Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann

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Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann Klassiker bei Null Papier

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gar­ten­mä­ßi­gen Aus­bau der Kur­pro­me­na­de nann­te man An­la­ge. In die­se An­la­gen führ­te mich täg­lich mei­ne Kin­der­frau, wo­bei uns ein klei­nes Hünd­chen be­glei­te­te. Ich lieb­te es, wie na­tür­lich, sehr. Noch eben hat­te ich mit ihm schön­ge­tan, als es in ein Bos­kett schlüpf­te. Völ­lig ver­än­dert kam es her­aus. Mit hel­ler Keh­le und lan­ger Zun­ge Laut ge­bend, um­kreis­te es ra­send in wei­tem Bo­gen mich und die Kin­der­frau, die mich auf die Arme nahm und das Haus zu er­rei­chen such­te. Das Hünd­chen aber in sei­ner krei­sen­den Ra­se­rei be­hielt uns als Mit­tel­punkt. Al­les wur­de auf den ge­fähr­li­chen Vor­gang auf­merk­sam, wer konn­te, floh, auch mein Va­ter wur­de be­nach­rich­tigt und zog uns schließ­lich durch eine Glas­tür ins in­ne­re Haus, wo wir vor dem wahr­schein­lich von Toll­wut be­fal­le­nen Tier si­cher wa­ren.

      Es war uns bis auf den Haus­flur nach­ge­folgt, wo man es glück­li­cher­wei­se ab­schlie­ßen und also un­schäd­lich ma­chen konn­te. Ich sah durch die Schei­ben sei­nen fort­ge­setz­ten, wü­ten­den To­des­lauf, im­mer im Kreis, über Stüh­le, Ti­sche und Fens­ter­bret­ter hin­weg, ich weiß nicht wie lan­ge, eh man es durch den Tod er­lös­te.

      Ich bin die­sen tie­fen und grau­si­gen Ein­druck bis heut nicht los­ge­wor­den. Und im­mer, wenn spä­ter ei­ner mei­ner Hun­de in ei­nem Bos­kett ver­schwun­den ist, wur­de ich un­ru­hig und habe die Zwangs­vor­stel­lung zu be­kämp­fen ge­habt, er wer­de schäu­mend und ra­send her­aus­stür­zen.

      *

      Ich weiß nicht, wann mir der im­mer­wäh­ren­de Wech­sel von Tag und Nacht, ihre Ge­gen­sätz­lich­keit im Be­reich der Sin­ne, des Emp­fin­dens und der Vor­stel­lung deut­lich ins Be­wusst­sein ge­drun­gen ist und wann sie mir zu be­wus­s­ter Ge­wohn­heit wur­de. Nicht der Tag, aber der Abend und die Nacht so­wie al­les Dun­kel wa­ren mit Furcht ver­knüpft. Ein sol­cher Aus­druck der Furcht war schon das Abend­ge­bet, das mei­ne Mut­ter mich täg­lich im Bett spre­chen ließ:

       Müde bin ich, geh’ zur Ruh’,

       schlie­ße bei­de Äug­lein zu.

       Va­ter, lass die Au­gen dein

       über mei­nem Bet­te sein!

       Alle, die mir sind ver­wandt,

       Gott, lass ruhn in dei­ner Hand …

      und so fort.

      *

      Die Furcht des Kin­des ist Ge­s­pens­ter­furcht. Sein Tag kennt sie nicht, aber nachts, wenn es wach oder halb­wach ist, um­ge­ben es über­all Dä­mo­nen. Da sie, wor­an das Kind nicht zwei­felt, bös­ar­tig sind, gibt man dem ge­ängs­tig­ten Kna­ben, dem furcht­sa­men Mäd­chen die Vor­stel­lung ei­nes Schutz­en­gels. Man sprach auch mir von mei­nem Schutz­en­gel, aber er wur­de mir nie über­zeu­gend ge­gen­wär­tig. Er gab mir nie ein Ge­fühl der Ge­bor­gen­heit etwa in dem Gra­de, wie mir die Geis­ter der Fins­ter­nis Furcht mach­ten.

      Eine Zeit lang teil­te ich mit den El­tern das Schlaf­zim­mer. Wenn ich, was vor­kam, schlaf­los lag und beim Schei­ne des Nacht­licht­chens Va­ter und Mut­ter be­wusst­los schnar­chend in ih­ren Bet­ten sah, wa­ren sie mir wie at­men­de Leich­na­me. Dass sie vom Tode wie­der er­wa­chen wür­den, ja dass ich sie we­cken konn­te, wuss­te ich. Aber eben­so war mir be­kannt, dass man dies nicht darf, weil je­mand, der wei­ter­le­ben will, all­nächt­lich die­sen Tod er­lei­den muss. Und so muss­te ich denn das Ge­fühl ei­ner gren­zen­lo­sen Ver­las­sen­heit aus­kos­ten.

      Wenn das Um und An der Nacht mir pein­lich war, so sah ich den Schlaf an sich als eine stö­ren­de Un­ter­bre­chung des Ta­ges an und schüt­tel­te ihn des Mor­gens mit dem Glücks­ge­fühl des Be­frei­ten wie eine ge­spreng­te Fes­sel ab. Nun konn­te ich wie­der in himm­li­scher Be­täu­bung rast­los in der Son­ne um­her­flat­tern und mich dem über­all Se­lig-Neu­en, den Genüs­sen des Ge­sichts, des Ge­hörs, des Ge­ruchs, des Ge­tasts und des Ge­schmacks hin­ge­ben. Ich konn­te über­all um­her­fah­ren, su­chend und fin­dend, al­les um und um wen­dend, von der fro­hen Be­zau­be­rung mei­nes Stau­nens er­füllt.

      Vom Mor­gen ge­lang­te ich so im Rausch des Spiels bis zum Abend hin­auf, von dem man mich, und das war die gute Sei­te der Nacht, be­wusst­los wie in ei­nem laut­lo­sen Lift zum Mor­gen her­un­ter­ließ, wo das Spiel von Neu­em be­gin­nen konn­te.

      *

      An mei­nem Ge­burts­ta­ge brann­ten vier Lich­ter um den Ku­chen, in der Mit­te das län­ge­re Le­bens­licht. Die Fei­er wur­de all­jähr­lich mit Ge­schen­ken, Ku­chen, Lich­tern und Blu­men ge­wis­sen­haft ein­ge­hal­ten. Der Ge­burts­tag fiel glück­li­cher­wei­se in den Mo­nat No­vem­ber, in die stil­le, dem Fa­mi­li­en­le­ben ge­hö­ren­de Win­ter­zeit. Im tur­bu­len­ten Gäs­te­be­trieb des Som­mers wür­de man sei­ner kaum oder nur ne­ben­her ge­dacht ha­ben. So war es ein Tag der Freu­de, aber auch der Ein­kehr für mich, da die Mut­ter mit erns­ten Re­den des mensch­li­chen Wach­sens und Wer­dens und des mensch­li­chen Schick­sals im gan­zen ge­dach­te.

      Über Spiel und Spiel­zeug ist viel ge­sagt und ge­schrie­ben wor­den. Wer den Spiel­trieb kennt, weiß, wel­cher Zau­ber ihm in­ne­wohnt. Ech­tes Spiel­zeug kann so­gar im Er­wach­se­nen, be­son­ders in Ge­gen­wart von Kin­dern, das Kind er­we­cken. Aus dem Spiel­trieb er­wächst die Kunst. Der Kna­be vom vier­ten, wenn er das Schau­kel­pferd hin­ter sich ge­las­sen hat, bis zum ach­ten, neun­ten Jahr ist ein Uni­ver­sal­künst­ler. Er hat mit Bau­klöt­zen Dome auf­ge­führt, er hat sich ge­übt mit sei­nem Tusch­kas­ten, er hat al­ler­lei Tier­ge­bil­de aus Wachs mo­del­liert, er hat sich zeich­ne­risch an den Men­schen ge­wagt. Vor al­lem aber ist er ein Schau­spie­ler ohne Ei­tel­keit, ei­ner, der kei­nen Zuschau­er braucht, wenn er sich als kom­man­die­ren­der Ge­ne­ral, als mu­ti­ges Pferd oder gar als Lo­ko­mo­ti­ve ge­bär­det.

      Es ist Nei­gung, nie­mals Ge­bot, nie­mals Pf­licht, was zum Spie­le treibt. Das Kind ist sein ei­ge­ner Leh­rer und Schü­ler. Ein Ver­hält­nis von sol­cher Har­mo­nie und Frucht­bar­keit wird ihm spä­ter schwer­lich wie­der zu­teil wer­den. Es fühlt kein Ziel, es fühlt kei­nen Zweck. Al­les ist, sei es ver­son­nen oder wild, im­mer­wäh­ren­de Hei­ter­keit.

      Wohl scheint die Na­tur da­bei einen Zweck zu ver­fol­gen: aber selbst die Er­wach­se­nen se­hen ihr Wal­ten im Kin­de meis­tens nicht. Des­halb hal­ten sie sich für ver­pflich­tet, schon früh und bei ge­ge­be­ner Ge­le­gen­heit, wie mei­ne Mut­ter an mei­nen Ge­burts­ta­gen tat, auf den kom­men­den Ernst des Le­bens in Ge­stalt des Schul­be­suchs hin­zu­wei­sen. Ich woll­te lan­ge nichts wis­sen da­von, end­lich aber wur­de ich nach­denk­lich und sah die Un­schuld mei­nes Da­hin­le­bens durch den Ge­dan­ken der Mut­ter ge­stört, dass die­ses so glück­li­che Le­ben ein nutz­lo­ses wäre und ab­ge­löst wer­den müs­se von ei­nem nütz­li­chen. Sei­ne Be­rech­ti­gung habe es gleich­sam nur als Gna­den­frist. Über­schrei­te es die­se Frist, so sei der Mensch, der es wei­ter­füh­re, ein Tau­ge­nichts.

      Nun, ein Foh­len, das einen Was­ser­guss er­hält, schüt­telt sich

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