Hightech-Kapitalismus in der großen Krise. Wolfgang Fritz Haug

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Hightech-Kapitalismus in der großen Krise - Wolfgang Fritz Haug

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Die These vom tendenziellen Fall der Profitrate

      Auf der Produktivitätsdynamik fußt nun eine weitere, deren Effekt auf den ersten Blick verrückt erscheint: je mehr stofflichen Reichtum die menschliche Arbeit zu schaffen vermag, desto schwächer wird – im Kapitalismus, wohlgemerkt, und nur hier! – der Antrieb zur Reichtumsproduktion. Spezifischer Antrieb kapitalistischer Produktion ist ja nicht der stoffliche Reichtum an Gebrauchswerten, sondern der abstrakte, in Geld ausgedrückte Reichtumszuwachs, anders gesagt, der Mehrwert im Verhältnis zum eingesetzten Kapital. – Erinnern wir uns: Mehrwert entspringt der lebendigen Arbeit ab dem Moment, an dem sie den Wert der Arbeitskraft reproduziert hat. Alle Arbeitszeit über diesen Punkt hinaus ist Mehrarbeitszeit, und das erste Verhältnis, um das es dem Kapital geht, ist das Verhältnis der Mehrarbeit zur (für die Reproduktion der Arbeitskraft) notwendigen Arbeit bzw., in Wert ausgedrückt, das Verhältnis des Mehrwerts (m) zum (als Lohn gezahlten und, weil den wertmäßig variablen Kapitalteil darstellend, als v abgekürzten) Wert der Arbeitskraft, kurz: die Mehrwertrate (m/v). Das darauf aufbauende Verhältnis, ist das der Masse des angeeigneten Mehrwerts (M) zum Wert der insgesamt eingesetzten persönlichen (V) und sachlichen (C) Produktionsfaktoren, kurz: die Profitrate (M/C + V). Weil aller Wert vergegenständlichte Arbeit ausdrückt, umschreibt Marx das Verhältnis von V und C auch als das Verhältnis der lebendigen Arbeit zur toten Arbeit. Mit der Produktivkraftentwicklung schrumpft nun die lebendige im Verhältnis zur toten Arbeit, und mit der steigenden Komplexität der Anlagen tendiert deren Geldausdruck (Anlagekapital) im Verhältnis zu dem in Lohn ausgedrückten Kapitalteil nach oben. Sofern nun die »Wertzusammensetzung des Kapitals […] durch seine technische Zusammensetzung bestimmt wird und deren Änderungen widerspiegelt«, spricht Marx von der »organischen Zusammensetzung des Kapitals« (23/640). Nehmen wir ein empirisches Beispiel: kostete 1970 eine Chipfabrik 30 Millionen, so zu Beginn des 21. Jahrhunderts annähernd das Hundertfache. Auch wenn für einen genauen Vergleich weitere Parameter einbezogen werden müssten und die zwischenzeitlich akkumulierte Inflation herauszurechnen wäre, deutet sich der gewachsene Investitionsbedarf pro Arbeitsplatz an. Wenn aber nur die Arbeit Mehrwert bildet und die Profitrate durch das Verhältnis des Mehrwerts zum eingesetzten Kapital bestimmt ist, ergibt sich das Gesetz, dass bei steigender organischer Zusammensetzung des Kapitals die Profitrate fällt. Das Beispiel der Chipfabrik zeigt aber auch, wie Produktivkraftentwicklung die Herstellung der Produktionsmittel erfassen und die Produkte verändern und zusätzlich verbilligen kann. Wenn sie die Lebensmittel im weitesten Sinn der zum Leben benötigten Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände ergreift, wozu inzwischen auch die zunehmend in den unterschiedlichsten Gebrauchsgütern fungierenden Chips gehören, kann Produktivkraftentwicklung die relativen Kosten der Arbeitskraft senken. Sofern nicht durch Arbeitszeitverkürzung wettgemacht, erhöht sich also der Anteil der Mehrarbeit am Arbeitstag und so die Ausbeutungsrate (Mehrarbeit/notwendige Arbeit). Diese beiden realen Möglichkeiten der Wertsenkung von C und V nennt Marx »entgegenwirkende Ursachen«. Er spricht daher vorsichtig vom bloß »tendenziellen« Fall der Profitrate. – Wie immer man das Sinken der Profitrate erklärt, der Wirtschaftshistoriker Robert Brenner kann zeigen, dass es sich dabei um eine langfristige Tendenz handelt. Auf diese Tendenz antwortete das Kapital, unterstützt von staatlicher Wirtschafts- und Finanzpolitik, mit einer Reihe von Profit-Forcierungspolitiken, deren Folgen sich in der Großen Krise entladen haben.

      Der kapitalistische Gesamtprozess wie alle private Warenproduktion regelt sich reaktiv aus der Verfehlung des Gleichgewichts, da der gesellschaftlichen Gesamtproduktion kein Plan zugrunde liegt. Das gilt auch für die kapitalistische Warenproduktion. Doch bei ihr kommt etwas Entscheidendes hinzu. Und zwar ist die Verfehlung der gleichgewichtigen Proportionalität ihrem bestimmenden Zweck und treibenden Motiv, der Aneignung von Mehrwert und seiner Verwandlung in zusätzliches Kapital, eingeschrieben. Kurz, die Kapitalverwertung tendiert zur Überakkumulation. Diese schlägt in unregelmäßigen Abständen um in Kapitalvernichtung.

      Das wird deutlich, wenn man folgende Bewandtnisse der Kapitalverwertung vor Augen führt: Da Geld nur quantitativ zählt, kennt Geldvermehrung keine qualitative Grenze. Kapitalanhäufung heißt Akkumulation, und Marx bringt die Kapitaldynamik auf die Formel »Akkumulation um der Akkumulation willen« oder, als abgeleitete Notwendigkeit, »Produktion um der Produktion willen« (23/621). Man kann den Kapitalprozess daher »produktivistisch« nennen. Damit will man sagen, dass er an keiner Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse zur Ruhe kommt. Dieses dem Kapital wesensfremde Zur-Ruhe-Kommen könnte unter anderen Verhältnissen etwa so aussehen, dass Produktivkraftentwicklung in proportionale Arbeitszeitverkürzung umgesetzt wird, die den derart partiell Freigesetzten ermöglicht, sich im Sinne dessen, was Frigga Haug (2008) die »Vier-in-einem-Perspektive« genannt hat, als gesellschaftliche Individuen weiterzuentwickeln. Der kapitalistische Produktivismus dagegen mündet in ein stets wachsendes Mehrprodukt, und die kapitalspezifische Natur dieses Reichtums zeigt sich darin, dass er sich auch nur kapitalistisch, das heißt, als sich verwertender Wert oder Einsatz zwecks weiterer Reichtumsvermehrung realisieren lässt. Die gesellschaftliche Reproduktion ist vom Standpunkt des reinen Verwertungsprozesses nie Zweck, allenfalls Medium und Effekt der Selbstvermehrung des Kapitals. Sie dem Markt zu überantworten und Staat und Zivilgesellschaft aus der Verantwortung zu entlassen, stürzt sie daher unweigerlich in die Krise.

      Die Selbstvermehrung des Kapitals muss nun eine Hürde überwinden, die ihr selbst entspringt. Bereits der Wert der Waren und damit der in ihm enthaltene Mehrwert bedarf seiner Realisation als Verkaufserlös – ein immer riskanter Vorgang, den Marx mit einem Salto Mortale in die Geldform vergleicht. Und nun verlangt der so realisierte Mehrwert nach einer zweiten Realisation, die seine dominante Bestimmung erfüllt, sich aus Geld wiederum in Kapital zu verwandeln. In neues Kapital verwandelt es sich, indem es sich in seine sachlichen und persönlichen Produktionsmittel umtauscht und in den Verwertungsprozess eintaucht. Der Produktionsdurchgang stößt wiederum in Waren gebundenen Wert (einschließlich Mehrwert) aus, dessen Realisation ihn aufs Neue als Geld erscheinen lässt. Doch bei jedem Durchgang erhebt sich auf wachsender Stufenleiter erneut die Frage, woher die zahlungsfähige Nachfrage nach jenem Mehr an Produkten kommt. Diese Frage hat Rosa Luxemburg aufgegriffen und ihrem ökonomietheoretischen Hauptwerk über die Akkumulation des Kapitals zugrundegelegt: »Wie ist es aber mit der Realisierbarkeit der Früchte jener Ausbeutung, mit den Absatzmöglichkeiten?« (RL 5, 418)

      Eine Menge finanztechnischer und wirtschaftspolitischer Instrumente sind erfunden worden, um zu verhindern, dass dieser Widerspruch explodiert. Im Zweifelsfall dient »Militarismus

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