Hitlers Vater. Roman Sandgruber
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Bleibt als dritte umfangreichere Quelle für Hitlers Kindheit und Jugend seine eigene Autobiografie. Mein Kampf ist aber eben keine Lebensgeschichte, sondern eine Kampfgeschichte. Dass er sie weitgehend selbst geschrieben hat, ohne Beiziehung von Ghostwritern, dürfte inzwischen feststehen.17 Allerdings orientierte er sich an Vorbildern. Hitler konstruierte sein Leben nach dem Muster klassischer Autobiografien und Bildungsromane. Und er kreierte einen neuen Typ der politischen Autobiografie, der es nicht um Rechenschaft oder Erklärung geht, sondern um Programmatik und Propaganda, geschrieben nicht im Herbst des Lebens, sondern mit 35 Jahren am Ausgangspunkt der politischen Laufbahn. Noch problematischer als Mein Kampf sind Hitlers gelegentliche Ausflüge in seine Jugendgeschichte, die er bei den Tischgesprächen oder auch gegenüber einzelnen Weggefährten und Mitarbeiterinnen tätigte. Nicht nur ist die Wiedergabe durch die Gewährsleute umstritten und nicht nachprüfbar, sondern auch Hitlers eigene Glaubwürdigkeit in diesen Aufzeichnungen entsprechend zu hinterfragen.
Eine weitere zeitnahe Quelle, die Jugend-Erinnerungen eines zeitgenössischen Linzer Realschülers von Hugo Rabitsch (München 1938), werden hingegen meist als »ohne jeden Informationswert« beiseitegeschoben, »da der Autor weder den jungen Hitler kannte, noch irgendwelche Beiträge zu seiner Biographie« bringe.18 Das ist zwar richtig, aber grob ungerecht. Denn Rabitsch, der sieben Jahre jünger als Hitler war, besuchte dieselbe Linzer Realschule und kannte die Professoren und das Milieu. Obwohl Rabitsch mit Hitler-Lob nicht sparte, wurde es von diesem sehr kritisch aufgenommen und kam in Deutschland nie auf den Markt, weil manche Passagen Hitlers eigenen Darstellungen und Aussagen in Mein Kampf widersprachen.19 Schwierig einzuschätzen sind auch die Erinnerungen des jüdischen Arztes von Hitlers Mutter, Eduard Bloch, der Adolf 1938 im Angesicht der für ihn sehr bedrohlichen Situation sehr positiv charakterisierte, diese Darstellung aber 1941 in den USA, als für ihn die Gefahr explizit vorbei war, trotzdem noch einmal dezidiert bekräftigte. Allerdings war Bloch im Alter schon stark von zunehmender Vergesslichkeit gezeichnet.
Widersprüchlich und oft völlig unbrauchbar sind die Aussagen vieler anderer Zeitzeugen, ob sie nun aus der Zeit vor 1945 oder nachher stammen. Auf irgendeine Weise sind sie immer gefärbt und beeinflusst. Seither haben sich viele Autoren mit Hitlers Jugendzeit beschäftigt, zuerst einmal entsprechend kursorisch alle jene, die an einer Gesamtbiografie arbeiteten, vor allem aber jene, die sich speziell der Kindheits- und Jugendgeschichte zugewendet haben, darunter auch zahlreiche Entwicklungspsychologen, Pädagogen und Theologen, die viele Mosaiksteinchen finden und interessante Einsichten hinzufügen konnten, aber allzu oft auch vieles ungeprüft übernommen haben und sich vor allem mangels regionaler Kenntnisse mit den räumlichen, politischen und sozialen Gegebenheiten in Oberösterreich sehr schwer getan haben. Nicht zuletzt hat der eklatante Quellenmangel zu fiktiven Konstruktionen und skurrilen Geschichtsklitterungen geführt, auf die man gar nicht eingehen muss, wie zum Beispiel Norman Mailers Roman zum jungen Hitler Das Schloss im Wald oder Ilse Krumpöcks Geschichtsroman Hitlers Großmutter, weil dazu ohnehin aus berufenem Mund das Nötige gesagt wurde.20
Der dunkle Punkt in Adolf Hitlers Herkunft wurde verschwiegen: Die Ausstellung »Sippenforschung in Schule und Haus« 1937 im Berliner Stadthaus konnte auf die »20 Ahnentafel des Führers« nicht verzichten.
Die Last, aus der Provinz zu kommen
Alois Hitler alias Schicklgruber
Pfeife rauchen, im Wirtshaus sitzen, Bienen züchten, Kinder schlagen. Das ist der Grundton der meisten Aussagen über Hitlers Vater: zu Hause ein Patriarch, im Dienst ein Pedant, in der Öffentlichkeit rechthaberisch, gegen die Kinder ein brutaler Despot. Alois Hitler war sicherlich kein angenehmer Ehemann, Familienvater, Arbeitskollege und Staatsbürger. Was er aber sicher nicht war, war ein Alkoholiker oder Müßiggänger, der seine Zeit im Wirtshaus und in der Bienenhütte vergeudet hätte, auch kein Spießbürger oder Provinzbeamter, dessen Horizont nicht über Braunau hinausgereicht hätte, auch kein Ehemann, der die Familie seinen eigenen sexuellen Bedürfnissen oder seinem beruflichen Fortkommen gänzlich untergeordnet hätte, und schon gar nicht ein Kinderschänder und Teufelsbeschwörer, als den ihn Norman Mailer in seinem Hitler-Roman hingestellt hat. Alois Hitler scheiterte auf vielen Feldern: als Vater, Ehemann, Erzieher, Wirtschafter und letztlich auch als Mensch, ohne viele Freunde und ohne wirkliches Zuhause. Aber es gibt auch die anderen Seiten: Die penible Pflichterfüllung, das stete Karrierebewusstsein, den kritischen Bildungsdrang, das Interesse an Innovationen, die Freude an geselligen Zusammenkünften.
Alois Hitlers Herkunft und Kindheit ist von Mythen, Erfindungen und Vermutungen umgeben. Erstens, weil es kaum Quellen gibt: Wer hätte sich schon für eine kaum herausragende, weder reiche noch besonders auffällige und schon gar nicht wirklich hochrangige Person in der österreichischen Provinz interessieren sollen? Zweitens, weil Adolf Hitler, als er bekannt und mächtig wurde, alles getan hat, um seine eigene Geschichte und die seiner Eltern und Vorfahren zu verbergen oder in seinem Sinne zu drehen und so einerseits Quellen zu beseitigen und andererseits Mythen zu erzeugen. Und drittens, weil die meisten Darstellungen von Adolf Hitlers Kindheit ohne jede Ortskenntnis aus sehr weiter Distanz und vor allem ohne viel Kenntnis der damaligen Lebensweise in dem ländlich-kleinbürgerlichen Provinzmilieu ausgearbeitet sind, in welchem sich die Familie Hitler bewegte.
Tyrannische Väter und liebende Mütter sind kein Einzelfall in der Geschichte. Dass sich daraus Adolf Hitlers mörderischer und gewalttätiger politischer Weg ableiten ließe, ist nicht beweisbar. Einige Hinweise aber gibt es. Sich selbst zu überschätzen und andere Meinungen und Kenntnisse nicht gelten zu lassen, zeichnete sich schon beim Vater ab, ebenso die Neigung zur autodidaktischen Weiterbildung und zur Verachtung aller akademischen und schulischen Autoritäten. Auch der Hang zur Gewalt zeigt Parallelen, beim Vater im Erziehungsstil, beim Sohn im politischen Verhalten. In seinem Sexualleben hingegen unterschied sich der Vater ganz auffällig vom Sohn, auch wenn dieser mit ziemlicher Sicherheit nicht homosexuell war, was ihm gerade in der neuesten Literatur auffallend häufig unterstellt wird. Die ungeklärten Stellen und vorhandenen Lücken im familiären Stammbaum dürften zwar den Sohn mehr belastet haben als den Vater. Aber warum Alois Hitler im Alter von fast vierzig Jahren seinen Familiennamen von Schicklgruber auf Hitler ändern und eine Quasilegitimierung seiner unehelichen Geburt herbeiführen ließ, wirft bis heute Fragen nach dem Hergang und den Motiven auf.
Die Region, in der Alois Hitler sich Zeit seines Lebens bewegte, hat er durch viele erzwungene und freiwillige Ortswechsel in einem für damalige Verhältnisse überdurchschnittlichen Maß kennengelernt. Das beeinflusste seine Sprech- und Schreibgewohnheiten. Anders als bei den Wiener subalternen Zentralbeamten, deren Wienerisch durch das Schönbrunnerisch ihrer meist adeligen Vorgesetzten in einer häufig als herablassend empfundenen Weise verfärbt wurde, dominierte bei Alois Hitler die durch die vielen Milieuwechsel abgeschliffene regionale Mundart, der er mit hochdeutschen Floskeln, exzessivem Fremdwortgebrauch und bürokratischer Diktion einen amtlich-autoritären Ton zu geben versuchte. Seine Briefe schrieb Alois, obwohl ohne jegliche höhere Schulbildung, in einem gestelzten, mit Fachbegriffen untermischten Beamtendeutsch, in das sich immer wieder der Dialektgebrauch einschlich.
Alois Hitlers