Hightech-Kapitalismus in der großen Krise. Wolfgang Fritz Haug

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weitere Folge der automatisierten Spekulation ist die Zunahme des Geld- und Devisenhandels. Sie markiert eine der Veränderungen seit 2003, als Band I erschien. Laut einer Erhebung der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist in den drei Jahren zwischen 2004 und 2007 der globale Devisenhandel um 71 Prozent gewachsen auf täglich 3,2 Billionen US-Dollar und zusätzlich 2,1 Billionen in Devisen- und Zinsderivaten (FAZ, 26.9.2007, 25). Beigetragen haben die bereits erwähnten spekulativen Zins-Währungsgeschäfte (Carry Trades), die Unterschiede im Verhältnis des Außenwerts einer Nationalwährung zum nationalen Zinsniveau ausnutzen, indem sie im Niedrigzinsland Geld borgen, um es im Hochzinsland anzulegen. Die Frankfurter Allgemeine erklärte die Zunahme zum anderen Teil damit, »dass elektronische Handelsplattformen Geschäfte ›per Mausclick‹ ermöglichen«. Man merkt dem Bericht noch das Erstaunen über den technologisch bedingten Systemwandel an, wenn er fortfährt: »Zum Teil werden Geschäfte sogar nur noch von Computern ausgelöst, die gleichzeitig fortlaufend mehrere Handelsplattformen auf kleine Preisunterschiede hin absuchen und ggf. – im Takt von Tausendstel Sekunden – Kauf- und Verkaufssignale auslösen, um von den Kursunterschieden zu profitieren.« Im Kassahandel stieg der Umsatz von 0,6 auf 1 Billion. Darin drücken sich die Kapital- und Warenströme aus. Die Diskrepanz zwischen dem Welthandelsvolumen in Warenpreisen und dem Welthandelsvolumen in Geld rührt zum Teil von der bis zur Großen Krise von 2008ff trotz aller US-Verschuldung kaum bestrittenen Funktion des Dollars als einer »Ersatz-Weltwährung« her.56 Sie bedeutet, dass fast alle Transaktionen zwischen anderen Währungen über ihn abgewickelt werden. »Ein Tausch von chinesischen Yuan in Euro wird also über einen Tausch von Yuan in Dollar und von Dollar in Euro ausgeführt.« Mit dem Effekt dieser Dollarfunktion einer Zwischenwährung summiert sich der Effekt des Zwischenhandels durch die Banken, da Angebot und Nachfrage auf diesem »Marktmacher-Markt« nicht direkt-zentral zusammentreffen wie an der Börse. Findet die Bank keinen Abnehmer, verkauft sie sofort an einen Großhändler. Im Schnitt entfiel in den drei Jahren ca. die Hälfte des Gesamtumsatzes am Devisenmarkt auf die an der BIZ-Erhebung teilnehmenden Großhändler untereinander.57

      Das spekulative Moment der Ausspähung von Differenzen in der Zeit erobert auf Basis der fürs Börsengeschäft entwickelten Technologie auch den Internet-Werbemarkt. Wie die Konkurrenz um günstige Kurse bei spekulativen Objekten sich an die Grenzen der Zeit herantastete, so nun die Konkurrenz um die Verwandlung von Kundenwünschen in Verkaufschancen. Das Einwerben von Internet-Werbeaufträgen ist ein hart umkämpfter Markt. Was jene Einwirkungsform für die Unternehmen attraktiv machte, war der sinkende Wirkungsgrad der Streuwerbung. Nachdem immer mehr potenzielle Käufer sich primär übers Internet über Angebote informierten, öffnete die Rechentechnologie in drei Stufen den zeitlichen Mikrokosmos für individualisiertes »Echtzeit-Bieten«.

      Im ersten Schritt entwickelte Google aus »dem Unterschied zwischen Werbeausstrahlung als solcher und in tatsächlicher Rezeption realisierter Werbung« ein Geschäftsmodell: »Immer und ausschließlich wenn die kleinen Textanzeigen bei Google angeklickt werden, entstehen Werbeeinnahmen. Die Kenntnisnahme quittiert den Empfang. Die Werbung ist selbst noch einmal eingepackt. Von außen verspricht sie noch nicht den Gebrauchswert, sondern ein Gebrauchswertversprechen. Google bekommt Geld, sobald sich jemand entscheidet, sich tatsächlich etwas versprechen zu lassen.« (KdWÄ, 266) Der zweite, für den Werbemarkt nicht weniger revolutionierende Schritt gründet auf der Auswertung des in den Supercomputern des Konzerns fixierten Internetverhaltens der einzelnen Nutzer. »Die Wahrscheinlichkeit, dass die Werbung vom Adressaten angeklickt wird und der Adressat sich für die Werbung öffnet, steigt sprunghaft, wenn es gelingt, Werbung auf die individuellen Käuferprofile hin zu flexibilisieren und schließlich sogar zu individualisieren.« (Ebd.)

      Der dritte Schritt bringt die gleiche Hochfrequenztechnik zum Einsatz, die in der Spekulation eingesetzt wird. Für die Internet-Plattformen erschließt sich damit noch einmal ein neuartiger Werbemarkt. Was hier verkauft werden kann, ist die Chance, noch innerhalb der Sekunde zwischen dem Eintippen einer Internetadresse und dem Erscheinen der Seite auf dem Bildschirm »dem Nutzer die passende Werbung einblenden zu dürfen«; Echtzeit-Bieten (Realtime-Bidding) heißt dieses Verfahren, das »die Online-Werbung in den kommenden Jahren revolutionieren könnte« (Schmidt 2010a). Hochleistungscomputer in Verbindung mit schnellen Internetleitungen analysieren, ›entscheiden‹ und bewirken in Millisekunden, welcher Internet-Nutzer welche Werbung eingeblendet bekommt. Schmidt hebt in einer Begleitglosse zu seinem Bericht hervor, dass die »Märkte […] gar nichts davon ahnen, was und wie ihnen dabei geschieht«: »Werbung im Internet wird künftig in dem Moment gebucht, in dem der Nutzer […] ein Interesse an einem Produkt […] gezeigt hat. Das […] mindert Streuverluste. Graphische Werbung im Internet wird künftig in hohem Maße ein Technologieprodukt sein.« (2010b) Google ist der Vorreiter auf diesem Geschäftsfeld. Hochtechnologie wird zur Waffe, mit der Kapital anderes Kapital erschlägt: »Wer in zehn Jahren nicht abgehängt sein will, muss jetzt in Technik investieren.« (Schmidt 2010b)

      Die US-Firma Appnexus ging 2010 mittels eines Rechenzentrums in Amsterdam den europäischen Markt »für die vollautomatisierte Form der Online-Werbung« an (Schmidt 2010a; hierher auch das Folgende). Erfassung der Kundengewohnheiten via Cookies ist die Voraussetzung. Mit einem Verfahren, das »Retargeting« (Wieder-zum-Ziel-Machen) heißt, »wird der Nutzer beim späteren Besuch einer anderen Internetseite wiedererkannt«. Soweit die Identifizierung und die Verknüpfung mit dem permanent aktualisierten individuellen Profil, einer Art digitaler Personalakte. Es folgt die mannlose Interaktion zwischen den Metamaschinen im Computerinnern der einschlägigen Marktinteressenten: »In rund 10 bis 20 Millisekunden findet dann eine Auktion zwischen mehreren Werbetreibenden um diesen Werbeplatz und diesen Nutzer statt.« Es geht nicht nur um den Zuschlag der Werbechance. Sondern die Ware eines Anbieters kann auch durch die entsprechende Ware eines konkurrierenden Anbieters unterboten werden. Ein weiterer Nebenmarkt erschließt sich: Datenhandel wird für Internet-Anbieter der betreffenden Produkte zu einem Nebenerwerb. – Als einer der Effekte dieser technologischen Innovation und der von ihr getragenen Geschäftsmodelle zeichnet sich der Transfer von Werbeetats aus dem Fernsehen ins Internet ab, wie zuvor aus den Druckmedien ins Fernsehen.

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