Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
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Es war uns bis auf den Hausflur nachgefolgt, wo man es glücklicherweise abschließen und also unschädlich machen konnte. Ich sah durch die Scheiben seinen fortgesetzten, wütenden Todeslauf, immer im Kreis, über Stühle, Tische und Fensterbretter hinweg, ich weiß nicht wie lange, eh man es durch den Tod erlöste.
Ich bin diesen tiefen und grausigen Eindruck bis heut nicht losgeworden. Und immer, wenn später einer meiner Hunde in einem Boskett verschwunden ist, wurde ich unruhig und habe die Zwangsvorstellung zu bekämpfen gehabt, er werde schäumend und rasend herausstürzen.
*
Ich weiß nicht, wann mir der immerwährende Wechsel von Tag und Nacht, ihre Gegensätzlichkeit im Bereich der Sinne, des Empfindens und der Vorstellung deutlich ins Bewusstsein gedrungen ist und wann sie mir zu bewusster Gewohnheit wurde. Nicht der Tag, aber der Abend und die Nacht sowie alles Dunkel waren mit Furcht verknüpft. Ein solcher Ausdruck der Furcht war schon das Abendgebet, das meine Mutter mich täglich im Bett sprechen ließ:
Müde bin ich, geh’ zur Ruh’,
schließe beide Äuglein zu.
Vater, lass die Augen dein
über meinem Bette sein!
Alle, die mir sind verwandt,
Gott, lass ruhn in deiner Hand …
und so fort.
*
Die Furcht des Kindes ist Gespensterfurcht. Sein Tag kennt sie nicht, aber nachts, wenn es wach oder halbwach ist, umgeben es überall Dämonen. Da sie, woran das Kind nicht zweifelt, bösartig sind, gibt man dem geängstigten Knaben, dem furchtsamen Mädchen die Vorstellung eines Schutzengels. Man sprach auch mir von meinem Schutzengel, aber er wurde mir nie überzeugend gegenwärtig. Er gab mir nie ein Gefühl der Geborgenheit etwa in dem Grade, wie mir die Geister der Finsternis Furcht machten.
Eine Zeit lang teilte ich mit den Eltern das Schlafzimmer. Wenn ich, was vorkam, schlaflos lag und beim Scheine des Nachtlichtchens Vater und Mutter bewusstlos schnarchend in ihren Betten sah, waren sie mir wie atmende Leichname. Dass sie vom Tode wieder erwachen würden, ja dass ich sie wecken konnte, wusste ich. Aber ebenso war mir bekannt, dass man dies nicht darf, weil jemand, der weiterleben will, allnächtlich diesen Tod erleiden muss. Und so musste ich denn das Gefühl einer grenzenlosen Verlassenheit auskosten.
Wenn das Um und An der Nacht mir peinlich war, so sah ich den Schlaf an sich als eine störende Unterbrechung des Tages an und schüttelte ihn des Morgens mit dem Glücksgefühl des Befreiten wie eine gesprengte Fessel ab. Nun konnte ich wieder in himmlischer Betäubung rastlos in der Sonne umherflattern und mich dem überall Selig-Neuen, den Genüssen des Gesichts, des Gehörs, des Geruchs, des Getasts und des Geschmacks hingeben. Ich konnte überall umherfahren, suchend und findend, alles um und um wendend, von der frohen Bezauberung meines Staunens erfüllt.
Vom Morgen gelangte ich so im Rausch des Spiels bis zum Abend hinauf, von dem man mich, und das war die gute Seite der Nacht, bewusstlos wie in einem lautlosen Lift zum Morgen herunterließ, wo das Spiel von Neuem beginnen konnte.
*
An meinem Geburtstage brannten vier Lichter um den Kuchen, in der Mitte das längere Lebenslicht. Die Feier wurde alljährlich mit Geschenken, Kuchen, Lichtern und Blumen gewissenhaft eingehalten. Der Geburtstag fiel glücklicherweise in den Monat November, in die stille, dem Familienleben gehörende Winterzeit. Im turbulenten Gästebetrieb des Sommers würde man seiner kaum oder nur nebenher gedacht haben. So war es ein Tag der Freude, aber auch der Einkehr für mich, da die Mutter mit ernsten Reden des menschlichen Wachsens und Werdens und des menschlichen Schicksals im ganzen gedachte.
Über Spiel und Spielzeug ist viel gesagt und geschrieben worden. Wer den Spieltrieb kennt, weiß, welcher Zauber ihm innewohnt. Echtes Spielzeug kann sogar im Erwachsenen, besonders in Gegenwart von Kindern, das Kind erwecken. Aus dem Spieltrieb erwächst die Kunst. Der Knabe vom vierten, wenn er das Schaukelpferd hinter sich gelassen hat, bis zum achten, neunten Jahr ist ein Universalkünstler. Er hat mit Bauklötzen Dome aufgeführt, er hat sich geübt mit seinem Tuschkasten, er hat allerlei Tiergebilde aus Wachs modelliert, er hat sich zeichnerisch an den Menschen gewagt. Vor allem aber ist er ein Schauspieler ohne Eitelkeit, einer, der keinen Zuschauer braucht, wenn er sich als kommandierender General, als mutiges Pferd oder gar als Lokomotive gebärdet.
Es ist Neigung, niemals Gebot, niemals Pflicht, was zum Spiele treibt. Das Kind ist sein eigener Lehrer und Schüler. Ein Verhältnis von solcher Harmonie und Fruchtbarkeit wird ihm später schwerlich wieder zuteil werden. Es fühlt kein Ziel, es fühlt keinen Zweck. Alles ist, sei es versonnen oder wild, immerwährende Heiterkeit.
Wohl scheint die Natur dabei einen Zweck zu verfolgen: aber selbst die Erwachsenen sehen ihr Walten im Kinde meistens nicht. Deshalb halten sie sich für verpflichtet, schon früh und bei gegebener Gelegenheit, wie meine Mutter an meinen Geburtstagen tat, auf den kommenden Ernst des Lebens in Gestalt des Schulbesuchs hinzuweisen. Ich wollte lange nichts wissen davon, endlich aber wurde ich nachdenklich und sah die Unschuld meines Dahinlebens durch den Gedanken der Mutter gestört, dass dieses so glückliche Leben ein nutzloses wäre und abgelöst werden müsse von einem nützlichen. Seine Berechtigung habe es gleichsam nur als Gnadenfrist. Überschreite es diese Frist, so sei der Mensch, der es weiterführe, ein Taugenichts.
Nun, ein Fohlen, das einen Wasserguss erhält, schüttelt sich