit von den realen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt völlig zu lösen. Letzteres kann zu Härtefällen führen, in denen der Verweis auf die Arbeitslosenversicherung problematisch bzw. illusorisch wird.

      VagheitDer Reiz dieses pragmatischen «Mittelwegs» – eine um zufällige Arbeitsmarktschwankungen bereinigte Bemessung der Erwerbsunfähigkeit einer konkreten versicherten Person – geht mit einer grossen Vagheit einher. Die Akzente auf der Achse zwischen Realität (konkreter Arbeitsmarkt) und Fiktion (abstrakter Arbeitsmarkt) lassen sich verschieden setzen. Es lohnt sich daher, die Begriffsgeschichte des ausgeglichenen Arbeitsmarktes nachzuzeichnen, um besser zu verstehen, was damit gemeint ist.

      Vor Inkrafttreten des IVG

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