Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
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Den nächsten Sonntag setzte ich die Arbeit mit gleichem Eifer fort, und weil mich der Mechanismus derselben sogar unterhielt, so dachte ich nicht nach über das, was ich schrieb und aufbewahrte. Das erste Vierteljahr mochten sich diese Bemühungen ziemlich gleich bleiben; als ich aber zuletzt, nach meinem Dünkel, weder besondere Aufklärung über die Bibel selbst noch eine freiere Ansicht des Dogmas zu finden glaubte, so schien mir die kleine Eitelkeit, die dabei befriedigt wurde, zu teuer erkauft, als dass ich mit gleichem Eifer das Geschäft hätte fortsetzen sollen. Die erst so blätterreichen Kanzelreden wurden immer magerer, und ich hätte zuletzt diese Bemühung ganz abgebrochen, wenn nicht mein Vater, der ein Freund der Vollständigkeit war, mich durch gute Worte und Versprechungen dahin gebracht, dass ich bis auf den letzten Sonntag Trinitatis aushielt, obgleich am Schlusse kaum etwas mehr als der Text, die Proposition und die Einteilung auf kleine Blätter verzeichnet wurden.
Was das Vollbringen betrifft, darin hatte mein Vater eine besondere Hartnäckigkeit. Was einmal unternommen ward, sollte ausgeführt werden, und wenn auch inzwischen das Unbequeme, Langweilige, Verdrießliche, ja Unnütze des Begonnenen sich deutlich offenbarte. Es schien, als wenn ihm das Vollbringen der einzige Zweck, das Beharren die einzige Tugend deuchte. Hatten wir in langen Winterabenden im Familienkreise ein Buch angefangen vorzulesen, so mussten wir es auch durchbringen, wenn wir gleich sämtlich dabei verzweifelten und er mitunter selbst der erste war, der zu gähnen anfing. Ich erinnere mich noch eines solchen Winters, wo wir Bowers »Geschichte der Päpste« so durchzuarbeiten hatten. Es war ein fürchterlicher Zustand, indem wenig oder nichts, was in jenen kirchlichen Verhältnissen vorkommt, Kinder und junge Leute ansprechen kann. Indessen ist mir bei aller Unachtsamkeit und allem Widerwillen doch von jener Vorlesung so viel geblieben, dass ich in späteren Zeiten manches daran zu knüpfen im stande war.
Bei allen diesen fremdartigen Beschäftigungen und Arbeiten, die so schnell auf einander folgten, dass man sich kaum besinnen konnte, ob sie zulässig und nützlich wären, verlor mein Vater seinen Hauptzweck nicht aus den Augen. Er suchte mein Gedächtnis, meine Gabe, etwas zu fassen und zu kombinieren, auf juristische Gegenstände zu lenken, und gab mir daher ein kleines Buch, in Gestalt eines Katechismus,3 von Hoppe, nach Form und Inhalt der Institutionen gearbeitet, in die Hände. Ich lernte Fragen und Antworten bald auswendig und konnte so gut den Katecheten als den Katechumenen vorstellen; und wie bei dem damaligen Religionsunterricht eine der Hauptübungen war, dass man auf das behändeste in der Bibel aufschlagen lernte, so wurde auch hier eine gleiche Bekanntschaft mit dem Corpus Juris für nötig befunden, worin ich auch bald auf das vollkommenste bewandert war. Mein Vater wollte weiter gehen, und der kleine Struve ward vorgenommen; aber hier ging es nicht so rasch. Die Form des Buches war für den Anfänger nicht so günstig, dass er sich selbst hätte aushelfen können, und meines Vaters Art zu dozieren nicht so liberal, dass sie mich angesprochen hätte.
Nicht allein durch die kriegerischen Zustände, in denen wir uns seit einigen Jahren befanden, sondern auch durch das bürgerliche Leben selbst, durch Lesen von Geschichten und Romanen, war es uns nur allzu deutlich, dass es sehr viele Fälle gebe, in welchen die Gesetze schweigen und dem einzelnen nicht zu Hilfe kommen, der dann sehen mag, wie er sich aus der Sache zieht. Wir waren nun herangewachsen, und dem Schlendriane nach sollten wir auch neben anderen Dingen fechten und reiten lernen, um uns gelegentlich unserer Haut zu wehren und zu Pferde kein schülerhaftes Ansehn zu haben. Was den ersten Punkt betrifft, so war uns eine solche Übung sehr angenehm: denn wir hatten uns schon längst Hau-Rapiere von Haselstöcken, mit Körben von Weiden sauber geflochten, um die Hand zu schützen, zu verschaffen gewusst. Nun durften wir uns wirklich stählerne Klingen zulegen, und das Gerassel, was wir damit machten, war sehr lebhaft.
Zwei Fechtmeister befanden sich in der Stadt: ein älterer ernster Deutscher, der auf die strenge und tüchtige Weise zu Werke ging, und ein Franzose, der seinen Vorteil durch Avancieren und Retirieren, durch leichte flüchtige Stöße, welche stets mit einigen Ausrufungen begleitet waren, zu erreichen suchte. Die Meinungen, welche Art die beste sei, waren geteilt. Der kleinen Gesellschaft, mit welcher ich Stunde nehmen sollte, gab man den Franzosen, und wir gewöhnten uns bald, vorwärts und rückwärts zu gehen, auszufallen und uns zurückzuziehen und dabei immer in die herkömmlichen Schreilaute auszubrechen. Mehrere von unsern Bekannten aber hatten sich zu dem deutschen Fechtmeister gewendet und übten gerade das Gegenteil. Diese verschiedenen Arten, eine so wichtige Übung zu behandeln, die Überzeugung eines jeden, dass sein Meister der bessere sei, brachte wirklich eine Spaltung unter die jungen Leute, die ungefähr von einem Alter waren, und es fehlte wenig, so hätten die Fechtschulen ganz ernstliche Gefechte veranlasst. Denn fast ward eben so sehr mit Worten gestritten als mit der Klinge gefochten, und um zuletzt der Sache ein Ende zu machen, ward ein Wettkampf zwischen beiden Meistern veranstaltet, dessen Erfolg ich nicht umständlich zu beschreiben brauche. Der Deutsche stand in seiner Positur wie eine Mauer, passte auf seinen Vorteil und wusste mit Battieren und Ligieren seinen Gegner ein über das andere Mal zu entwaffnen. Dieser behauptete, das sei nicht Raison, und fuhr mit seiner Beweglichkeit fort, den anderen in Atem zu setzen. Auch brachte er dem Deutschen wohl einige Stöße bei, die ihn aber selbst, wenn es Ernst gewesen wäre, in die andere Welt geschickt hätten.
Im ganzen ward nichts entschieden noch gebessert, nur wendeten sich einige zu dem Landsmann, worunter ich auch gehörte. Allein ich hatte schon zu viel von dem ersten Meister