Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe Klassiker bei Null Papier

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sehr ver­gnüg­lich aus den Fens­tern zu; und wenn uns im La­den un­ter so vie­ler­lei Wa­ren an­fäng­lich nur das Süß­holz und die dar­aus be­rei­te­ten brau­nen ge­stem­pel­ten Zelt­lein vor­züg­lich in­ter­es­sier­ten, so wur­den wir doch all­mäh­lich mit der großen Men­ge von Ge­gen­stän­den be­kannt, wel­che bei ei­ner sol­chen Hand­lung aus- und ein­flie­ßen. Die­se Tan­te war un­ter den Ge­schwis­tern die leb­haf­tes­te. Wenn mei­ne Mut­ter, in jün­gern Jah­ren, sich in rein­li­cher Klei­dung bei ei­ner zier­li­chen weib­li­chen Ar­beit oder im Le­sen ei­nes Bu­ches ge­fiel, so fuhr jene in der Nach­bar­schaft um­her, um sich dort ver­säum­ter Kin­der an­zu­neh­men, sie zu war­ten, zu käm­men und her­um­zu­tra­gen, wie sie es denn auch mit mir eine gute Wei­le so ge­trie­ben. Zur­zeit öf­fent­li­cher Fei­er­lich­kei­ten, wie bei Krö­nun­gen, war sie nicht zu Hau­se zu hal­ten. Als klei­nes Kind schon hat­te sie nach dem bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten aus­ge­wor­fe­nen Gel­de ge­hascht, und man er­zähl­te sich: wie sie ein­mal eine gute Par­tie bei­sam­men ge­habt und sol­ches ver­gnüg­lich in der fla­chen Hand be­schaut, habe ihr ei­ner da­ge­gen ge­schla­gen, wo­durch denn die wohl­er­wor­be­ne Beu­te auf ein­mal ver­lo­ren ge­gan­gen. Nicht we­ni­ger wuss­te sie sich viel da­mit, dass sie dem vor­bei­fah­ren­den Kai­ser Karl dem Sie­ben­ten, wäh­rend ei­nes Au­gen­blicks, da al­les Volk schwieg, auf ei­nem Prall­stei­ne ste­hend, ein hef­ti­ges Vi­vat in die Kut­sche ge­ru­fen und ihn ver­an­lasst habe, den Hut vor ihr ab­zu­zie­hen und für die­se ke­cke Auf­merk­sam­keit gar gnä­dig zu dan­ken.

      Auch in ih­rem Hau­se war um sie her al­les be­wegt, le­bens­lus­tig und mun­ter, und wir Kin­der sind ihr man­che fro­he Stun­de schul­dig ge­wor­den.

      Es ver­steht sich von selbst, dass wir Kin­der, ne­ben den üb­ri­gen Lehr­stun­den, auch ei­nes fort­wäh­ren­den und fort­schrei­ten­den Re­li­gi­ons­un­ter­richts ge­nos­sen. Doch war der kirch­li­che Pro­tes­tan­tis­mus, den man uns über­lie­fer­te, ei­gent­lich nur eine Art von trock­ner Moral: an einen geist­rei­chen Vor­trag ward nicht ge­dacht, und die Leh­re konn­te we­der der See­le noch dem Her­zen zu­sa­gen. Des­we­gen er­ga­ben sich gar man­cher­lei Ab­son­de­run­gen von der ge­setz­li­chen Kir­che. Es ent­stan­den die Se­pa­ra­tis­ten, Pie­tis­ten, Herrn­hu­ter, die Stil­len im Lan­de, und wie man sie sonst zu nen­nen und zu be­zeich­nen pfleg­te, die aber alle bloß die Ab­sicht hat­ten, sich der Gott­heit, be­son­ders durch Chris­tum, mehr zu nä­hern, als es ih­nen un­ter der Form der öf­fent­li­chen Re­li­gi­on mög­lich zu sein schi­en.

      Der Kna­be hör­te von die­sen Mei­nun­gen und Ge­sin­nun­gen un­auf­hör­lich spre­chen: denn die Geist­lich­keit so­wohl als die Lai­en teil­ten sich in das Für und Wi­der. Die mehr oder we­ni­ger Ab­ge­son­der­ten wa­ren im­mer die Min­der­zahl, aber ihre Sin­nes­wei­se zog an durch Ori­gi­na­li­tät, Herz­lich­keit, Be­har­ren und Selbst­stän­dig­keit. Man er­zähl­te von die­sen Tu­gen­den und ih­ren Än­de­run­gen al­ler­lei Ge­schich­ten. Be­son­ders ward die Ant­wort ei­nes from­men Klemp­ner­meis­ters be­kannt, den ei­ner sei­ner Zunft­ge­nos­sen durch die Fra­ge zu be­schä­men ge­dach­te: wer denn ei­gent­lich sein Beicht­va­ter sei? Mit Hei­ter­keit und Ver­trau­en auf sei­ne gute Sa­che er­wi­der­te je­ner: Ich habe einen sehr vor­neh­men; es ist nie­mand Ge­rin­ge­res als der Beicht­va­ter des Kö­nigs Da­vid.

      Die­ses und der­glei­chen mag wohl Ein­druck auf den Kna­ben ge­macht und ihn zu ähn­li­chen Ge­sin­nun­gen auf­ge­for­dert ha­ben. Ge­nug, er kam auf den Ge­dan­ken, sich dem großen Got­te der Na­tur, dem Schöp­fer und Er­hal­ter Him­mels und der Er­den, des­sen frü­he­re Zorn­äu­ße­run­gen schon lan­ge über die Schön­heit der Welt und das man­nig­fal­ti­ge Gute, das uns dar­in zu teil wird, ver­ges­sen wa­ren, un­mit­tel­bar zu nä­hern; der Weg dazu aber war sehr son­der­bar.

      Der Kna­be hat­te sich über­haupt an den ers­ten Glau­bens­ar­ti­kel ge­hal­ten. Der Gott, der mit der Na­tur in un­mit­tel­ba­rer Ver­bin­dung ste­he, sie als sein Werk an­er­ken­ne und lie­be, die­ser schi­en ihm der ei­gent­li­che Gott, der ja­wohl auch mit dem Men­schen wie mit al­lem üb­ri­gen in ein ge­nau­e­res Ver­hält­nis tre­ten kön­ne und für den­sel­ben eben so wie für die Be­we­gung der Ster­ne, für Ta­ges- und Jahrs­zei­ten, für Pflan­zen und Tie­re Sor­ge tra­gen wer­de. Ei­ni­ge Stel­len des Evan­ge­li­ums be­sag­ten die­ses aus­drück­lich. Eine Ge­stalt konn­te der Kna­be die­sem We­sen nicht ver­lei­hen; er such­te ihn also in sei­nen Wer­ken auf und woll­te ihm auf gut alt­tes­ta­ment­li­che Wei­se einen Al­tar er­rich­ten. Na­tur­pro­duk­te soll­ten die Welt im Gleich­nis vor­stel­len, über die­sen soll­te eine Flam­me bren­nen und das zu sei­nem Schöp­fer sich auf­seh­nen­de Ge­müt des Men­schen be­deu­ten. Nun wur­den aus der vor­hand­nen und zu­fäl­lig ver­mehr­ten Na­tu­ra­li­en­samm­lung die bes­ten Stu­fen und Exem­pla­re her­aus­ge­sucht; al­lein, wie sol­che zu schich­ten und auf­zu­bau­en sein möch­ten, das war nun die Schwie­rig­keit. Der Va­ter hat­te einen schö­nen rot­la­ckier­ten gold­ge­blüm­ten Mu­sik­pult, in Ge­stalt ei­ner vier­sei­ti­gen Py­ra­mi­de mit ver­schie­de­nen Ab­stu­fun­gen, den man zu Quar­tet­ten sehr be­quem fand, ob er gleich in der letz­ten Zeit nur we­nig ge­braucht wur­de. Des­sen be­mäch­tig­te sich der Kna­be und bau­te nun stu­fen­wei­se die Ab­ge­ord­ne­ten der Na­tur über ein­an­der, so­dass es recht hei­ter und zu­gleich be­deu­tend ge­nug aus­sah. Nun soll­te bei ei­nem frü­hen Son­nen­auf­gang die ers­te Got­tes­ver­eh­rung an­ge­stellt wer­den; nur war der jun­ge Pries­ter nicht mit sich ei­nig, auf wel­che Wei­se er eine Flam­me her­vor­brin­gen soll­te, die doch auch zu glei­cher Zeit einen gu­ten Ge­ruch von sich ge­ben müs­se. End­lich ge­lang ihm ein Ein­fall, bei­des zu ver­bin­den, in­dem er Räu­cher­kerz­chen be­saß, wel­che, wo nicht flam­mend, doch glim­mend den an­ge­nehms­ten Ge­ruch ver­brei­te­ten. Ja die­ses ge­lin­de Ver­bren­nen und Ver­damp­fen schi­en noch mehr das, was im Ge­mü­te vor­geht, aus­zu­drücken als eine of­fe­ne Flam­me. Die Son­ne war schon längst auf­ge­gan­gen, aber Nach­bar­häu­ser ver­deck­ten den Os­ten. End­lich er­schi­en sie über den Dä­chern; so­gleich ward ein Brenn­glas

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