Der mondhelle Pfad. Petra Wagner
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„Stadion?“, wiederholte Lavinia mit großen Augen.
„Sehr richtig, Lavinia. Ein Stadion. So sagen wir Griechen zu einer Wettkampfstätte. Eigentlich ist Stadion ein Längenmaß und bedeutet sechshundert Fuß, aber irgendwann hat es sich so eingebürgert, es als Wort für Wettkampfstätte zu nehmen.“
Robins Augen begannen zu leuchten.
„Das würde ich mir zu gerne mal ansehen! Unsere Wettkampfstätte, also unser Stadion, wird abends immer umfunktioniert, zum Tanzplatz. Auf der Festwiese zwischen See und Stadion wird nämlich immer gemeinsam gegessen und abends wird musiziert. Dann schwärmen die Massen aus und verteilen sich über See und Stadion. Wenn du willst, kannst du auch mal auf deiner Flöte mitspielen, Loranthus.“
„Nein, da muss ich noch ein bisschen üben, Robin!“, wehrte Loranthus schnell ab und sah schon die Leute in Panik vor seinen musischen Ergüssen auseinander stieben. Die einen ersäuften sich im See, die anderen rannten den Marathon. „Vielleicht nächstes Jahr.“
Robin kicherte: „Wenn du krumme Töne spielst, merkt das eh keiner, das kannst du mir glauben! Die Leute sind abends immer so beschäftigt mit tanzen und saufen und …“
„Ja, das kann ich mir vorstellen!“, rief Loranthus begeistert und sah ganz genau vor sich, was sich da alles für Möglichkeiten eröffneten. „Dieser überdachte Flachbau auf der Festwiese macht einen soliden Eindruck.“
„Ganz genau! Aber der Platz dort reicht nur für die Könige und oberste Druiden. Wenn das ganze Großkönigreich zusammen kommt, passen nicht mehr rein. Außerdem ist es sowieso besser, wenn die Krieger nicht zusammensitzen.“
Loranthus ließ den Kopf hängen. Gerade hatte er sich neben Elektra sitzen sehen und nun war für ihn kein Platz. Für Krieger zum Glück auch nicht.
„Warum kein Platz für Krieger? Wegen ihrer Essmanieren?“
„Nein“, gluckste Robin und hob Achtung heischend den Finger. „Wenn viele Hunde zusammengepfercht werden, dauert es nicht lange, und der erste beißt um sich. Du weißt doch, Loranthus, kein Streit zu den Festen. Zu Lugnasad sind die Druiden der Rechtssprechung besonders streng. Da muss der hohe Rat oftmals Streitfälle schlichten, die gar nicht eingeplant waren.“
„Streitfälle schlichten? Interessant! Das muss ich mir unbedingt ansehen.“
„Apropos ansehen!“, rief Robin und deutete nach hinten. Eilig kletterte er auf den Sitz und hielt sich an Loranthus’ Schulter fest. „Guckt mal! Dort drüben kommen die Bären von Raino! Ja! Juhu! Urgroßmutter Dana kommt!“
Loranthus sah nach rechts.
„Ich sehe nur eine Staubwolke, Robin, mit Königen und ein paar Kriegern an der Spitze. Woher weißt du, dass es die Bären von Raino sind?“
„Da sind noch mehr Clans dabei, aber egal, es ist doch einfach, Loranthus! Sie kommen aus der richtigen Richtung. Guck mal nach links! Was siehst du da?“
„Den Thuringer Wald.“
„Und?“
„Hm, auch eine Staubwolke. Ach, da kommen eure Verwandten vom Hermannsberg und von der hohen Möst, und natürlich noch andere Clans!“
„Richtig, Loranthus, unsere Buchen- und Eichenleute!“, lobte Robin und hockte sich ächzend wieder hin wie ein betagter Lehrmeister nach einer anstrengenden Lektion.
„Aber du ahnst ja gar nicht, mit wem wir alles versippt sind. Wenn wir unsere Zelte aufgeschlagen haben, zeige ich dir mal die ganze Sippschaft.“
„Das hört sich so an, als würde es lange dauern. Vorher will ich was Ordentliches zum Abendbrot!“
Robin tätschelte ihm mitleidig die Schulter, sein Schüler musste noch sehr viel lernen.
„Ess lieber nichts, Loranthus, alle werden dir Essen und Trinken anbieten. Und glaube mir, ich meine wirklich alle.
Lavinia feixte: „Vergiss die siebenköpfige Raupe nicht mitzunehmen, Loranthus!“
Sein und Schein
Am nächsten Tag schlenderte Loranthus mit Silvanus und Ethmanja durch das Lager. Er war überwältigt, was er alle paar Schritte auch kund tat − besonders, wenn er einer Horde spielender Kinder aus dem Weg springen musste, um nicht umgerannt zu werden. Bei der ersten Begegnung hätte er dabei fast ein Zelt eingerissen und bekam doch tatsächlich sofort ein Honigbrot gereicht, weil er es nicht geschafft hatte. Strahlend nahm er seine Abfindung entgegen und machte sich mit vielen Dankesworten auf den Rückzug. Silvanus durfte auch einmal abbeißen, das meiste bekam allerdings Ethmanja. Loranthus konnte ihren bettelnden Hundeaugen einfach nicht widerstehen und außerdem war er noch vom gestrigen Rundgang voll bis Oberkante Unterlippe.
Es dauerte jedoch keine halbe Wegstunde, da war alles abgesackt und sein Magen knurrte laut und vernehmlich, er solle beim nächsten Schwung Kinder was zu Essen ergattern, sonst wäre es mit der Ruhe vorbei.
Die passende Gelegenheit bot sich recht schnell, leider ging er da gerade an einer Brombeerhecke vorbei.
Das hatte allerdings auch seine Vorteile, nun lernte er endlich den Dreiecksprung. Den kannte er bisher nur vom Hörensagen, im Gegensatz zu Honigbroten. Zu seiner eigenen Verwunderung kollidierte er weder mit Dornen, noch mit Kindern − er war eben ein Naturtalent.
Bei den Halbstarken funktionierten die Ausweichmanöver schon gesitteter und vor allem gefahrloser. Sie grüßten ordentlich und warfen ihnen interessierte Blicke zu, während die Maiden nebenbei kicherten und die jungen Männer abschätzend ihre Gestalten musterten.
Als Loranthus sich dessen bewusst wurde, drückte er die Brust raus, wobei sich sein Bauch automatisch straffte, und gaffte genauso zurück. Solche Begegnungen hatten allerdings auch ihre Tücken, denn er musste ja noch Luft holen und dann stimmten die Proportionen irgendwie nicht mehr.
Erwachsene Männer und Frauen bedachte er daher mit einem erwachsenen Kopfnicken ohne Extras, und wenn sie jemanden trafen, den sie kannten, brauchte er sich gar keine Mühe mehr geben, da lag nämlich der Wert auf einem kurzen Schwätzchen.
Sie kamen also in etwa so schnell voran wie eine Schnecke mit Atemnot, Ethmanja gähnte immerzu.
Etwa sechstausend Menschen waren zusammengekommen. Solche Massen brauchten natürlich auch massenhaft Platz, aber es herrschte trotzdem eine gewisse Ordnung.
Das Viehzeug weidete auf weiträumigen Wiesen, die von Beerensträuchern begrenzt wurden. Die Pferde hatten Weiden gleich beim Lager der Könige. Schlachtvieh und das Vieh zum Tausch wurde abseits gehalten, damit es keine Verwechselungen gab. Milchkühe standen auf den nächstgelegenen Weiden, genau wie die Gehege der Hühner. Das Federvieh wurde sogar durch ein dichtes Weidengeflecht abgeschirmt, als Schutz vor Raubvögeln. Für zusätzliches Futter türmten sich überall noch Heuhaufen, die auf der Festwiese und im Stadion abgemäht worden waren.
Aber nicht nur das Vieh, sondern auch die Menschen hatten für jedes ihrer Bedürfnisse gesonderte Plätze.
Wenn man zum Abort wollte, musste man ein Stück die Werra entlang laufen. Dort gab