Gesang der Lerchen. Otto Sindram
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»Was wollt ihr Grünschnäbel denn hier?«, begrüßte Gottlieb sie. »Dass mir das nicht zur Gewohnheit wird; normalerweise dürfen hier nur anständige Leute rein. Setzt euch, trinkt und verhaltet euch ruhig!«
Sie tranken Bier, sprachen über die Prüfung, über die Dozenten, und sie waren sich einig, dass es doch eine schöne Zeit gewesen war, die eigentlich zu schnell vergangen sei.
Philipp trank viel und war bald betrunken.
»Ist das Zimmer bei dir noch frei?«, fragte er Sophie.
»Ja, ist noch frei.«
»Wann kann ich einziehen?«
»Wenn ihr schon nächste Woche aus dem Heim raus müsst, dann Montag. Mutti wird sich auch freuen.«
Als sie das Lokal verließen, mussten die anderen Philipp stützen.
»Wisst ihr was, wir verpassen ihm eine kalte Dusche«, schlug Christian vor.
Beim nächsten Hydranten setzten sie Philipp in die zum Tränken der Pferde vorgesehene Aussparung im Kantenstein. Christian zog den Hebel; ein großer Wasserstrahl ergoss sich über Philipp. Dieser schnappte nach Luft, sprang auf, klimperte erstaunt mit den Augenlidern und schaute die anderen vorwurfsvoll an.
»Warum macht ihr das, ich war so schön besoffen!«
Als sie im Heim eintrafen, war Philipps Kleidung immer noch durchnässt. Auf seinem Bett lag ein Brief von seiner Mutter. Ohne sich umzuziehen las er: Es geht uns gut, was wir auch von Dir hoffen. Opa kriegt keine Luft. Es geht immer schlechter. Oma hat ein Bein gebrochen. Onkel Hännes ist dauernd betrunken. Er wird noch seine Arbeit verlieren. Wenn Du kommst, wollen wir das Schwein schlachten. Die Witwe von Hermann ist auch gestorben.
Es grüßt Dich Deine Mutter
Am nächsten Tag half Christian Lena beim Umzug nach Mahlsdorf. Sie nahm die Nachricht von seinem Studium in der Sowjetunion gefasst entgegen. Die Beziehung zwischen den beiden war im Laufe der Zeit mehr und mehr abgekühlt. Ihre Liebe war auf der Treppe zwischen dem Keller und der Etage der Frauen verloren gegangen.
Philipp half Isa beim Packen. Ihre Sachen stellten sie vorübergehend bei den Männern unter und Philipp versprach, sie am Wochenende in ihr neues Zimmer im Bezirk Prenzlauer Berg zu bringen. Dann begleitete er Isa zum Bahnhof Friedrichstraße.
Sie standen auf dem Bahnsteig, um Abschied zu nehmen.
»Wirst du nun allein in Friedrichshain wohnen?«, fragte sie.
»Ich weiß noch nicht.«
Sie stand vor ihm und schaute ihn ängstlich und mit großen Augen an. Philipp fühlte sich elend.
»Schreibst du mir?«, fragte sie.
»Sicher schreib ich dir.«
Plötzlich fühlte er ein seltsames Brennen in der Brust.
»Ich liebe dich«, sagte er.
»Ich liebe dich auch«, antwortete Isa und kramte nach ihrer Fahrkarte.
»Nein, nein, ich liebe dich wirklich. Was immer sein wird, ich liebe dich. Das habe ich noch zu keiner gesagt.«
Er nahm sie in seine Arme und drückte sie an sich.
»Puh! Ich kriege ja keine Luft mehr!«, stöhnte Isa und lachte glücklich. »Vielleicht bekommst du ja doch noch einen Pass, und das Ganze war nur ein Missverständnis. Dann kommst du nach, versprochen?«
»Versprochen!«
Der Zug kam, Isa stieg ein, Philipp drehte sich um und ging, ohne noch einmal zurückzuschauen. Als Christian am folgenden Tag zum Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen ging, um seinen Aufenthalt in der Sowjetunion zu regeln, ging Philipp mit; er wollte sich bewerben, ebenfalls in Moskau studieren zu dürfen. Aber der Genosse Abteilungsleiter machte ihm keine Hoffnung.
»Du hast Verwandte in Westdeutschland, Genosse Siebert, damit hast du keine Chance. Übrigens: Da gehört das Parteiabzeichen hin!«
Er stieß mit dem Zeigefinger energisch gegen das Revers an Philipps Jackett. Philipp trug noch immer den amerikanischen Sakko, den seine Mutter ihm lange vor der Währungsreform auf dem Schwarzmarkt gegen ein Stück Schweinespeck besorgt hatte − aber eben ohne Parteiabzeichen der SED.
Am Montag zog Philipp in Weißensee ein. Am Revers trug er das Abzeichen mit den verschlungenen Händen. Er wollte studieren und weiterkommen im Leben.
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