Selbstführung in stürmischen Zeiten. Frieder Boller
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Dank
An dieser Stelle geht ein erster Dank an Richard Blackburn, Leiter des Lombard Mennonite Peace Centers, der herausfordernd, ermutigend und freundschaftlich wesentlich zu meiner Horizonterweiterung beigetragen hat. Dieses Buch wäre nicht entstanden ohne die Freundschaft und Zusammenarbeit mit wunderbaren Menschen: Madeleine Bähler und Marcus Weiand. Ihr Engagement, ihre Weisheit und Kompetenz sowie gute Laune und kritische Fragen sind nicht nur in den Text dieses Buches eingeflossen, sondern auch in den gemeinsam geleisteteten Aufbau des Instituts Compax für Konflikttransformation. Ein Dank für treffsichere, kritische, kluge Anmerkungen beim Durchlesen des Manuskriptes gilt auch Kirsten Weber-Obst und Anne Boller sowie Eric Braun, der mich zudem in den Video-Aufnahmen zu den Kapiteln mit heiterer Gelassenheit angespornt hat.
Frieder Boller
„Ich fürchte mich nicht, ich hab bloß Angst.“
Graffito
KAPITEL 1
DEN KOPF – NICHT – VERLIEREN
Kein Leben ohne Angst-Spannung
Darum geht es in diesem Kapitel:
Es klingelt im ICE!
Am frühen Abend im voll besetzten ICE-Großraumwagen. Da sitzt eine Frau, die es gewohnt ist, von ihrer Chefin zu jeder Tages–und Nachtzeit mit irgendwelchen „dringenden“ Rückfragen oder Aufträgen angeklingelt und angemailt zu werden. Anfangs hatte ihr das nichts ausgemacht, aber mittlerweile befindet sie sich in einem kontinuierlichen Habachtmodus, schläft schlecht und ist dankbar für jeden Moment ungestörter Ruhe, den sie finden kann. Auf ihrer Reise zu einer Weiterbildung hat sie endlich Zeit, sich in die vorbereitenden Unterlagen zu vertiefen.
Der Mann zwei Reihen vor ihr hatte vormittags gearbeitet und sich dann einen halben Tag Urlaub für seine ehrenamtliche Tätigkeit genommen. Er war Mitglied einer überregionalen Arbeitsgruppe. Dort stand eine Diskussion um die Ausrichtung der zukünftigen Tätigkeit des sozialdiakonisch tätigen Vereines an. Dazu hatte er ein paar mögliche Szenarien und Wege entwickelt. Die Sitzung war dann aber wider Erwarten höchst spannungsgeladen verlaufen. Die Probleme lagen nicht nur in den kompromisslos vertretenen unterschiedlichen Vorstellungen und Ideen, sondern auch in frustrierten Ansprüchen und verletzenden Vorwürfen. Am Ende war die Situation ziemlich verfahren. Man hatte sich ergebnislos und kühl voneinander verabschiedet. Es war völlig unklar, um nicht zu sagen aussichtslos, wie aus dem Ganzen jetzt noch etwas Vernünftiges werden sollte.
Ihm gegenüber sitzt jemand beglückt und ermutigt auf der Heimfahrt von einem Treffen mit alten Freunden. Ein wunderschöner Ausflug. Wie verabredet hatten sie sich endlich nach langer Zeit getroffen. Spannend war es gewesen, wie es ihnen wohl heute miteinander gehen würde. Wie in alten Zeiten war es! Zwei großartige Tage, gefüllt mit Erinnerungen, erfüllt mit neuen Eindrücken und aufgefrischter Freundschaft.
Plötzlich klingelt irgendwo ein Handy. Laut! Eine grässliche Melodie. Sehr laut. Es klingelt wieder. Und wieder. Köpfe gehen hoch. Suchende Blicke wandern durchs Abteil. Warum nimmt niemand ab? Wo ist dieser Ruhestörer? Hartnäckig klingelt es weiter. Das nervt! Schlagartig liegt eine gereizte Spannung in der Luft. Drüben verdreht jemand die Augen. Mensch, nimm doch endlich ab! Das Klingeln zieht alle Aufmerksamkeit im Wagen auf sich. Schräg gegenüber steht einem der Ärger im Gesicht geschrieben. Woanders stöhnt jemand vernehmlich. Die dicke Luft ist greifbar.
Zum Kuckuck noch mal, hört das denn nie auf? Da ruft jemand laut in den Wagen hinein: „…“
„Telefon!“, ruft die Person ganz freundlich-fröhlich entspannt. Ein paar Umsitzende lachen. Und augenblicklich ist zu spüren, wie die gereizte Spannung abflaut.
(Ach ja, noch zweimal klingelte es. Dann war Ruhe im ICE!)
Menschen sind emotional vernetzt
Die ICE-Passagiere in der Umgebung des klingelnden Telefons erlebten plötzlich, dass sie emotional miteinander verbunden waren. Unvermittelt bildeten sie eine „Schicksalsgemeinschaft“. Ein emotionales System war sichtbar und spürbar geworden zwischen Menschen, die einander gar nicht kannten. Solch ein emotionales System bildet sich prinzipiell, wo zwei oder mehr Menschen, absichtlich oder zufällig, zusammen sind. Es verbindet sie völlig unabhängig von ihrer Bekanntheit miteinander, ihrem sozialen Status, ihren funktionalen Rollen, die sie innehaben, oder einer Aufgabe, in der sie stehen. Es ist also unbedeutend, wer von den Reisenden im Zug Chef, Putzfrau, Umweltaktivist, Pfarrer, Urgroßmutter oder Studentin ist und ob hier auch noch ein Zugbegleiter in Ausbildung sowie die Zugchefin anwesend sind.
Emotionale Verbindungen sind energiegeladen und beweglich. Sie entfalten eine stärkere Wirkung als irgendeine formale Verbindung zwischen Menschen und dem, was ihnen individuell zugeschrieben wird. Zudem kann ein emotionales System auch über die Dauer des direkten Zusammenseins verbinden. Israel Galindo2 spricht in diesem Zusammenhang vom „verborgenen Leben“ einer Organisation. Anders gesagt, ob Familie, Partygesellschaft, Arbeitsteam, Freundesclique, Gottesdienstgemeinde, Vereinsvorstand, Hauskreis, Konzertbesucher – immer besteht hier zwischen den Personen eine – wie auch immer geartete – emotionale Verbindung.
Diese im Hintergrund wirkende emotionale Dynamik hängt wesentlich mit dem zusammen, was wir „Angst-Spannung“ nennen. Auf den ersten Blick wirkt der Begriff in diesem Zusammenhang etwas drastisch oder übertrieben, denn hier sind Ärger, Gereiztheit, Missstimmung aufgetreten. Doch sie gehören zu den Emotionen, aus denen Angst-Spannung3 besteht. Und das hat die verschiedenen Menschen im ICE plötzlich – mehr oder weniger bewusst – emotional miteinander verbunden.
Selbstverständlich kann so ein emotionales Feld auch in positiven Empfindungen wie Fröhlichkeit, Freude, Glück, Begeisterung, Anbetung etc. wirksam sein. Doch hier geht es uns jetzt um Erfahrungen und Gefühle, die eher „unbehaglich“ sind und in denen wir Stress erleben.
Angst-Spannung! Was ist das?