Ein Quantum Zeit. Volkmar Jesch

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Ein Quantum Zeit - Volkmar Jesch

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Büchern. Wenn bei 12 Büchern eines herausgenommen wird, kann der maximale Grad der Unordnung durch die Zahl 12 charakterisiert werden. Das ist die Anzahl aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, denn es gibt 12 Möglichkeiten, das Buch wieder in die Reihe einzusortieren.

      Der Kehrwert dieser Zahl, nämlich 1/12, beschreibt nun die Wahrscheinlichkeit dafür, dass beim Zurückstellen des Buches eine dieser möglichen 12 Möglichkeiten ausgewählt wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass die unachtsame Reinemachfrau das erste Buch an einer ganz bestimmten, beliebig ausgewählten Stelle wieder einsortiert, beträgt demnach 1/12.«

      Sie war verblüfft. Wahrscheinlichkeit war die Umkehrung der Unordnung und umgekehrt? Dass höchstmögliche Unordnung und Wahrscheinlichkeit dergestalt verbunden waren, hätte sie nicht gedacht. Sie grübelte.

      Er hatte recht, natürlich. Wenn man einen Würfel warf, war die Wahrscheinlichkeit die 6 oder irgendeine bestimmte andere Zahl zwischen 1 und 6 zu würfeln, genau 1/6. Denn es standen maximal 6 Möglichkeiten zur Verfügung.

      »Wenn die Putzfrau zwei Bücher herausnimmt und irgendwo wieder einsortiert«, fuhr er fort, »gibt es 132 Möglichkeiten, wie wir wissen, also ist die Chance, dass beide Bücher irgendwo an einer bestimmten Stelle wieder einsortiert werden 1/132. Bei drei Büchern ist die Chance bereits 1/1.320, und so geht das durch die rasant zunehmende Anzahl von Möglichkeiten in Riesenschritten weiter in Richtung zunehmende Möglichkeiten oder anders gewendet in Richtung ansteigende Unordnung.

      Bei dieser Betrachtung müssen wir unterstellen, dass die Putzfrau die Bücher wirklich irgendwo einsortiert und sich nicht an irgendeine Vorgabe hält. Aber das wollen wir für unsere Überlegung einmal tun, ihr dafür danken und sie nicht gleich entlassen.«

      Sie lächelte und sagte: »Jetzt verstehe ich auch, dass es so unwahrscheinlich ist, dass 32 Spielkarten allein durch Mischen wieder ihre Ausgangsordnung erreichen.«

      »Weil nahezu alle Gegenstände in der Welt in Bewegung sind«, fuhr er fort, »ist es kein Wunder, dass ihre Ordnung abnimmt und dass es immer mehr Möglichkeiten gibt, wie sich die Gegenstände anordnen können. Immer mehr Vorgänge produzieren immer mehr Unordnung. Wie sagte Clausius bereits im 19. Jahrhundert so pointiert: ›Die Unordnung im Universum strebt einem Maximum zu.‹

      Wir wundern uns, dass immer wieder etwas Unvorhergesehenes passiert, aber angesichts der ständigen Abnahme der Ordnung ist das nur allzu wahrscheinlich. Unser Dasein hängt von unheimlich vielen Vorgängen in unserer Welt ab, deren Kausalketten wir nicht kontrollieren können. Wir quittieren ein unvorhergesehenes Ereignis in unserem Leben mit der Aussage ›Irgendwas ist immer‹. Doch hinter diesem flapsigen Satz steckt in Wahrheit ein tief in unserem Universum verankertes Naturprinzip.«

      Das klang unheimlich logisch. Aber es passte irgendwie nicht. Es mochte ja sein, dass man sein persönliches Schicksal nur bedingt beeinflussen konnte. Er sprach aber auch von der ständigen Zunahme jedweder Unordnung, doch auf der Erde sah man davon wenig.

      »Aber unsere Umwelt ist doch von Ordnung geprägt«, warf sie ein. »Wir haben Städte, Häuser, Gesetze, geordnete Strukturen.«

      »Ja, natürlich, die Herstellung der Ordnung ist möglich. Deswegen ist es vorteilhaft für die Menschen, die Dinge aktiv anzupacken, anstatt einen Zustand mit der Aussage zu quittieren: ›Es ist, wie es ist.‹ Denn dieser Zustand gilt ausschließlich für die Vergangenheit. Die Zukunft können wir noch beeinflussen, die Vergangenheit schon nicht mehr. Es lohnt sich allemal, eine Veränderung in der Zukunft herbeizuführen, auch wenn es einem in der Vergangenheit nicht gelungen ist.«

      »Und wie wird die Ordnung wiederhergestellt, die wir überall wahrnehmen können? Durch Aufräumen und Putzen?«

      Er lachte laut los. Es gefiel ihr, wenn er lachte. Es war selten genug. »Natürlich«, sagte er. »Mein Mitbewohner zu Studentenzeiten hat sich immer geweigert, zu putzen. Sein Argument: Er wolle nicht gegen das Grundprinzip des Universums verstoßen.« Jetzt musste sie schmunzeln. »Aber Spaß beiseite. Durch Putzen, Waschen, Aufräumen, Reparieren, aber eben auch durch Häuser und Städte bauen und dergleichen mehr schaffen wir Ordnung, und das ständig. Was benötigen wir dafür? Energie! Diese Vorgänge sind nur mit dem Einsatz von Energie, nämlich aufgrund der von unseren Muskeln erzeugten Kraft, möglich. So weit, so gut.«

      Er machte eine kleine Pause.

      »Leider ist diese Betrachtungsweise höchst unvollständig«, sagte er und kam jetzt zum wirklichen, zum kosmischen Problem. »Auch wenn wir partiell die Ordnung wieder herstellen, vergrößern wir nur die Unordnung an einer anderen Stelle in ungleich höherem Maße. Mit der Tätigkeit unserer Muskeln und der Steuerung unseres Bewegungsapparates ist gleichzeitig die Produktion von Schweiß oder die Abnutzung der Knochen durch Reibung verbunden, beides Vorgänge, die Wärme produzieren, für diesen Vorgang äußerst minimal, aber gleichwohl vorhanden. Genau das ist das Dilemma.«

      »Können Sie das näher spezifizieren?«, fragte sie sorglos, wurde allerdings von seiner Antwort fast umgehauen.

      »Ich möchte mich an dieser Stelle auf ein Beispiel von Stephen Hawking beziehen. Wenn Sie sich nach dem Lesen seines Buches ›Eine kurze Geschichte der Zeit‹ an jedes Wort erinnern könnten, so schreibt er, sind in Ihrem Gehirn etwa zwei Millionen Informationseinheiten gespeichert, also die Ordnung in Ihrem Gehirn um zwei Millionen Einheiten angewachsen.

      Während des Lesens des Buches sind allerdings mindestens tausend Kalorien geordneter Energie im Rahmen des Stoffwechsels Ihres Körpers in ungeordnete Energie, also in Wärme umgewandelt worden, die Sie durch Wärmeleitung und Schweiß an die Luft abgegeben haben.

      Dies wird die Unordnung des Universums um ungefähr zwanzig Millionen Millionen Millionen Millionen Einheiten erhöhen – also ungefähr um das Zehnmillionenmillionenmillionenfache der Ordnungszunahme in Ihrem Gehirn. Und das gilt nur für den Fall, dass Sie sich an alles erinnern, was in diesem Buch steht.15«

      Sie schwieg. Was sollte sie dazu noch sagen.

      »Jedwede Herstellung von Ordnung entwertet Energie, weil ein Teil der Energie in Wärmeenergie umgewandelt wird, die irgendwo verpufft. Und die Zunahme von Entropie durch die Reibung und die dadurch herbeigeführte Produktion von Wärmeenergie bedeutet die Zunahme von Unordnung in der Welt. Deswegen können Sie zwar scheinbar die Ordnung Ihres Autos wiederherstellen, indem Sie es reparieren lassen, aber insgesamt hat die Unordnung in der Welt in einem viel größeren Maße zugenommen.

      Nirgendwo gibt es einen optimalen Energieeinsatz, weil es keinen wirklich reibungsfreien Vorgang gibt. Selbst die Bewegungen eines Gummiballes, den Sie in Richtung Boden haben fallen lassen und der wieder zurückspringt, ist mit Reibung verbunden. Wenn der Gummiball abprallt, wird er nie mehr ihre Hand erreichen, nie mehr

      Auch in ihrem Kopf schien sich gerade wieder Unordnung auszubreiten. Sie wurde ein wenig ungeduldig: »Und wieso, um alles in der Welt, bewirkt die Reibung und die damit einhergehende Wärmeenergie ein Ansteigen der kosmischen Unordnung?«

      »Ganz einfach«, antwortete er mit einem entwaffnenden Lächeln. »Materie besteht aus Teilchen. Wenn die Teilchen aufgrund von Reibung verwirbeln, wechseln sie von einem geordneten in einen ungeordneten Energiezustand, den man als Wärme bezeichnet. Wenn ein Ball zu Boden fällt, streben die Teilchen in seinem Innern gravitationsbedingt mehr oder weniger einheitlich in Richtung Erdmittelpunkt. Vereinfacht gesagt fliegen die Teilchen in Reih und Glied, wie bei einem Formationsflug einer Flugzeugstaffel.16

      Schlägt der Ball nun auf dem Boden auf, wird ein Teil der Teilchen durcheinandergewirbelt. Die Teilchen im Ball, die man sich quasi durch Federn verbunden vorstellen kann, fangen durch den

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