Die Rache des Inquisitors. Alexander Hartung
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Читать онлайн книгу Die Rache des Inquisitors - Alexander Hartung страница 14
Es war still in Reheim. Mit der einbrechenden Dunkelheit schliefen die meisten Bürger schon, da sie den ganzen Tag auf dem Feld verbracht oder ihr Vieh versorgt hatten. Nur für die Hinrichtung von Agnes hatten sie ihre Arbeit unterbrochen. Doch die Stille in dieser Nacht war anders als sonst. Ein Fremder hätte wohl keinen Unterschied bemerkt, wäre er durch die Gassen des Dorfes gewandert. Aber hinter den geschlossenen Läden wälzten sich die Bürger unruhig in den Betten. Die Idylle war zerstört. Die unbarmherzige Hand der Inquisition hatte sie erreicht und würde Reheim für immer verändert zurücklassen.
Friedrich Birsch lag in seinem Bett und starrte müde an die Decke. Der Tag brach bald an, doch Friedrich wusste, dass ihm die Strahlen der Sonne keine Freude bereiten würden. Das erste Mal in seinem Leben hatte er gespürt, wie schwach und hilflos er gegen die Autorität der Kirche war. Seit vielen Jahrzehnten war er ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft von Reheim. Seine Stimme hatte Gewicht, und sein Rat wurde gehört, aber in den letzten Tagen hatte man vor seinen Augen eine Frau aus dem Dorf verhaftet, gefoltert und für eine Tat verurteilt, die sie nicht begangen hatte. Als Agnes’ Schreie das Flackern der Flammen übertönt hatten, war ihm die Macht der Inquisition bewusst geworden. Von da an hatte er den Schauergeschichten geglaubt, die die fahrenden Händler erzählten. Mit diesem Gefühl der Hilflosigkeit war die Angst gekommen. Die Furcht, ein ähnliches Schicksal zu erleiden, selbst Opfer der Willkür und der Folter zu werden und ein grausames Ende im Feuer zu finden. In diesem Moment hatte Friedrich verstanden, dass all seine Mühen, mit der Inquisition zu reden, vergebens waren. Nichts, was er hätte sagen können, hätte Agnes vor dem Feuertod bewahrt, und trotzdem fühlte er sich schlecht. Er schämte sich für den Gedanken, froh zu sein, dass Agnes dieses Schicksal ereilt hatte und nicht ihn oder jemanden aus seiner Familie. Für einen Moment dankte er dem Herrn, dass er nur Zuschauer gewesen war und dass nicht andere sein Sterben hatten mit ansehen müssen. Es war eine dunkle Nacht, und die Furcht in seiner Seele ließ ihn fast verrückt werden. Verzweifelt drehte sich Friedrich auf die Seite und legte den Arm um seine Frau. Er spürte den Schlag ihres Herzens und lauschte dem leisen Geräusch ihres Atems. Er schloss die Augen und flehte den Herrn um ein Ende dieses Schreckens an.
Normalerweise machte Johanna ihre Arbeit gerne. Sie war für die Sauberkeit der Versammlungshalle zuständig und pflegte die wenigen Blumen am Marktplatz. Sie erhielt dafür nicht viel Geld vom Stadtrat, gab aber keinen Laut der Unzufriedenheit von sich. Jeden Morgen begann sie schon vor Sonnenaufgang mit ihrem Tagewerk. Sie liebte den anbrechenden Morgen, wenn die Gassen des Dorfes noch leer waren und die Sonne zaghaft die ersten Strahlen über den kleinen Hügel schickte. Doch mit der Inquisition hatte Reheim seine stille Unschuld verloren. Jetzt schlich Johanna durch die Straßen, und mit jedem Schritt fürchtete sie sich davor, einem Soldaten zu begegnen. Die Lampe in ihrer Hand war fast vollständig abgedunkelt. Sie beleuchtete nur ein kurzes Stück des Weges. Nach Agnes’ Feuertod hätte sie sich am liebsten zu Hause eingeschlossen. Doch seit ihr Mann gestorben war, brauchte sie das wenige Geld, das sie bei dieser Arbeit verdiente.
Johanna stieg die wenigen Stufen zur Stadthalle hoch und blickte sich ängstlich um. Sie wusste nicht, warum, aber ein unangenehmes Gefühl gesellte sich plötzlich zu der Angst vor den Soldaten hinzu. Vorsichtig schob sie den Riegel der Tür hoch und ging hinein. Sie sah, dass ihre Hand zitterte, als sie die Klappe der Lampe hob, um mehr Licht in den Raum zu lassen, riss sich aber zusammen. Bis die Bauern auf den Feldern waren, wollte sie die Stadthalle ausgefegt haben. Doch noch bevor sie den Besen aus der kleinen Kammer holen konnte, erblickte sie die Gestalt an der Decke. Sie ließ die Lampe fallen und kauerte sich hinter eine Bank, schreiend vor Entsetzen.
Friedrich war sofort wach. Die Müdigkeit fiel von ihm ab, und er sprang aus dem Bett. Noch während er sich eilig anzog, hörte er, wie sich Fensterläden öffneten und Stimmen durch die Gassen hallten. Er zog im Hinunterlaufen seine Jacke über, sprang in seine Stiefel und riss den Riegel der Tür zurück. Als er aus dem Haus rannte, stieß er mit einem jungen Mann zusammen, der gerade in seine Hose schlüpfte. Er wollte ein paar Worte der Entschuldigung murmeln, als er seinen Sohn Peter erkannte.
Friedrich schüttelte den Kopf. Für einen Moment war die Angst, die ihm bei dem Schrei durch Mark und Bein gefahren war, vergessen. Offensichtlich hatte Peter die Nacht wieder bei einer Frau verbracht, die ebenso wenig ehrbare Absichten hatte wie sein Sohn.
Peter grinste nur verlegen und lief weiter, während er versuchte, seine Hose nicht zu verlieren. Dieser kleine Umstand ermöglichte es Friedrich, vor seinem Sohn auf dem Marktplatz anzukommen. Das flackernde Licht der Lampen blendete den Stadtrat für einen Moment. Er hob die Hände vor die Augen und versuchte, etwas zu erkennen. Er kannte viele der Stimmen, die aufgeregt durcheinandersprachen, doch konnte er den Grund für den Schrei nicht erkennen.
Er trat etwas näher und sah Johanna auf den Stufen der Stadthalle sitzen. Eine Freundin hielt sie in den Armen, während sie ihr Gesicht in einem Taschentuch vergrub. Ihr Körper schüttelte sich in Weinkrämpfen.
Die Tür zur Stadthalle stand offen, und Friedrich wusste, dass die Ursache für diesen Schrei dort drin zu finden war. Er nahm sich eine Lampe und ging hinein. Mit jedem Schritt wuchs seine Unruhe. Er wusste nicht, was ihn erwartete, aber er wollte vor den immer zahlreicher zum Marktplatz strömenden Bürgern keine Schwäche zeigen.
Drinnen angekommen, hob er die Lampe über den Kopf. Vorne, gegenüber der Anklagebank, an der Agnes während der Verhandlung gestanden hatte, hing der schlaffe Körper einer Frau. Friedrich musste nicht näher gehen, um zu erkennen, dass Maria Höfner ihrem Leben hier ein Ende bereitet hatte. Ihr Gesicht war in Schmerzen verzerrt. Gott hatte ihr nicht den gnädigen Tod durch Genickbruch geschenkt, sondern sie qualvoll ersticken lassen.
Friedrich bekreuzigte sich, als er hinter sich eine Stimme vernahm.
»Wer ist die Tote?«, fragte der junge Dominikaner Thomas.
Friedrich zuckte zusammen. Er ballte seine Faust und versuchte, keine Schwäche zu zeigen. Er drehte sich um, hatte aber nicht die Kraft, dem Inquisitor in die Augen zu sehen. Der junge Mann war in sein weißes Gewand gekleidet, und seine kurzen Haare waren sauber gekämmt. Neben ihm stand Pater Baselius, dessen graue Augen auf Friedrich gerichtet waren.
»Maria Höfner«, antwortete Friedrich leise. »Sie war eine gute Frau mit einem großen Herzen.«
»Sie ist eine Mörderin!«, rief der Prior erbost. »Wir gehören alle Gott. Nur Gott darf Leben nehmen! Die Frau hat sich einer Todsünde schuldig gemacht, und ihre Seele wird für immer in der Hölle schmoren. Hängt sie ab, schlagt ihr den Kopf ab und verscharrt sie an einem Kreuzweg«, sagte er mit kalter Stimme. »So kann ihre Seele nicht mehr zurückkehren und die Lebenden heimsuchen.« Dann legte er seine Hand auf Thomas’ Arm und ließ sich aus dem Saal führen.
Für einen Moment stand Friedrich allein in dem großen Saal. Er schloss die Augen und verachtete sich wegen seiner Feigheit. Maria Höfner war eine gute Frau gewesen, und sie hätte ein würdevolles Begräbnis verdient gehabt. Sicher hätte er Vater Liborius davon überzeugen können, sie mit christlichen Ehren zu begraben, doch er wollte sich nicht gegen den Willen der Inquisition stellen. Er liebte sein Leben und durfte sich und seine Familie nicht in Gefahr bringen. Er hoffte, dass Maria ihren Frieden gefunden hatte und Gott gnädig über sie richten würde.
Friedrich ging hinaus und sprach einen der Männer an: »Holt eine Leiter, eine Schaufel und einen Wagen.« Er würde Maria an eine alte Kreuzung zum Nachbardorf bringen. Dort war sie auf die Welt gekommen, und dort hatte sie auch ihre Kindheit verbracht. Vielleicht würde es ihrer Seele ein wenig Frieden schenken, wenn sie nahe bei ihrem Geburtsort begraben läge.
Markus