Hitlers Vater. Roman Sandgruber
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Die Unmöglichkeit, der Provinz zu entkommen
Hitlers oberösterreichisches Deutsch
Hitlers österreichische Religion
Kein angenehmer Familienvater und Staatsbürger: Zu Hause ein Patriarch, im Dienst ein Pedant, in der Öffentlichkeit rechthaberisch, gegen die Kinder ein brutaler Despot – so sahen die 6 Zeitgenossen Alois Hitler, den Vater Adolfs.
Die Schwierigkeit, über Hitler zu schreiben
Vorwort
Adolf Hitler kam aus der Provinz. Er konnte der Provinz nicht entkommen: nicht der Last des dunklen Punkts in seiner Herkunft und der Lücke in seinen sechzehn Ahnen, die er von allen Deutschen eingefordert hatte, über die er aber bei sich selbst nie zu sprechen vermochte. Auch nicht der Last seiner von Repression und Gewalt geprägten Kindheit, von der er sich zwar in zahlreichen Erzählungen zu befreien versuchte, die ihn in seinen Meinungen und Handlungsweisen aber dennoch immerfort bestimmte. Und auch nicht der Last seiner provinziellen Umgebung, die ihm zwar die Kenntnis sehr unterschiedlicher Milieus vermittelte, ihm aber nicht nur den Aufbau freundschaftlicher Beziehungen unmöglich machte, sondern auch keine weltmännische und moderne Bildung mitgab.
Das erste Drittel seines Lebens, die Jugendjahre von 1889 bis 1907, hat Adolf in Oberösterreich verbracht, sein Vater Alois sogar zwei Drittel, praktisch sein ganzes Erwachsenenleben. Zwischen 1837 und 1903 hatte er sich fast durchgehend in der Provinz aufgehalten: zuerst im Waldviertel und dann in Salzburg und Oberösterreich. Er hat hier Karriere gemacht und es zu einigem Ansehen gebracht, aber auch viel Frustration und Leid hinnehmen müssen. Der Sohn Adolf hat seine Zeit in Oberösterreich als die wichtigsten und glücklichsten Jahre seines Lebens gesehen, obwohl sie nicht so glücklich waren, wie sie sich für ihn in der Retrospektive darstellten. Er hat hier die entscheidenden Linien seines verhängnisvollen Denkens und Handelns eingeprägt erhalten und aufgenommen. Die in Oberösterreich gesammelten Eindrücke und Erfahrungen haben ihn bis zu seinem Ende im Berliner Führerbunker nicht losgelassen. In Hitlers eigener Schilderung seiner Jugendjahre dominieren zwei Themen: der Konflikt mit dem Vater und die Konflikte in der multinationalen Habsburgermonarchie.
Adolf Hitler zählt zu den wenigen Menschen, von denen man mit einiger Berechtigung sagen kann, dass die Geschichte ohne sie anders verlaufen wäre.1 Niemand in der jüngeren Weltgeschichte hat aus dem Nichts in so kurzer Zeit so viel Macht errungen, sie so schrankenlos missbraucht und mit seinem eigenen Untergang so viele Menschen mit in den Tod gerissen und Schicksale beeinflusst wie er. Sein Weg führte so eindeutig wie bei keinem anderen Politiker in die totale Katastrophe. Als er 1889 in Braunau am Inn geboren wurde, konnte man allerdings in keiner Weise ahnen, welch physische Verwüstungen und mentale Verheerungen seine Person einst hinterlassen würde: nicht die Gräuel der Judenvertreibung und Ermordung, nicht die Euthanasiemorde, nicht die Verfolgung der Roma, der Homosexuellen oder der politischen Gegner, nicht die Diskriminierung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, nicht die Ausbeutung der Zwangsarbeiter, nicht den von ihm entfesselten Zweiten Weltkrieg, ja nicht einmal den Ersten Weltkrieg, der von der Habsburgermonarchie mitausgelöst worden war. Aber Rassismus, Antisemitismus, Imperialismus, Eugenik und Nationalismus waren schon im 19. Jahrhundert überall präsent. Doch dieses Fin de Siècle, in welchem der junge Hitler aufwuchs, verbreitete auch so viel Glanz, so viel Fortschritt und so viel Selbstzufriedenheit, dass man die Schattenseiten und die Pflanzzellen des Unheils nicht wahrnehmen wollte und diese auch heute hinter der glänzenden Fassade dieser Traumzeit nur widerwillig erkennt.
Hitler bewunderte die Aufstiegsgeschichte seines Vaters, errungen durch »Fleiß und Tatkraft« aus kleinsten Verhältnissen, setzte aber der ihn beängstigenden Vorstellung, wie sein Vater als »unfreier Mann einst in einem Büro sitzen« zu müssen, seine erträumte Künstlerexistenz entgegen. Das viel wirkmächtigere und verheerende Lebensziel einer Politikerexistenz war da noch nicht angedacht, aber in der Schule schon grundgelegt: »Ich wurde Nationalist«. Und: »Ich lernte Geschichte zu verstehen«, was er als Erkennen von weltgeschichtlichen, von der Vorsehung vorgegebenen Kausalitäten betrachtete.2
Biografien haben in der Geschichtsforschung wieder sehr an Stellenwert gewonnen, weil sie nicht nur Mikro- und Makroebene zu verbinden vermögen, sondern weil in sie auch viele modern gewordene Felder der Forschung einfließen können, von der Alltagsgeschichte bis zur Psychohistorie. In der NS-Forschung haben sie von Anfang an eine besondere Bedeutung besessen, einerseits weil in Diktaturen den Einzelentscheidungen der Handelnden und Täter eine größere Bedeutung zukommt, andererseits weil in einer Gewaltherrschaft auch die Schicksale der Opfer umso mehr Aufmerksamkeit verdienen.
Der spektakuläre Fund bislang völlig unbekannter Quellen und die neuen Möglichkeiten der digitalen Recherchen in an sich bekannten Quellen gaben für mich den Anstoß, dieses Buch zu schreiben. Zusammen mit meiner aus lebenslanger wirtschafts-, sozial- und zeitgeschichtlicher Forschungsarbeit stammenden Kenntnis der historischen Zusammenhänge und den aus der eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrung resultierenden Einsichten in die regionale Mentalität und Lebensweise formierte sich der Entschluss zu einem Thema, von dem man überzeugt sein könnte, dass es eigentlich von vorne bis hinten zu Ende geforscht oder überhaupt nicht erforschbar ist. Es ist ein heikles Thema, weil hier auch viele Emotionen mitschwingen und es nicht einfach und auch nicht vertretbar ist, immerzu die für historische Forschung nötige Distanz zu wahren. Ich hoffe, damit nicht nur eine Reihe von Fakten zurechtgerückt zu haben, sondern auch zu einem besseren Verständnis der Entwicklung Adolf Hitlers, der Lebensgeschichte seines Vaters und auch des sozialen und ideologischen Milieus, in dem er sich bewegt hat, beitragen zu können.
Mein Dank gilt vor allem Frau Anneliese Smigielski, die die an ihren Ururgroßvater gerichteten Briefe Alois Hitlers gerettet und mir zur Verfügung gestellt hat, ebenso Herrn Bürgermeister Martin Bruckner, Großschönau, der den Kontakt zu Quellen über Wörnharts ermöglicht hat, Frau Auzinger, die die Unterlagen ihres Großvaters August Kubizek für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, und natürlich zahlreichen Fachkollegen, die mit Rat und Hilfe