Totensteige. Christine Lehmann
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»Das klappt doch nie und nimmer«, sagte ich.
»Ruhe auf den niederen Rängen!«, rief Meisner. »Wir müssen uns konzentrieren.«
Die junge Staatsanwältin kicherte.
»Konzentration«, zischelte ich.
Jetzt gluckste auch Roswita Kallweit. »Mich juckt’s hinterm Ohr!«
»Und was passiert jetzt?«, erkundigte sich Krautter.
»Wir warten, bis der Geist sich meldet. So ein Schloss hat sicher einen Geist. Wenn er da ist, dann bewegt sich der Tisch. Warten wir’s ab.«
Ich dachte an Kitty zu Salm-Kyrburg und ihre Behauptung, Rosenfeld habe was zu sagen. Und ich erinnerte mich an die Geisterjagd vor zwei Monaten im Schloss Ludwigsburg, dessen Ableger das Seeschlösschen Monrepos war. Wenn das Gaußmeter blinkt und die Temperatur fällt, dann ist er da, der Geist. Die Haunt Hunters hatten etwa zehn Minuten mit geschlossenen Augen in der Kirche gesessen. Ein Geist braucht Stille. Aber worauf, zum Teufel, konzentrierte man sich?
Da spürte ich ein erstes Zucken.
»Huh!«, entfuhr es Roswita. Enten auf dem See quakten.
»Scht!«, machte Meisner und fragte mit hohler Stimme: »Bist du da, Geist? So antworte mit Ja.«
Der Tisch kippte Richtung Krautter und fiel zurück.
Roswitas Finger zuckte kurz weg, aber sie wagte es nicht, die Hände zurückzuziehen. Keiner wagte es.
»Wer bist du?«, fragte Meisner. »Nenne deinen Namen. Einmal Kippen für A, zweimal für B, dreimal für C und so fort.«
Nichts passierte. Ich spürte, was Richard dachte. Ich dachte, was er dachte. Am Ende sind wir alle so entsetzt, dass der Tisch nur einmal ruckt. Und dann haben wir nur ein A für Angst. Aber seine Sorge sollte es nicht sein. Und wie er und ich schob jeder und jede die Verantwortung von sich weg. Und nachdem das klar war, begann der Spuk.
Der Tisch kippte erneut in Richtung Krautter und der jungen Staatsanwältin. Einmal, zweimal, dreimal. Und es war der Tisch. Ich tat gar nichts. Ich schwör’s. Er war es, der sich bewegte.
»A … B … C …«, sprach erst nur Meisner, dann die junge Staatsanwältin, schließlich Krautter mit. »… E … F …«
Wo wollen die hin? Gabriel wäre Rosenfelds Vorname gewesen.
»… L … M … N …«
Tja, gar nicht so leicht, sich unter fünfen auf einen Namen zu einigen, dachte ich, weil Richard es dachte.
»… Q … R.«
Der Tisch fiel auf seine Füße und rührte sich nicht mehr.
»R«, stellte Meisner fest. »Wie lautet der zweite Buchstabe?«
Der Tisch fing brav sofort wieder an. Es flutschte. »… E … F … G …«
»Rosenfeld?«, fragte ich. »Heißt du Rosenfeld?«
Der Tisch antwortete mit einem Ruckler für Ja.
In diesem Moment veränderte sich etwas. Schloss, See, Wind und Nacht entrückten sich uns. Als ob sich eine Glocke über uns gestülpt hätte, damit wir allein sein konnten mit Gabriel Rosenfelds Geist.
»Kennst du deinen Mörder?«, fragte ich.
Der Tisch wackelte zweimal. »Nein«, sagte Meisner.
Schade!, dachte ich. Oder war es Richard, der das dachte? Er hätte es spöttischer denken müssen als ich.
»Ist Juri Katzenjacob dein Mörder?«, fragte ich, ehe Meisner was anderes fragen konnte.
Der Tisch kippte zweimal. »Nein«, übersetzte nicht Meisner, sondern Roswita Kallweit. »Er ist es nicht.«
»Kennst du das Motiv?«, fragte Meisner. »Weißt du, warum du sterben musstest?«
Der Tisch neigte sich fast zögernd der jungen Staatsanwältin und dem Leitenden Oberstaatsanwalt zu, kippte zurück auf seine Füße und blieb still stehen.
»Ja?« Meisner klang erstaunt.
Jetzt wurde es ernst. Keiner im Kreis hätte noch seine Hände heben und sich vom Tisch lösen können. Nicht einmal Richard, der, wie ich deutlich spürte oder auch nur vermutete oder hoffte, standhaft blieb und nicht eine Sekunde lang glaubte, es spräche irgendetwas anderes zu uns als wir selbst, eine Gruppe, die sich nach den Regeln der Chaostheorie selbst organisierte und dabei die Verantwortung für die Bewegung des Tischs von sich weg delegierte, weshalb jeder Einzelne von uns das eigene Zutun nicht mehr spürte. Deshalb fürchtete Richard sich auch nicht. Noch nicht.
Meisner war die Erste, der einfiel, wie wir die nächste Frage stellen mussten. »Ist das Motiv … äh … Habgier?«
Gut gefragt, dachte Richard.
»Nein«, kippelte der Bistrotisch.
»Eifersucht?«, fragte die junge Staatsanwältin fast schrill.
»Nein.«
»Neid?«, fragte ich und dachte an die stellvertretende Institutsleiterin Dr. Derya Barzani, die sich die Aussicht, Institutsleiterin zu werden, erkämpft haben mochte, wenn sie schon Rosenfelds sehnigen Körper an das Sonnenscheinchen hatte abtreten müssen. Wieso, fragte ich mich, hatte Rosenfeld bei seinem Tod Trekkingstiefel angehabt?
»Nein.«
»Hass?«, fragte die junge Staatsanwältin.
Der Tisch kippte zweimal und blieb dann still stehen. »Nein.«
»Herrschsucht?«, fragte ich.
Damit konnte Rosenfelds Geist in unseren Händen nichts anfangen. Der Tisch rührte sich nicht. Zu theoretisch, hörte ich Richard denken. Er schmunzelte dabei.
»Hat es mit deiner Arbeit zu tun?«, fragte Meisner.
Der Tisch hüpfte geradezu befreit: »Ja.«
Kurz kreiste Ratlosigkeit. Was tat ein Parapsychologe den ganzen Tag? Geisterfotos angucken, die man ihm schickte, Poltergeister mit Mikrofonen verfolgen, sich Berichte von Spukhäusern anhören, selbsternannte Medien wie das der Haunt Hunters entlarven, auf Kongressen Vorträge halten, Bücher schreiben … Was davon brachte ihn in Gefahr, ermordet zu werden?
»Hast du einen Fehler gemacht?«, fragte ich.
Der Tisch wäre beinahe umgefallen, fing sich aber und fiel zurück auf seine Ständerfüße. »Ja«, stellte Meisner fest.
Dann kippte der Tisch noch mal. »Also nein.«
»Wir kommen nicht drauf«, sagte Roswita auf ihre katzenniedliche Art. Sie legte sogar den Kopf mit den langen schwarzen Haaren schief. »Sag uns den Grund, lieber Geist.«
Die