Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe Klassiker bei Null Papier

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Blu­men hät­te ein­ord­nen kön­nen. Er ging mit mir das wäh­rend ei­nes hal­b­en Jahrs vor mei­nen Au­gen ent­stan­de­ne und mir teil­wei­se ge­fäl­li­ge Bild um­ständ­lich durch und wuss­te mich zu mei­ner Be­trüb­nis voll­kom­men zu über­zeu­gen. Auch hielt er die nach­ge­bil­de­te Maus für einen Miss­griff: »denn«, sag­te er, »sol­che Tie­re ha­ben für vie­le Men­schen et­was Schau­der­haf­tes, und man soll­te sie da nicht an­brin­gen, wo man Ge­fal­len er­re­gen will«. Ich hat­te nun, wie es demje­ni­gen zu ge­hen pflegt, der sich von ei­nem Vor­ur­tei­le ge­heilt sieht und sich viel klü­ger dünkt, als er vor­her ge­we­sen, eine wah­re Ver­ach­tung ge­gen dies Kunst­werk und stimm­te dem Künst­ler völ­lig bei, als er eine an­de­re Ta­fel von glei­cher Grö­ße ver­fer­ti­gen ließ, wor­auf er, nach dem Ge­schmack, den er be­saß, ein bes­ser ge­form­tes Ge­fäß und einen kunst­rei­cher ge­ord­ne­ten Blu­men­strauß an­brach­te, auch die le­ben­di­gen klei­nen Bei­we­sen zier­lich und er­freu­lich so­wohl zu wäh­len als zu ver­tei­len wuss­te. Auch die­se Ta­fel mal­te er mit der größ­ten Sorg­falt, doch frei­lich nur nach je­ner schon ab­ge­bil­de­ten, oder aus dem Ge­dächt­nis, das ihm aber bei ei­ner sehr lan­gen und em­si­gen Pra­xis gar wohl zu Hil­fe kam. Bei­de Ge­mäl­de wa­ren nun fer­tig, und wir hat­ten eine ent­schie­de­ne Freu­de an dem letz­ten, das wirk­lich kunst­rei­cher, und mehr in die Au­gen fiel. Der Va­ter ward an­statt mit ei­nem mit zwei Stücken über­rascht und ihm die Wahl ge­las­sen. Er bil­lig­te un­se­re Mei­nung und die Grün­de der­sel­ben, be­son­ders auch den gu­ten Wil­len und die Tä­tig­keit, ent­schied sich aber, nach­dem er bei­de Bil­der ei­ni­ge Tage be­trach­tet, für das ers­te, ohne über die­se Wahl wei­ter vie­le Wor­te zu ma­chen. Der Künst­ler, är­ger­lich, nahm sein zwei­tes, wohl­ge­mein­tes Bild zu­rück und konn­te sich ge­gen mich der Be­mer­kung nicht ent­hal­ten, dass die gute eich­ne Ta­fel, wor­auf das ers­te ge­malt ste­he, zum Ent­schluss des Va­ters ge­wiss das ih­ri­ge bei­ge­tra­gen habe.

      Da sei­ne Woh­nung nahe am Eschen­hei­mer Tore lag, so führ­te mich, wenn ich ihn be­sucht hat­te, mein Weg ge­wöhn­lich zur Stadt hin­aus und zu den Grund­stücken, wel­che mein Va­ter vor den To­ren be­saß. Das eine war ein großer Baum­gar­ten, des­sen Bo­den als Wie­se be­nutzt wur­de und worin mein Va­ter das Nach­pflan­zen der Bäu­me, und was sonst zur Er­hal­tung diente, sorg­fäl­tig be­ob­ach­te­te, ob­gleich das Grund­stück ver­pach­tet war. Noch mehr Be­schäf­ti­gung gab ihm ein sehr gut un­ter­hal­te­ner Wein­berg vor dem Fried­ber­ger Tore, wo­selbst zwi­schen den Rei­hen der Wein­stö­cke Spar­gel­rei­hen mit großer Sorg­falt ge­pflanzt und ge­war­tet wur­den. Es ver­ging in der gu­ten Jahrs­zeit fast kein Tag, dass nicht mein Va­ter sich hin­aus be­gab, da wir ihn denn meist be­glei­ten durf­ten und so von den ers­ten Er­zeug­nis­sen des Früh­lings bis zu den letz­ten des Herbs­tes Ge­nuss und Freu­de hat­ten. Wir lern­ten nun auch mit den Gar­ten­ge­schäf­ten um­ge­hen, die, weil sie sich jähr­lich wie­der­hol­ten, uns end­lich ganz be­kannt und ge­läu­fig wur­den. Nach man­cher­lei Früch­ten des Som­mers und Herbs­tes war aber doch zu­letzt die Wein­le­se das Lus­tigs­te und am meis­ten Er­wünsch­te: ja es ist kei­ne Fra­ge, dass, wie der Wein selbst den Or­ten und Ge­gen­den, wo er wächst und ge­trun­ken wird, einen freie­ren Cha­rak­ter gibt, so auch die­se Tage der Wein­le­se, in­dem sie den Som­mer schlie­ßen und zu­gleich den Win­ter er­öff­nen, eine un­glaub­li­che Hei­ter­keit ver­brei­ten. Lust und Ju­bel er­streckt sich über eine gan­ze Ge­gend. Des Ta­ges hört man von al­len Ecken und En­den Jauch­zen und Schie­ßen, und des Nachts ver­kün­den bald da bald dort Ra­ke­ten und Leucht­ku­geln, dass man noch über­all wach und mun­ter die­se Fei­er gern so lan­ge als mög­lich aus­deh­nen möch­te. Die nach­he­ri­gen Be­mü­hun­gen beim Kel­tern und wäh­rend der Gä­rung im Kel­ler ga­ben uns auch zu Hau­se eine hei­te­re Be­schäf­ti­gung, und so ka­men wir ge­wöhn­lich in den Win­ter hin­ein, ohne es recht ge­wahr zu wer­den.

      Die­ser länd­li­chen Be­sit­zun­gen er­freu­ten wir uns im Früh­ling 1763 umso mehr, als uns der 15te Fe­bru­ar die­ses Jahrs durch den Ab­schluss des Hu­berts­bur­ger Frie­dens zum fest­li­chen Tage ge­wor­den, un­ter des­sen glück­li­chen Fol­gen der größ­te Teil mei­nes Le­bens ver­flie­ßen soll­te. Ehe ich je­doch wei­ter schrei­te, hal­te ich es für mei­ne Schul­dig­keit, ei­ni­ger Män­ner zu ge­den­ken, wel­che einen be­deu­ten­den Ein­fluss auf mei­ne Ju­gend aus­ge­übt.

      Von Olen­schla­ger, Mit­glied des Hau­ses Frau­en­stein, Schöff und Schwie­ger­sohn des oben er­wähn­ten Dok­tor Orth, ein schö­ner, be­hag­li­cher, san­gui­ni­scher Mann. Er hät­te in sei­ner bur­ge­meis­ter­li­chen Fest­tracht gar wohl den an­ge­se­hens­ten fran­zö­si­schen Präla­ten vor­stel­len kön­nen. Nach sei­nen aka­de­mi­schen Stu­di­en hat­te er sich in Hof- und Staats­ge­schäf­ten um­ge­tan und sei­ne Rei­sen auch zu die­sen Zwe­cken ein­ge­lei­tet. Er hielt mich be­son­ders wert und sprach oft mit mir von den Din­gen, die ihn vor­züg­lich in­ter­es­sier­ten. Ich war um ihn, als er eben sei­ne »Er­läu­te­rung der Güld­nen Bul­le« schrieb; da er mir denn den Wert und die Wür­de die­ses Do­ku­ments sehr deut­lich her­aus­zu­set­zen wuss­te. Auch da­durch wur­de mei­ne Ein­bil­dungs­kraft in jene wil­den und un­ru­hi­gen Zei­ten zu­rück­ge­führt, dass ich nicht un­ter­las­sen konn­te, das­je­ni­ge, was er mir ge­schicht­lich er­zähl­te, gleich­sam als ge­gen­wär­tig, mit

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