Die Althessische Ritterschaft und das Stift Kaufungen. Группа авторов

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Benediktsregel, die Heinrich II. den ersten Schenkungsurkunden zufolge vorgesehen hatte, bietet einen sicheren Anhaltspunkt,65 zumal diese Spezifizierung in der letzten Urkunde der Serie von 1023 bereits fehlt.

      In der Regel waren ottonische Gründungen des 10. Jahrhunderts in Königshöfen freilich entweder Männerklöster (wie Pöhlde) oder Damenstifte (wie Quedlinburg und Eschwege), denn angesichts der Königsaufenthalte wäre eine strenge Klausur an handfeste Grenzen gestoßen.66 Es bleibt also eine Mutmaßung, dass Kunigunde der Benediktsregel einen außergewöhnlichen Wert beigemessen und sie zeitlebens so stark gestützt habe, dass es den Nonnen erst nach ihrem Tode möglich war, die Verfassung zu wechseln.

      Ein Zusatz in der ältesten, noch von Thietmar selbst begonnenen Fassung seiner Chronik, die mehrere Schreiber in den Jahren 1090 bis 1150 sukzessiv ergänzten, berichtet, dass Kaufungen für Kanonissen errichtet worden sei.67 Verantwortlich für diese Überlieferung zeichnet ein Schreiber, der zur Zeit Lothars von Supplinburg (1125– 1137) arbeitete, so dass seine Bemerkungen nicht in die um 1120 entstandene Corveyer Überarbeitung einflossen. Es ist nicht mehr zu eruieren, ob die mehr als hundert Jahre nach der Gründung getroffene Aussage einfach die Situation um 1130 widerspiegelt oder tatsächlich zurück auf den Gründungsvorgang übertragbar ist.

      In der Verbindung mit dem Königshof und der Pfalzkirche wäre auch an eine Mischform von gemäßigten Benediktinerinnen und Stiftsdamen zu denken, bei der die Frauen die Klausur nicht strikt befolgten und sogar eigene Dienerinnen beschäftigten. Fraglos hätte ein Stift die Bedürfnisse der dort versorgten Töchter adliger Herkunft, die noch nicht wie später in Einzelkurien untergebracht waren, sowie des reisenden Königshofes von Anfang an eher befriedigt als ein Benediktinerinnenkloster mit Klausur.68 Letztlich muss die genaue Form der kaiserlichen Gründung offen bleiben.

      In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts scheint sich das Stift konsolidiert zu haben. Einzelne Kanoniker sind sogar namentlich bekannt, so etwa 1167 die Priester Widoldus und Reimboldus. Die erste Kanonikerin (canonica) ist erst 1227 urkundlich belegt.69 Des Weiteren lassen sich Modernisierungen an der Stiftskirche wie die Einwölbung des Chorjochs fassen, die dem Lippoldsberger Vorbild folgten.70 Zudem baute man an den dominanten Westturm statt eines runden Treppenturms den sechseckigen Archivturm an,71 der vermutlich eine wichtige Reliquie des Stifts, das angebliche Banner des heiligen Mauritius, samt weiteren wertvollen Objekten diebstahl- und feuersicher verwahrte.72

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      10 Karte zum Kaufunger Gesamtbesitz mit Besitzverzeichnis

      In den Jahrzehnten nach 1200 musste das Kaufunger Stift einige territorialpolitische Rückschläge hinnehmen: Erstens zogen sich die Grafen von Schauenburg, bekannt als zuverlässige Mainzer Vasallen und Inhaber der Kaufunger Vogtei, zunehmend aus der Region zurück, um sich von 1223 an vorwiegend auf die Burg Wallenstein zu konzentrieren.73 So war Landgraf Hermann I. vor 1217 bereits in der Lage, den Niederzwehrener Rodungszehnten an sich zu bringen. Auch wenn ihn sein Sohn Ludwig IV. 1224 auf Bitten seiner Mutter und der Äbtissin wieder zurückübertrug und damit ausdrücklich für das Seelenheil seines Vaters sorgte,74 war die Kaufunger Vormachtstellung angreifbar geworden. Zweitens verloren die vom Stift kontrollierten Furten bei Niederzwehren und Wolfsanger an Bedeutung, nachdem Kassel, vermutlich nach 1180, eine Fuldabrücke gebaut und damit seinen Standort aufgewertet hatte.75 Überhaupt dürfte der fortgesetzte Ausbau Kassels durch die Ludowinger die Märkte in Wolfsanger und Kaufungen, die von Anfang an gegen die Konkurrenz zu bestehen hatten, geschwächt haben.

      Angesichts solcher lokalen Differenzen und Belastungen darf ein großer Erfolg der Stiftsdamen nicht übersehen werden: 1226 wird das Kanonissenstift wieder als reichsunmittelbar bezeichnet. Damit war es, wie gefordert, aus dem Speyerer Besitz herausgelöst und in weltlichen Angelegenheiten erneut dem König unterstellt.76 Drei Jahre später nahm Papst Gregor IX. das Stift unter päpstlichen Schutz und bestätigte die Besitzungen.77

      Die Stiftsbauten zur Zeit der landgräflichen Stiftsvogtei

      Die Stiftsvogtei gelangte 1297 an Landgraf Heinrich I. von Hessen, der sie von den Brüdern von Gudenberg übernahm. Bis zur Reformation blieb dieses Amt nun in den Händen der Landgrafen, so dass die territorialpolitischen Gegensätze im Kasseler Becken endgültig beruhigt waren. Allerdings unterblieb fortan eine gezielte Förderung Kaufungens als Gegengewicht zu Kassel. Es ist sogar zu vermuten, dass der landgräfliche Territorialherr eine Abwanderung aus den Stiftsdörfern in die nahe Residenzstadt begünstigte und dem Stift verschiedene Rechte und Besitztümer entfremdete. So nutzten Landgraf Heinrich II. und sein Sohn Otto etwa das Patronat über die Kirche in Heiligenrode 1366 zur Dotierung des neuen Kasseler Martinsstifts.78 Zuvor hatte Heinrich II. 1353 Oberkaufungen und die Stiftsdörfer von der in den landgräflichen Territorien erhobenen Schafbede befreit; allerdings galt die Befreiung nur für je maximal 500 Tiere, insofern das Stift überhaupt einer solchen Steuer unterworfen war.79

      Deshalb verwundert es nicht, dass sich die Kaufunger Äbtissin mit Vertretern weiterer Klöster und Stifte 1339 und erneut 1386 verbündete, um jegliche Angriffe auf eigene Rechte zurückzuweisen.80 Um 1386 können die kriegerischen Auseinandersetzungen und die drei Belagerungen Kassels unter dem geschwächten Landgrafen Hermann einen unmittelbaren Anlass geboten haben, den auch Mainz zu nutzen versuchte. So beglich Hermann damals Schulden bei zwei Rittern aus ‚seinen‘ Dörfern Kaufungen, Heiligenrode, Umbach und Sandershausen, also aus dem Stiftsbesitz.81 Noch stärker von Entfremdung bedroht war der Fernbesitz insbesondere an der Mosel, der wiederholt gegen die Ansprüche ortsnaher Institutionen zu verteidigen war.82

      Überhaupt wurde Hessen seit den 1330er Jahren durch klimabedingte Krisen und daraus resultierende Hungersnöte erschüttert. Von der seit 1348 in Europa verbreiteten Pest wurde die Kasseler Region vor allem in den Jahren 1356/57 heimgesucht.83 Die Folge waren Abwanderungen aus ungünstigeren Siedlungslagen wie gerade den späteren Rodungsdörfern des hohen Mittelalters. Von den Kaufunger Stiftsdörfern fiel Lobesrode wüst, ohne dass das Stiftsleben darunter übermäßig gelitten hätte. Um 1379 erneuerte man unter Äbtissin Adelheid von Ziegenhain sogar noch den Kreuzgang84 und den angrenzenden Südquerarm, der mit einer steinernen Nonnenempore und gotischem Gewölbe ausgestattet werden sollte. Gerade als die Außenmauern des Südquerarms weitgehend standen, scheinen allerdings die Probleme im Kaufunger Stift zugenommen zu haben.

      Insbesondere die kriegerischen Ereignisse der Jahre 1385 bis 1388 dürften das Stift unter Margarethe von Stein-Kallenfels (und damit auch den Landgrafen Hermann) schwer geschädigt haben. Stiftsgebäude, Stiftskirche und Wirtschaftshof, der damals schon westlich der Benediktskapelle gelegen haben muss, gingen in Flammen auf.85 Dieser schwere Brand, der alle Erträge, Werkstätten und Vorräte hinwegraffte, lässt sich mehr oder weniger auf Februar 1388 eingrenzen: Während eine Seelgerätstiftung vom 22. Januar noch die Nikolauskapelle am Kreuzgang unterstützte,86 spricht die am 8. März erfolgte Verpfändung der von Kaiser Heinrich II. herrührenden Besitzungen in Escheberg und Obermeiser für erhöhten Geldbedarf.87

      Die beiden damals noch im Stift lebenden Damen und einige mit Präbenden versorgte Kanoniker nahmen gleichwohl den Neuaufbau in Angriff. Die ersten neuen Dachbalken der Stiftskirche sind in das Jahr 1391 zu datieren.88 Der Brand hatte nicht nur die Kirchendächer, sondern vermutlich auch die Arkaden des Hauptschiffs und einen Teil des nördlichen Querhauses zum Einsturz gebracht.89 Von dieser Zerstörung zeugen heute noch starke Beschädigungen, die am Durchgang vom nördlichen Seitenschiff zum Querschiff zu erkennen sind.

      Die ersten Bauarbeiten betrafen das zerstörte Nordquerhaus, die Vierung sowie das Dach über dem gewölbten Chor, während man das Südquerhaus vermutlich in einem provisorischen Zustand nutzte. Sah man beim Wiederaufbau des Nordquerhauses, das aus statischen Gründen wahrscheinlich

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