Waldheimat. Peter Rosegger
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Waldheimat - Peter Rosegger страница 9
„Und ist das Roß auch im Himmel?“ fragte ich.
„Sobald wir zu einem rechten Platz kommen, wo wir rasten können, so will ich dir vom heiligen Martin was erzählen“, sagte die Mutter und leitete mich weiter, und ich hüpfte neben ihr her. Da wartete ich schon sehr schwer auf das Rasten und in einemfort rief ich: „Mutter, da ist ein rechter Platz!“
Erst als wir in den Wald hineinkamen, wo ein platter, moosiger Stein lag, fand sie’s gut genug, da setzten wir uns nieder. Die Mutter band das Kopftuch fester und war still, als habe sie vergessen, was sie versprochen. Ich starrte ihr auf den Mund, dann guckte ich wieder zwischen den Bäumen hin, und mir war ein paarmal, als hätte ich durch das Gehölz den schönen Reitersmann reiten gesehen.
„Ja, ’leicht wohl, mein Bübel“, begann meine Mutter plötzlich, „allzeit soll man den Armen Hilfe reichen um Gottes willen. Aber so, wie der Martin gewesen, traben heutzutag’ nicht viel Herrenleut’ herum auf hohem Roß. – Daß im Spätherbst der eiskalte Wind über unsere Schafheide streicht, das weißt wohl, hast dir ja selber drauf im vorigen Jahr schier die Tatzelein erfroren. Siehst du, völlig eine solche Heide ist’s auch gewesen, über die der Reitersmann Martinus einmal geritten an einem späten Herbstabend. Steinhart ist der Boden gefroren, und das klingt ordentlich, so oft das Roß seinen Huf in die Erden setzt. Die Schneeflöcklein tänzeln umher, kein einziges vergeht. Schon will die Nacht anbrechen und das Roß trabt über die Heide, und der Reitersmann zieht seinen weiten Mantel zusammen, so eng es halt hat gehen mögen. Bübel, und wie er so hinfährt, da sieht er auf einmal ein Bettelmännlein kauern an einem Stein; das hat nur ein zerrissenes Jöppel an und zittert vor Kälte und hebt sein betrübtes Auge auf zum hohen Roß. Hu, und wie das der Reiter sieht, hält er an sein Tier und ruft zum Bettler nieder: Ja, du lieber armer Mann, was soll ich dir reichen? Gold und Silber hab’ ich nicht und mein Schwert kannst du nimmer brauchen. Wie soll ich dir helfen? – Da senkt der Bettelmann sein weißes Haupt nieder gegen die halbentblößte Brust und tut einen Seufzer. Der Reiter aber zieht sein Schwert, zieht seinen Mantel von den Schultern und schneidet ihn mitten auseinander. Den einen Teil des Kleidungsstückes läßt er hinabfallen zu dem zitternden Greise: Hab’ vorlieb damit, mein notleidender Bruder! – Den anderen Teil des Mantels schlingt er, so gut es geht, um seinen eigenen Leib und reitet davon.“
So hatte meine Mutter erzählt und dabei mit ihrem eiskalten Herbstabende den schönen Hochsommertag so frostig gemacht, daß ich mich fast schauernd an ihr lindes Busentuch schmiegte.
„’s ist aber noch nicht ganz aus, mein Kind“, fuhr die Mutter fort, „wenn du es nun gleichwohl weißt, was der Reiter mit dem Bettler in der Kirche bedeutet, so weißt du’s noch nicht, was weiter geschehen ist. Wie der Reitersmann nachher in der Nacht daheim auf seinem harten Polster ruhsam schläft, kommt derselbige Bettler von der Heide zu seinem Bett, zeigt ihm den Mantelteil, zeigt ihm die Nägelwunden an den Händen und zeigt ihm sein Angesicht, das nicht mehr alt und kummervoll ist, das strahlet wie die Sonnen. Derselbe Bettelmann auf der Heid’ ist der lieb’ Heiland selber gewesen. – So, Bübel, und jetzt werden wir wieder anrucken.“
Da erhoben wir uns und stiegen den Bergwald hinan.
Bis wir heim kamen, waren uns zwei Bettelleute begegnet; ich guckte jedem sehr genau in das Gesicht; ich hab’ gemeint, es dürfte doch der liebe Heiland dahinterstecken. Gegen Abend desselben Tages, als ich mein Sonntagskleidchen des sparsamen Vaters wegen schon hatte ablegen sollen, und nun wieder in dem vielfarbigen Werktagshöslein herumlief und hüpfte und nur noch das völlig neue graue Jöppel trug, das ich nicht ablegen wollen und mir noch für den Tagesrest erbeten hatte, und als die Mutter auch schon lange wieder bei ihrer häuslichen Arbeit war, eilte ich gegen die Schafheide hinauf. Ich mußte die Schäflein, worunter auch ein weißes Lamm als mein Eigentum war, heim in den Stall führen.
Wie ich aber so hinhüpfe und Steinchen schleudere und damit die goldenen Abendwolken treffen will, sehe ich plötzlich, daß dort am Fels ein alter weißköpfiger, sehr arm gekleideter Mann kauert. Da stehe ich erschrocken still, getraue mir keinen Schritt mehr zu tun und denke bei mir: Jetzt, das ist aber doch ganz gewiß der lieb’ Heiland-Herrgott. Ich habe gezittert vor Furcht und Freude, ich habe mir gar nicht zu helfen gewußt.
Wenn es doch der lieb’ Herrgott ist, ja, da muß eins ihm wohl was geben. Wenn ich jetzt heimlauf’, daß die Mutter komme und gucke und mir sage, wie ich dran bin, so geht er mir die weilen davon, und es wär’ eine Schand’ und Spott. Ich denk’, sein wird er’s gewiß, just so hat derselb’ auch ausgeschaut, den der Reitersmann gesehen.
Ich schlich einige Schritte nach rückwärts und hub an meinem grauen Jöppel zu zerren an. Es ging nicht leicht, es war so fest über dem grobleinenen Hemde oben, und ich wollte das Schnaufen verhalten, ich meinte, der Bettelmann solle mich früher nicht bemerken.
Einen gelbangestrichenen Taschenfeitel hatte ich, nagelneu und just scharf geschliffen. Diesen zog ich aus der Tasche, das Röcklein nahm ich zwischen die Knie und begann es nun mitten auseinanderzutrennen.
Es war bald fertig, ich schlich zum Bettelmann, der halb zu schlummern schien, und legte ihm sein Teil von meinem Rock zu Häupten. – Hab’ vorlieb damit, mein notleidender Bruder! Das habe ich ihm still in Gedanken gesagt. Dann nahm ich mein Teil vom Rocke unter den Arm, lugte noch eine Weile dem lieben Gott zu und jagte dann die Schäflein von der Heide.
In der Nacht wird er wohl kommen, dachte ich, und da werden ihn Vater und Mutter sehen, und wir können ihm, wenn er bei uns bleiben will, gleich das hintere Stübel und das Hausaltarl herrichten.
Ich lag im Schiebbettlein neben Vater und Mutter, und ich konnte nicht schlafen. Die Nacht verging, und der, den ich gemeint hatte, kam nicht.
Am frühen Morgen aber, als der Haushahn die Knechte und Mägde aus ihren Nestern hervorgekräht hatte, und als draußen im Hofe schon der laute Werktag anhub, kam ein alter Mann (sie hießen ihn den Schwammveitel) zu meinem Vater, brachte ihm den verschenkten Teil von meinem Rock und erzählte, ich hätte denselben abends zuvor in meinem Mutwillen zerschnitten und ihm das eine Stück an den Kopf geworfen, wie er so ein wenig vom Schwammsuchen ausgeruht habe auf der Schafheide.
Darauf kam der Vater, eine Hand hinter dem Rücken, ganz leicht an mein Bett geschlichen: „Geh’, tu’ mir’s sagen, Bub, wo hast denn du dein neues Sonntagsjöppel?“
Das leise Schleichen und die Hand hinter dem Rücken war mir verdächtig vorgekommen, und jetzt ging mir schon das Gesicht auseinander und weinend rief ich: „Ja, Vater, ich hab’ gemeint, dem lieben Herrgott hätt’ ich es geben.“
„Bub, du bist aber so ein Halbnarr!“ schrie mein Vater, „für die Welt zu dalkert, zum Sterben zu dumm. Dir müßt’ man mit einem Besen die Seel’ aus der Haut schlagen!“
Es war halb spaßhaft gesagt, aber ich vermutete hinter seinem Rücken die Birkengerte.
Eilte sogleich die Mutter herbei, faßte des Vaters Hand und sagte: „’s Röckel flick’ ich ’leicht wieder zusammen, Alter. Geh’ jetzt mit, ich muß dir was sagen.“
Sie gingen beide hinaus in die Küche; ich denke, dort haben sie über die Martinigeschichte gesprochen. Sie kamen nach einer Weile wieder in die Stube.
Der Vater sagte: „Sei nur still, es geschieht dir nichts.“
Und die Mutter flüsterte mir zu: „Ist schon recht, wenn du das Röckel dem lieben Herrgott hast wollen geben, aber besser ist’s noch, wir geben es dem armen Talmichelbuben. In jedem Armen steckt der liebe Gott. So und jetzt, mein Bübel, hupf’ auf und schlüpf