Dresden - HeimatMomente. Jenny Menzel

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Dresden - HeimatMomente - Jenny Menzel

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Waldemar Fydrych als Symbol, weil die kleinen Kerle in vielen Märchen als listig und hilfreich gelten; aber sicherlich auch, weil Künstler in den Niederlanden einige Jahre zuvor ebenfalls mit Zwergen („Kaboutern“) gegen Konsumismus und Umweltverschmutzung protestiert hatten.

      Die polnischen Aktivisten waren nicht so dumm, sich offen gegen das System zu richten; das hätte ihnen Gefängnisstrafen eingebracht und wohl nichts bewirkt (die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und der Arbeiteraufstände in Berlin 1953 waren eindrucksvoll gewesen). Stattdessen demonstrierten sie mit orangefarbenen Zwergenmützen auf dem Kopf gegen die Sommerhitze, sangen im Chor „Wir lieben Lenin!“ oder verteilten chronisch knappes Klopapier. Wieso hätte man sie dafür verhaften sollen?

      Der eine gusseiserne Zwerg, der damals im Zentrum von Breslau aufgestellt worden war, verschwand schnell wieder. Im Sommer 2001 tauchte er jedoch wieder auf – lustigerweise erneut als Projekt von Kunststudenten, die an die Geschichte ihrer Stadt anknüpfen wollten. Sie platzierten ihren Zwerg, der nur handtellergroß war, an der Swidnicka-Straße, wo die „Orange Alternative“ sich in den 1980er-Jahren häufig getroffen hatte. Von da an erlebten die Breslauer Zwerge ein beachtliches Revival: Binnen weniger Jahre wurden Hunderte von ihnen angefertigt und im ganzen Stadtgebiet aufgestellt, aktuell sollen es über 600 sein. Jeder der maximal kniehohen Gesellen ist mit einem GPS-Sender ausgestattet, um Diebstahl vorzubeugen. Mitnehmen soll man sie bitte nicht, aber erlaubt ist es durchaus, die gefundenen Zwerge in einer App zu „sammeln“ – eine beliebte Aktivität von Breslau-Besuchern. Die Tourist-Info gibt zu diesem Zweck sogar einen Zwergenstadtplan heraus.

      Ein Zwerg aus Breslau hält vor dem Springbrunnen am Rathaus zwei Stadtwappen hoch ...

      ... sein Genosse steht mit Koffer und Sonnenblume vor dem „Ratskeller“.

      Statt Protest zu äußern, sind die Zwerge kleine Tourismusbotschafter von Breslau geworden. Hunderte winzige bronzene Gesellen bevölkern heute die Innenstadt der polnischen Stadt Wrocław (oder Breslau) – sie hängen an Laternen, stehen auf Ausflugsbooten, lugen um Häuserecken herum oder hocken auf Fensterbrettern.

      Genau in dieser Funktion haben die „Krasnale“ im Jahr 2014 einen Vertreter ihrer Zunft nach Dresden geschickt. Die 270 Kilometer entfernte Elbmetropole ist nämlich seit 1959 Partnerstadt von Wrocław. Was wäre passender, als dieses Bündnis mit einem hilfreichen Zwerg zu besiegeln? Der Kleine sitzt etwas verschämt am Fuß des Hietzigbrunnens, der umgeben von parkenden Autos an der Seite des Rathauses steht, und hält die Stadtwappen der beiden Partnerstädte hoch. Damit er nicht allzu allein ist, bekam er 2019 Gesellschaft: Ein weiterer Zwerg, mit einem Koffer und einer Sonnenblume ausgestattet, steht – auf Wunsch der Dresdner, die darüber abstimmen durften – eine Ecke weiter am Eingang zum Ratskeller und begrüßt dort die Gäste. Wenn das so weitergeht, ist auch Dresden in zehn Jahren von Zwergen bevölkert …

      Info

       Lage:

      •Breslauer Partnerzwerg am Hietzigbrunnen: auf der Schulgasse zwischen Rathaus und Kreuzkirche

      •Breslauer Partnerzwerg am Ratskeller: an der südlichen Ecke des Rathauses, links vom Haupteingang

      Anfahrt: Zufahrt über Ringstraße/Schulgasse; Parken auf dem Parkplatz Pirnaischer Platz, Dr.-Külz-Ring oder in den Parkhäusern der Innenstadt; mit Straßenbahnlinien 7/10/11/12 oder Buslinie 62/75 Haltestelle Prager Straße oder zu Fuß über den Altmarkt, vorbei an der Kreuzkirche

      Öffnungszeiten: immer

      Eintritt: nichts

      Versöhnung mit der DDR-Architektur

       Lange stand der Kulturpalast verschämt an der Nordseite des Altmarkts und trennte das in neuem Glanz erstrahlende historische Zentrum um die Frauenkirche von der immer noch an die DDR-Ästhetik erinnernden Prager Straße. Sollte man ihn abreißen wie seinen Kollegen in Berlin?

      1969, als der Großteil der Innenstadt noch in Trümmern lag, erbaute man den Kulturpalast als Vorzeigeprojekt des Sozialismus – genau in der Mitte der historischen Altstadt, aus modernem Beton, mit einer blitzenden Glasfront und einem Kupferdach in Form eines Napfkuchens.

      Der größte Mehrzwecksaal der Stadt entwickelte sich zum neuen kulturellen Zentrum. Hier fanden Konzerte der Dresdner Philharmonie und der Sächsischen Staatskapelle statt, der Kreuzchor und das Moskauer Bolschoi-Theater gastierten, die „Brückenmännchen“-Musicals hatten Kultstatus und bei Dixieland-Festivals wippte ganz Dresden mit. Der Saal mit 2000 Plätzen, das höhenverstellbare Parkett, die drehbare Bühne und Luxusmaterialien wie Marmor und Granit zeigten den Dresdnern, dass es vorwärtsging im Sozialismus.

      Nach langer Diskussion in den 1990ern entschlossen sich die Dresdner, zu ihrer jüngeren Geschichte zu stehen. Sie stellten den Kulturpalast unter Denkmalschutz und renovierten ihn gründlich. 2017 wurde er wiedereröffnet und feierte 2019 sein 50-jähriges Jubiläum.Und die Menschen waren begeistert. Der Kulturpalast ist als Heimat der Dresdner Philharmonie, des Kabaretts „Die Herkuleskeule“ und der Zentralbibliothek ein echtes Kulturzentrum und gleichzeitig ein architektonischer Gegensatz zum benachbarten Neobarockviertel. Er beherbergt einen der akustisch besten Konzertsäle der Welt, der auch architektonisch beeindruckt und von einer speziell entworfenen Orgel gekrönt wird.

      Das 30 Meter lange Wandbild „Der Weg der Roten Fahne“ durfte nach langer Diskussion über seinen künstlerischen Wert an der Westfassade bleiben. Das detaillierte Bild auf 466 Betonkacheln (der rote Stern besteht dagegen aus Glas) zeigt die Geschichte der Menschheit im Verständnis des Marxismus. Die fahnenschwingende Frau in der Bildmitte erinnert an die Dame, die das französische Volk zur Revolution führen sollte – mit Absicht!

      Spannend sind auch die drei Eingangstüren des Kulturpalasts. Ähnlich wie Kirchenportale bestehen sie aus Bronzereliefs, die die Geschichte der Stadt zeigen. Der Künstler Gerd Jaeger hat sich bei den Türen nicht an den Kalender gehalten, weshalb man beim Betrachten etwas verwirrt ist: Die erste Tür zeigt das Mittelalter und beginnt ganz links unten, als Dresden 1206 erstmals urkundlich erwähnt wurde, bis zum Dreißigjährigen Krieg, als 1632 die Pest kam. Die zweite Tür von links zeigt die Geschichte Dresdens im 19. und frühen 20. Jahrhundert, während die mittlere Tür den Sozialismus zeigt. Auf der rechten Seite geht es wieder rückwärts, in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und das Barockzeitalter. Eine Tür für das 21. Jahrhundert fehlt noch.

      Erstrahlt neu in alter Optik: der Kulturpalast

      Nun wird es aber Zeit, hineinzugehen; auch ohne Ticket für eine der vielen Veranstaltungen. Das beste am Kulturpalast ist nämlich der Blick hinaus auf den Altmarkt, Dresdens ältesten Platz. Besucher der Zentralbibliothek genießen ihn aus einem der kugelrunden „Sonic Chairs“ an den Fensterfronten des Lesesaals. Diese Kuschelsessel sind gleichzeitig akustische Inseln, die man ans Smartphone anschließen und zum Musikhören nutzen kann.

      Aber auch im Foyer kann man bei einem Kaffee oder einem Glas Sekt aus dem Bistro den Blick durch die Glasfront auf den Altmarkt richten. Tagsüber herrscht dort buntes Treiben – bei einem der Frühlings- oder Herbstmärkte, beim jährlichen Striezelmarkt (der seit

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