Ein Quantum Zeit. Volkmar Jesch

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Ein Quantum Zeit - Volkmar Jesch

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      Nur weg von hier

       Das Gestern ist fort – das Morgen noch nicht da.

       Leb also heute.

       Pythagoras,

       griechischer Mathematiker und Philosoph

      Alles war schön warm und weich. Eine unendliche Ruhe umgab sie. Vorsichtig öffnete Lea die Augen. Sie musste blinzeln. Die Sonne schien ihr direkt ins Gesicht. Langsam drehte sie den Kopf zur Seite, um der direkten Sonneneinstrahlung zu entkommen.

      Sie lag in einem Bett, alles war weiß um sie herum, die Bettdecke, ein Stuhl, die Wand. Sie drehte sich auf die andere Seite. Auch draußen vor dem Fenster war alles weiß. Schnee! Was war mit ihr geschehen? Wo war sie? In diesem Moment ging die Tür auf. Eine Krankenschwester betrat das Zimmer. Oh Gott, ein Krankenhaus, bestimmt ist sie schwer verletzt, dachte Lea.

      »Ich sehe, Sie sind wieder wach geworden, schön«, sagte die Schwester, die einen angenehmen italienischen Akzent hatte. »Bei Ihrer Einlieferung waren Sie sehr aufgeregt und brauchten Ruhe. Sie haben die ganze Nacht durchgeschlafen und den Vormittag auch. Es ist jetzt mittags, 12:30 Uhr.«

      »Moment, was ist denn passiert?«, fragte Lea und kramte in ihrem Gedächtnis nach Erinnerungen. »Ich kann mich an nichts Schlimmes erinnern. Ich habe Urlaub, bin auf dem Weg in die Berge und …«, stammelte sie.

      »… und Sie hatten einen Unfall«, vervollständigte die Schwester den Satz. »Jemand ist auf Ihr Auto aufgefahren. Sie sind aber nur leicht an der Schulter verletzt, deswegen haben wir Ihnen einen Verband angelegt. Und Sie haben eine kleine Beule am Kopf. Haben Sie Schmerzen?«

      »Nein«, antwortete Lea und bemerkt erst jetzt den Verband am rechten Arm.

      »Es ist nicht ungewöhnlich, dass Sie sich an den Unfall und die unmittelbare Zeit danach nicht erinnern«, sagte die Schwester. »Sie hatten eine temporäre Amnesie. Das kommt häufig vor.«

      Lea richtete sich langsam im Bett auf, was mühelos und ohne Schmerzen gelang. Sie tastete die Schulter, den Arm und die Beule ab, auch schmerzfrei. Wenigstens etwas. Sie beruhigte sich und sagte: »Ich bin auf dem Weg in den Skiurlaub. Ich möchte so bald wie möglich weiterfahren. Wann kann ich die Klinik verlassen? Die paar Schrammen sind doch nicht der Rede wert. Und Schmerzen habe ich keine.«

      »So schnell geht das nicht«, sagte die Krankenschwester, »die Ärzte bestehen auf eingehenderen Untersuchungen, die erst am morgigen Montag stattfinden können. Außerdem ist Ihr Auto sicherlich nicht fahrbereit.«

      Ach, du meine Güte. Ihr Auto, daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Mutlos sank sie ins Kissen zurück.

      »Jetzt, wo Sie wieder wach sind, möchte ich Ihren Blutdruck messen und Ihnen Blut abnehmen«, sagte die Schwester. »Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen anschließend eine Kleinigkeit zu essen.«

      Dankbar nahm sie an. Der Blutdruck war in Ordnung. Das Essen tat ihr gut.

      Ihre Handtasche mit dem Smartphone war auch da. Als sie das Gerät einschaltete, schickte sie als Erstes eine SMS an ihre Freunde, mit denen sie sich ein Chalet teilen wollte, und beschrieb kurz, was passiert war. Sie sollten sich keine Sorgen machen. Hatten sie natürlich schon. Während des Schreibens ging eine Vielzahl von SMS und Telefonnachrichten ein. Sie würde später telefonieren. Erstmal sollte die SMS ihre Freunde beruhigen.

      Sie schloss die Augen und genoss die Sonne, die ihr Gesicht erwärmte. Sie versuchte, sich zu erinnern, was in der Nacht geschehen war. Es gelang ihr nicht. Sie wusste nur noch, wie sie losgefahren war und wie sie auf eine Leitplanke zusteuerte. Mehr nicht. Erschöpft schlief sie wieder ein.

      Später wurde ihr Bett auf die Terrasse geschoben, sie spürte die frische Bergluft und ein wenig die Nachmittagssonne, die sich jetzt einen Weg durch die Schneeflocken bahnte. Es hatte leicht zu schneien begonnen. Sie störte das nicht. Die Terrasse war überdacht, und es war ihr nicht kalt im Bett. Sie nickte nochmals ein.

      Nicht allein

       Was man als Blindheit des Schicksals bezeichnet,

       ist in Wirklichkeit bloß die eigene Kurzsichtigkeit.

       William Faulkner,

       Schriftsteller

      Als sie wieder aufwachte, war es Spätnachmittag. Die Sonne ging gerade unter. Hätte man das Abendrot gemalt und auf eine Postkarte gebannt, hätte es kitschig ausgesehen. Sie war nach dem vielen Schlaf wunderbar erholt. Physisch hatte sie den gestrigen Unfall bestens weggesteckt. Die leichte Schulterprellung, die man bei ihrer Einlieferung noch in der Nacht diagnostiziert hatte, spürte sie nicht.

      Doch psychisch ging es ihr alles andere als gut. Das Licht der tief stehenden Sonne brach sich wunderbar in den verschneiten Bäumen, doch ihr erschien alles irreal. Die Szenerie mutete seltsam an. Sie lag in einem Krankenhaus, genauer auf der Terrasse eines Krankenhauses. Sie hatte einen Unfall gehabt. Wie furchtbar. Die letzten Stunden hatte sie dann doch noch nicht verarbeitet.

      An Skifahren war mit der geprellten Schulter natürlich nicht mehr zu denken. Das war ihr inzwischen klar. Doch eigentlich schmerzte sie vielmehr, ihr geliebtes Auto vermutlich verloren zu haben. So einen Verlust konnte sie nur schwer verwinden. Es ging ihr dabei nicht ums Geld. Es war ihr erstes Auto, mit dem sie auch den letzten Urlaub mit ihrem Vater gemacht hatte, bevor dieser … Daran mochte sie jetzt nicht denken. Es war auch schon über zwei Jahre her. Möglicherweise konnte man den Wagen reparieren. Sie wusste gar nicht, wohin man ihn gebracht hatte. Wenn sie aus dem Krankenhaus kam, wollte sie sich gleich darum kümmern. Sie malte die Umrisse des Autos in die Luft. Das Bild des Fahrzeuges zerplatzte wie eine Seifenblase.

      Nachdem sie den ersten Schreck überwunden hatte, kam sie ins Grübeln. Was sollte sie nur in einer Klinik machen? Sie war so voller Tatendrang und langweilte sich. Spätestens in zwei, drei Tagen wollte sie die Mauern des Krankenhauses nur noch von außen sehen. Ein Buch hatte sie nicht mitgenommen, wer nimmt schon ein Buch mit in den Skiurlaub, wo man nach dem Après-Ski froh ist, wenn man rechtzeitig zum Schlafen kommt. Lesen mit Alkohol im Blut geht gar nicht. Wenn doch wenigstens ihre beste Freundin hier wäre, mit der sie sonst alle Nöte und Sorgen teilte. Sie suchte nach ihrem Smartphone, doch man hatte nur das Bett auf die Terrasse geschoben. Die Handtasche mit dem Handy war nicht dabei, lag vermutlich noch in ihrem Zimmer. Sie wollte das warme Bett nicht verlassen. Dann würde sie eben später telefonieren.

      Immer wieder kramte sie in ihrem Gedächtnis, wie es zu diesem vermaledeiten Unfall hatte kommen können. Sie konnte sich an die Zeit erinnern, als sie auf die Leitplanke zugesteuert war. Dieser kurze Ausschnitt ihrer Fahrt, der offensichtlich nur einige Sekundenbruchteile gedauert hatte, war unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt, in einer quasi unendlichen Filmschleife. So kam es ihr vor, als sich ihr mehr und mehr Details einer Handlung offenbarten, die sich in Zeitlupe vor ihr abgespielt hatte. »Vor ihr« war der richtige Ausdruck. Sie hatte im Mittelpunkt gestanden. Sie war plötzlich im Raum stehen geblieben, während sich die Welt um sie gedreht hatte. Der Zeitraum davor war weg, der Zeitraum danach auch.

      Sie konnte sich erinnern, wie sie zu Hause losgefahren war, dass alles glatt gegangen war und es zu regnen begonnen hatte. Und sie wusste inzwischen wieder, wie sie im Krankenwagen aufgewacht war, neben dem feschen Rettungssanitäter, der ihr zugelächelt hatte. Seltsam, diese sporadischen Erinnerungen, heftig für einen kurzen, intensiven Moment, umgeben von einem dunklen Nichts.

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