Der mondhelle Pfad. Petra Wagner
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Loranthus wollte sich noch einmal nachholen, doch Silvanus meinte, er solle mit purem Saft vorsichtig sein, sonst könne er sich auf dem Abort häuslich niederlassen. Da sie aber beide jetzt noch mehr Durst hatten, schöpften sie nur einen kleinen Teil Saft und füllten den Rest mit Wasser auf. Wieder schmatzten sie und gaben ihre Kommentare ab. Dann wollten sie auch noch Apfelessig mit Wasser verdünnt probieren, aber leider war der noch nicht fertig. Also tranken sie das Wasser pur und selbst hierzu musste Loranthus nach jedem Schluck seinen Kommentar abgeben. Er war nämlich fest davon überzeugt, das Wasser aus der Sünna schmecke besser als das aus der Werra und hätte einen würzigen Beigeschmack nach Bergen, Eisen, Kiesel, Moos, Tannennadeln …
Silvanus beteiligte sich nicht mehr an der Lektion über Wasserqualität und wann immer Loranthus ihn nach seiner Meinung fragte, hatte er gerade den Mund voll Wasser. Doch bald kam seine Ablösung in Form eines Duftes. Loranthus schnupperte genüsslich und nach dem dritten Atemzug stand sein Mund ohne zu trinken unter Wasser, so dass er nur noch schlucken und nicht mehr sprechen konnte. Seine Beine setzten sich ganz von alleine in Bewegung.
Schnell gingen sie immer der Nase nach und standen plötzlich wieder da, wo Loranthus eigentlich nicht noch einmal hin wollte. Ihm lief jedoch derart das Wasser im Mund zusammen, dass er keine Skrupel mehr kannte.
Breitbeinig stellte er sich vor den Rost und machte niemandem Platz, bis er endlich ein Stück Wurst in einer Scheibe Brot gereicht bekam. Anerkennend lobte er die praktische Verwendung des Brotes als Topflappen und Silvanus hätte schwören können, das er beim Kauen das Lied summte, welches die Sklaven vorhin beim Fleischschneiden gesungen hatten.
Zum Essen machten sie es sich unter einem Apfelbaum bequem. Die standen überall am Weg, waren behangen mit grünen, gelben oder roten Früchten und spendeten angenehmen Schatten. Als sie ihre Würste vertilgt hatten, streckte sich Silvanus, holte von den kleinen, hellgrünen Äpfeln ein paar herunter und gab Loranthus welche ab.
„Die müssen zuerst weg, weil sie sich nicht lange halten.“
„Bloß keine Hektik! Ich bin gerade erst angekommen.“
Silvanus kicherte und rieb seinen Apfel am Hemd, bis er glänzte. Loranthus tat es ihm nach, betrachtete prüfend das Ergebnis im Schein der Mittagssonne und bemerkte noch mehr Leute, die Äpfel pflückten.
„Warum stehen hier so viele Apfelbäume, Silvanus? Die ganze Handelsstraße rechts und links entlang, dann noch über die Wiesen verteilt … Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu!“
„Doch, doch! Du musst wissen, Loranthus, dieses Gebiet hier ist die Königsleite. Jeder König kommt hierher und pflanzt einen Apfelbaum, wenn er zum König erhoben worden ist. Über die vielen Generationen von Königen wurde die Königsleite immer größer und größer. Zu Lugnasad kommen unsere Clans hier zusammen, um den Frieden zu sichern.“
Loranthus war gerade dabei, genüsslich an seinem glänzenden Apfel zu schnuppern. Hinein beißen tat er jedoch nicht, im Gegenteil, er streckte ihn mit misstrauischen Blick von sich.
„Wie sichert ihr Hermunduren den Frieden? Schwören sich sämtliche Könige jedes Jahr aufs Neue gegenseitig ihre Loyalität unterm Apfelbaum?“
„Kann schon sein, aber am besten sichert man den Frieden, indem sich die Clans miteinander vermischen.“
„Sich vermischen“, echote Loranthus, polierte noch einmal über seinen Apfel und schnippte gleich darauf mit den Fingern. „Jetzt hab ich’s! Alle Clans kommen hierher, die Leute knüpfen Bekanntschaften, manche verlieben sich ineinander und heiraten. Die Familienbande werden erweitert und natürlich will niemand dem anderen Clan ein Leid antun, wenn er dort Blutsverwandte hat.“
„Du hast die Angelegenheit vollkommen erfasst. Aber wusstest du schon, dass es zu Lugnasad auch immer mal einen Toten gibt?“
Loranthus sog erschrocken die Luft ein und sah sich nach etwaigen Todeskandidaten um. Silvanus biss herzhaft in seinen Apfel und erklärte mit vollem Mund: „Hm, hm. Es so scho welle gegebn ham, de sn veunged.“
„Verhungert?“, fragte Loranthus nach, doch im gleichen Moment hatte er begriffen, schnell biss er in seinen Apfel. „Hmmm, sind die aromatisch! Davon könnte ich einen ganzen Eimer essen, um dem Hungertod zu entgehen.“
„Lieber nicht! Von zu vielen bekommst du Bauchschmerzen! Das ist wie mit purem Saft, denk dran.“
„Na gut. Dann eben nur noch einen“, johlte Loranthus, stopfte sich den halben Apfel in den Mund, nickte nach vorne und rief: „Gromudder Daha, woin do eilg?“
Großmutter Dana hielt in ihrem rasanten Schritt inne, sah sich um, schwenkte vom breiten Hauptweg ab und baute sich vor Loranthus auf.
„Na, ihr zwei? Was habt ihr ausgefressen!?“
Loranthus plusterte die Backen auf und nickte Silvanus zu, der konnte besser sprechen.
„Gar nichts, Großmutter Dana! Wir wollen zum See! Unsere Freunde, Bekannte und Verwandte treffen!“
„Na, dann habt ihr ja redlich zu tun.“
„Und wo willst du hin, Großmutter Dana?“
„Ich? … bringe Viviane eine ganz besondere Medizin vorbei, damit euer Barde schnell wieder gesund wird und aus dem Quarantänezelt heraus darf. Der ärmste Lew hat sich eine derart seltene Krankheit zugezogen … Zum Glück hatte Viviane schon einen solchen Fall bei ihrem Studium in Britannien und kann ihm helfen.“
Sie schlug die Hände über den Kopf zusammen.
„Bei Artio, der großen Bärin! Man stelle sich nur vor, ein Quarantänezelt! Nein, so etwas hat es in all den Jahren noch nie gegeben! Aber was sein muss, muss sein!“
Silvanus nickte traurig, stand auf und streckte sich noch einmal nach den Äpfeln.
„Unser Lew kann einem wirklich leid tun. Nicht einmal zum großen Opfer darf er heraus und natürlich kann er sich auch die Wettspiele nicht ansehen, die Händler oder den großen Rat. Hier, Großmutter Dana! Nimm ein paar Äpfel mit und richte ihm unsere besten Wünsche zur Genesung aus.“
„Ja, Großmutter Dana!“, rief Loranthus und schluckte schnell runter. „Hier hast du noch zwei für Hanibu. Halt!“ Er zog die Äpfel wieder zurück. „Ich poliere sie noch etwas! Da glänzen sie so schön appetitlich. Ich bin wirklich sehr überrascht, dass Hanibu auch schon einmal diese seltene Krankheit von Lew hatte und dagegen gefeit ist. Sie ist Viviane wirklich eine große Hilfe bei seiner Pflege. Vielleicht geht es ihm bald wieder gut und er nimmt wenigstens am Bardenwettstreit teil.“
Großmutter Dana sah Loranthus nachdenklich an, der die Äpfel an seinem Hemd rubbelte, als übe er für den Wettstreit ‚meist strahlender Apfel‘. Er könnte glatt gewinnen. Ihre Augen wurden schmal.
„Wenn dir so daran gelegen ist, mein Guter, könntest du mir eigentlich helfen?!“
Wenn Loranthus nicht so sehr mit der Qualitätskontrolle der beiden Äpfel beschäftigt gewesen wäre, hätte er den Ausdruck auf ihrem Gesicht vielleicht bemerkt und wäre ins Grübeln gekommen. So aber strahlte er genau wie seine Äpfel.
„Natürlich! Gerne! Was soll ich denn machen?!“
„Ach!“