Totensteige. Christine Lehmann
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»Ach«, sagte Richard.
»Rosenfeld hat sie vor zehn Jahren der Stiftung überschrieben, weil er die Renovierung der Burg wegen seiner Scheidung nicht bezahlen konnte. Davor, bis in die Achtziger, gehörte sie einem Ehepaar, das sie wiederum in den Siebzigern von einem Mann erworben hatte, der ebenfalls wegen einer Scheidung den Unterhalt nicht mehr zahlen konnte.«
»Ein Fluch liegt auf der Burg«, bemerkte ich.
»Der Mann betreibt heute in Nördlingen einen Drehorgelverleih. Er hatte die Wasserburg in völlig desolatem Zustand erworben und mit den ersten grundlegenden Instandsetzungen beginnen können.«
»Und dabei hat der Scherzbold in den Raum, wo Rosenfelds Büro untergebracht ist, eine Geheimtür eingebaut.«
»Wir haben ihn danach gefragt. Der Architekt und die Handwerker wissen auch nichts von einer Geheimtür.«
»Und wer ist Edmund Gurney?«, fragte ich.
»Ein englischer Philosoph. Mitbegründer der Society for Psychical Research in London. 1882 war das. Die erste gemeinschaftliche Anstrengung unserer Gesellschaft, den unkontrollierbaren Mächten von Zauberei, Magnetismus und Hellseherei Einhalt zu gebieten, sie aus den schummrigen Hinterstuben ins Licht der Labore und der Naturwissenschaft zu holen.« Richard griff zufrieden nach seinem Schorleglas und sagte in einem Ton, als müsse er sein abseitiges Wissen erst mühsam aus den Regalen holen: »Ich meine mich zu erinnern, dass es dieser Gurney war, der erstmals Kriterien für paranormale Erscheinungen aufstellte: Berichte nur aus erster Hand und durch einen Zeugen bestätigt. Besonders interessierte ihn das, was er Krisen-Erscheinungen nannte. Irgendwo befindet sich eine Person in einer meist tödlichen Krise und woanders sieht oder hört ihn im gleichen Moment eine ihm nahestehende Person.«
»So wie bei Sally«, bemerkte ich. »Als ihr Vater starb, fiel bei ihr ein Geschenk von ihm, ein Bierkrug, runter und zerbrach.«
»Gurney hätte gesagt: Sie hat eine telepathische Botschaft empfangen. Allerdings würde ich sagen: Nichts ist so trügerisch wie unsere Erinnerung. Wer weiß, wann Sally den Bierkrug runtergeworfen hat. War es wirklich in der Stunde, als ihr Vater starb? Oder womöglich zwei Tage vorher? Ihre Erinnerung hat dann zwei Ereignisse zusammengeschweißt und daraus eine Legende gemacht, die man gut erzählen kann. Nicht absichtlich natürlich.« Er lächelte selbstzufrieden. Entzaubern war eines seiner Hobbys.
Aber diesmal konnte er keinen Erfolg haben. Die Macht des Narrativen war zu groß.
»Ich glaube aber schon, dass es so etwas gibt«, meldete sich die junge Staatsanwältin ernst. »Mein Onkel ist mit seiner ganzen Familie bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Ich war damals sieben. Drei Nächte vor dem Flug hat seine Tochter geträumt, dass ein Flugzeug abstürzt. Und die Frau meines Onkels hat es am Vorabend der Reise meiner Mutter erzählt. Meine Mutter hat sie noch gefragt, ob sie denn keine Angst hätten. Aber wer bucht schon einen Flug um, nur weil ein Kind schlecht träumt? Hätten sie mal!«
Richards asymmetrischer Blick ruhte prüfend auf der kurzhaarigen jungen Frau, die noch so viel werden wollte und der die Herren doch bloß auf die Brüste in festlich roter Verpackung guckten. »Jetzt reden Sie aber nicht mehr von Gedankenübertragung, sondern von Hellsehen.«
»Glauben Sie, meine Mutter hat sich das alles nur so ausgedacht, um mir Angst zu machen?«, fuhr sie auf.
»Wieso denn Angst?«, hakte ich ein.
»Das ist doch total unheimlich, finden Sie nicht? Ich bin mit der Angst aufgewachsen, dass ich vielleicht eines Tages den Tod meiner Eltern und meiner ganzen Familie vorhersehen würde. Und ich habe immer schon Angst vorm Fliegen gehabt.«
»Sie brauchen weder vor dem einen noch dem anderen Angst zu haben«, sagte Richard onkelhaft. »Die meisten Menschen halten Hellseherei zwar für möglich, aber gerade die ist, soviel ich weiß, von den Parapsychologen noch nie bestätigt worden.«
»Wieso nicht? Meine Mutter hat sich das nicht ausgedacht!«
»Ihre Geschichte in Ehren, und ohne Ihrer Mutter zu nahe treten zu wollen, aber die Sache ist zwanzig Jahre her. Da gilt, was für alle Zeugenaussagen gilt. Nach so langer Zeit erinnert sich ein Zeuge an gar keine Zusammenhänge mehr, und die, an die er sich erinnert, erweisen sich als falsch. Und wenn ein Mensch eine Geschichte wiederholt erzählt, erinnert er sich immer nur an die zuletzt erzählte Version. Das Original geht gänzlich verloren.«
»Ich erinnere mich aber genau, es war im Mai …«
»Sie erinnern sich an die Geschichte, die man bei Ihnen daheim erzählt. Bereits ordentlich abgeschliffen und logisch verknüpft. Ein Indiz dafür ist die Zahl 3. Warum hat Ihre Cousine drei Nächte vor der Reise von einem Absturz geträumt? Warum nicht vier? Warum nicht zwei? Und was genau hat sie geträumt? Was war Interpretation der Eltern am andern Morgen? Und welche Interpretation hat Ihre Mutter nach dem Unglück der Geschichte gegeben, die ihre Schwägerin am Vorabend der Reise am Telefon erzählt hatte?«
»Aber sie hat doch die Schwägerin sogar noch gefragt, ob sie keine Angst hätten, dass der Traum sich erfüllen wird!«
»Hat sie das wirklich?«
»Warum sollte sie das erfinden?« Die junge Staatsanwältin glühte.
Richard schlitzte den Blick. Ich sah ihm an, dass er sich in diesem Moment entschied, nicht zu sagen, was ihm auf der Zunge lag. »Es ist oftmals schwierig, sich zu erinnern, wann genau man was zu wem gesagt hat«, sagte er beschwichtigend und lenkte ab. »Auf jeden Fall ist sich kein Kind von sieben Jahren bewusst, dass gerade Mai ist. Das ist schon mal nicht Ihre eigene Erinnerung.«
Die junge Staatsanwältin schluckte.
»Mein lieber Herr Dr. Weber«, sagte Krautter, »seien Sie doch nicht so erbarmungslos.«
»Eine Freundin von mir«, plauderte Roswita Kallweit los, »die war mal bei einer spiritistischen Sitzung dabei. Da hat man den Geist eines Toten gerufen. Und er ist gekommen.«
Richard lachte ratlos.
»Wie?«, erkundigte sich Meisner. »Mit Tischrücken? Ich habe das als Studentin auch mal gemacht. Man setzt sich im Kreis um einen Tisch … so wie den hier … und alle legen die Hände darauf. Los, das machen wir jetzt. Alle müssen die Hände auf den Tisch legen … Aber vorher sollten wir besser die Gläser runternehmen.«
8
Wir verteilten Gläser, Aschenbecher und Erdnussschälchen auf zwei Steinsockeln zwischen den Geländern zum See. Die Terrasse war inzwischen weitgehend entvölkert. Am andern Ende knutschten noch zwei. Die Band hatte aufgehört zu spielen. Es schien, als sei uns das Ende der Party entgangen. Seltsam nur, dass die Gäste sich nicht von Meisner verabschiedet hatten. Aber vielleicht waren wir so in unsere Diskussion verbissen gewesen, dass man uns nicht hatte stören wollen, oder die Lärmschutzwand um uns herum hatte uns unsichtbar gemacht für die anderen.
»Und jetzt?«, fragte Krautter.
»Wir legen die Hände auf den Tisch.« Meisner spreizte ihre Finger. »So dass wir uns an den kleinen Fingern berühren.«
Der Bistrotisch wackelte schon auf seinem Ständer, als wir die Hände vor uns legten. Ich spürte Richards kleinen Finger warm und ruhig