Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe Klassiker bei Null Papier

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nun gleich die meis­ten sich die­ser wich­ti­gen, in der Fer­ne vor­ge­hen­den Er­eig­nis­se nur zu ei­ner lei­den­schaft­li­chen Un­ter­hal­tung be­dien­ten, so wa­ren doch auch an­de­re, wel­che den Ernst die­ser Zei­ten wohl ein­sa­hen und be­fürch­te­ten, dass bei ei­ner Teil­nah­me Frank­reichs der Kriegs­schau­platz sich auch in un­sern Ge­gen­den auf­tun kön­ne. Man hielt uns Kin­der mehr als bis­her zu Hau­se und such­te uns auf man­cher­lei Wei­se zu be­schäf­ti­gen und zu un­ter­hal­ten. Zu sol­chem Ende hat­te man das von der Groß­mut­ter hin­ter­las­se­ne Pup­pen­spiel wie­der auf­ge­stellt, und zwar der­ge­stalt ein­ge­rich­tet, dass die Zuschau­er in mei­nem Gie­bel­zim­mer sit­zen, die spie­len­den und di­ri­gie­ren­den Per­so­nen aber, so­wie das Thea­ter selbst vom Pro­sze­ni­um an, in ei­nem Ne­ben­zim­mer Platz und Raum fan­den. Durch die be­son­de­re Ver­güns­ti­gung, bald die­sen bald je­nen Kna­ben als Zuschau­er ein­zu­las­sen, er­warb ich mir an­fangs vie­le Freun­de; al­lein die Un­ru­he, die in den Kin­dern steckt, ließ sie nicht lan­ge ge­dul­di­ge Zuschau­er blei­ben. Sie stör­ten das Spiel, und wir muss­ten uns ein jün­ge­res Pub­li­kum aus­su­chen, das noch al­len­falls durch Am­men und Mäg­de in der Ord­nung ge­hal­ten wer­den konn­te. Wir hat­ten das ur­sprüng­li­che Haupt­dra­ma, wor­auf die Pup­pen­ge­sell­schaft ei­gent­lich ein­ge­rich­tet war, aus­wen­dig ge­lernt und führ­ten es an­fangs auch aus­schließ­lich auf; al­lein dies er­mü­de­te uns bald, wir ver­än­der­ten die Gar­de­ro­be, die De­ko­ra­tio­nen und wag­ten uns an ver­schie­de­ne Stücke, die frei­lich für einen so klei­nen Schau­platz zu weit­läuf­tig wa­ren. Ob wir uns nun gleich durch die­se An­ma­ßun­gen das­je­ni­ge, was wir wirk­lich hät­ten leis­ten kön­nen, ver­küm­mer­ten und zu­letzt gar zer­stör­ten, so hat doch die­se kind­li­che Un­ter­hal­tung und Be­schäf­ti­gung auf sehr man­nig­fal­ti­ge Wei­se bei mir das Er­fin­dungs- und Dar­stel­lungs­ver­mö­gen, die Ein­bil­dungs­kraft und eine ge­wis­se Tech­nik ge­übt und be­för­dert, wie es viel­leicht auf kei­nem an­de­ren Wege, in so kur­z­er Zeit, in ei­nem so en­gen Rau­me, mit so we­ni­gem Auf­wand hät­te ge­sche­hen kön­nen.

      Ich hat­te früh ge­lernt, mit Zir­kel und Li­ne­al um­zu­ge­hen, in­dem ich den gan­zen Un­ter­richt, den man uns in der Geo­me­trie er­teil­te, so­gleich in das Tä­ti­ge ver­wand­te, und Pap­pen­ar­bei­ten konn­ten mich höch­lich be­schäf­ti­gen. Doch blieb ich nicht bei geo­me­tri­schen Kör­pern, bei Käst­chen und sol­chen Din­gen ste­hen, son­dern er­sann mir ar­ti­ge Lust­häu­ser, wel­che mir Pi­las­tern, Freitrep­pen und fla­chen Dä­chern aus­ge­schmückt wur­den; wo­von je­doch we­nig zu stan­de kam.

      Weit be­harr­li­cher hin­ge­gen war ich, mit Hil­fe un­se­res Be­dien­ten, ei­nes Schnei­ders von Pro­fes­si­on, eine Rüst­kam­mer aus­zu­stat­ten, wel­che zu un­sern Schau- und Trau­er­spie­len die­nen soll­te, die wir, nach­dem wir den Pup­pen über den Kopf ge­wach­sen wa­ren, selbst auf­zu­füh­ren Lust hat­ten. Mei­ne Ge­spie­len ver­fer­tig­ten sich zwar auch sol­che Rüs­tun­gen und hiel­ten sie für eben so schön und gut als die mei­ni­gen; al­lein ich hat­te es nicht bei den Be­dürf­nis­sen ei­ner Per­son be­wen­den las­sen, son­dern konn­te meh­re­re des klei­nen Hee­res mit al­ler­lei Re­qui­si­ten aus­stat­ten und mach­te mich da­her un­serm klei­nen Krei­se im­mer not­wen­di­ger. Dass sol­che Spie­le auf Par­tei­un­gen, Ge­fech­te und Schlä­ge hin­wie­sen und ge­wöhn­lich auch mit Hän­deln und Ver­druss ein schreck­li­ches Ende nah­men, lässt sich den­ken. In sol­chen Fäl­len hiel­ten ge­wöhn­lich ge­wis­se be­stimm­te Ge­spie­len an mir, an­de­re auf der Ge­gen­sei­te, ob es gleich öf­ter man­chen Partei­wech­sel gab. Ein ein­zi­ger Kna­be, den ich Pyla­des nen­nen will, ver­ließ nur ein ein­zig­mal, von den an­de­ren auf­ge­hetzt, mei­ne Par­tei, konn­te es aber kaum eine Mi­nu­te aus­hal­ten, mir feind­se­lig ge­gen­über­zu­ste­hen; wir ver­söhn­ten uns un­ter vie­len Trä­nen und ha­ben eine gan­ze Wei­le treu­lich zu­sam­men­ge­hal­ten.

      Die­sen so wie an­de­re Wohl­wol­len­de konn­te ich sehr glück­lich ma­chen, wenn ich ih­nen Mär­chen er­zähl­te, und be­son­ders lieb­ten sie, wenn ich in eig­ner Per­son sprach, und hat­ten eine große Freu­de, dass mir, als ih­rem Ge­spie­len, so wun­der­li­che Din­ge könn­ten be­geg­net sein, und da­bei gar kein Ar­ges, wie ich Zeit und Raum zu sol­chen Aben­teu­ern fin­den kön­nen, da sie doch ziem­lich wuss­ten, wie ich be­schäf­tigt war und wo ich aus- und ein­ging. Nicht we­ni­ger wa­ren zu sol­chen Be­ge­ben­hei­ten Lo­ka­li­tä­ten, wo nicht aus ei­ner an­de­ren Welt, doch ge­wiss aus ei­ner an­de­ren Ge­gend nö­tig, und al­les war doch erst heut’ oder ges­tern ge­sche­hen. Sie muss­ten sich da­her mehr selbst be­trü­gen, als ich sie zum Bes­ten ha­ben konn­te. Und wenn ich nicht nach und nach, mei­nem Na­tu­rell ge­mäß, die­se Luft­ge­stal­ten und Wind­beu­te­lei­en zu kunst­mä­ßi­gen Dar­stel­lun­gen hät­te ver­ar­bei­ten ler­nen, so wä­ren sol­che auf­schnei­de­ri­sche An­fän­ge ge­wiss nicht ohne schlim­me Fol­gen für mich ge­blie­ben.

      Be­trach­tet man die­sen Trieb recht ge­nau, so möch­te man in ihm die­je­ni­ge An­ma­ßung er­ken­nen, wo­mit der Dich­ter selbst das Un­wahr­schein­lichs­te ge­bie­te­risch aus­spricht und von ei­nem je­den for­dert, er sol­le das­je­ni­ge für wirk­lich er­ken­nen, was ihm, dem Er­fin­der, auf ir­gend eine Wei­se als wahr er­schei­nen konn­te.

      Was je­doch hier nur im All­ge­mei­nen und be­trach­tungs­wei­se vor­ge­tra­gen wor­den, wird viel­leicht durch ein Bei­spiel, durch ein Mus­ter­stück an­ge­neh­mer und an­schau­li­cher wer­den. Ich füge da­her ein sol­ches Mär­chen bei, wel­ches mir, da ich es mei­nen Ge­spie­len oft wie­der­ho­len muss­te, noch ganz wohl vor der Ein­bil­dungs­kraft und im Ge­dächt­nis schwebt.

      Der neue Pa­ris: Kna­ben­mär­chen

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