Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe Klassiker bei Null Papier

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ihm pro­phe­zeit wor­den, er wer­de der letz­te Kai­ser aus ei­nem deut­schen Hau­se sein; wel­ches denn auch lei­der ein­ge­trof­fen, in­dem nach sei­nem Tode die Wahl nur zwi­schen dem Kö­nig von Spa­ni­en, Karl dem Fünf­ten, und dem Kö­nig von Frank­reich, Franz dem Ers­ten, ge­schwankt habe. Be­denk­lich füg­te man hin­zu, dass nun aber­mals eine sol­che Weis­sa­gung oder viel­mehr Vor­be­deu­tung um­ge­he: denn es sei au­gen­fäl­lig, dass nur noch Platz für das Bild ei­nes Kai­sers üb­rig blei­be; ein Um­stand, der, ob­gleich zu­fäl­lig schei­nend, die Pa­trio­tisch­ge­sinn­ten mit Be­sorg­nis er­fül­le.

      Wenn wir nun so ein­mal un­sern Um­gang hiel­ten, ver­fehl­ten wir auch nicht, uns nach dem Dom zu be­ge­ben und da­selbst das Grab je­nes bra­ven, von Freund und Fein­den ge­schätz­ten Gün­ther zu be­su­chen. Der merk­wür­di­ge Stein, der es eh­mals be­deck­te, ist in dem Chor auf­ge­rich­tet. Die gleich da­ne­ben be­find­li­che Türe, wel­che ins Con­cla­ve führt, blieb uns lan­ge ver­schlos­sen, bis wir end­lich durch die obe­ren Be­hör­den auch den Ein­tritt in die­sen so be­deu­ten­den Ort zu er­lan­gen wuss­ten. Al­lein wir hät­ten bes­ser ge­tan, ihn durch un­se­re Ein­bil­dungs­kraft, wie bis­her, aus­zu­ma­len: denn wir fan­den die­sen in der deut­schen Ge­schich­te so merk­wür­di­gen Raum, wo die mäch­tigs­ten Fürs­ten sich zu ei­ner Hand­lung von sol­cher Wich­tig­keit zu ver­sam­meln pfleg­ten, kei­nes­wegs wür­dig aus­ge­ziert, son­dern noch oben­ein mit Bal­ken, Stan­gen, Gerüs­ten und an­de­rem sol­chen Ge­sperr, das man bei­sei­te set­zen woll­te, ver­un­stal­tet. De­sto mehr ward un­se­re Ein­bil­dungs­kraft an­ge­regt und das Herz uns er­ho­ben, als wir kurz nach­her die Er­laub­nis er­hiel­ten, beim Vor­zei­gen der gold­nen Bul­le an ei­ni­ge vor­neh­me Frem­den auf dem Rat­hau­se ge­gen­wär­tig zu sein.

      Mit vie­ler Be­gier­de ver­nahm der Kna­be so­dann, was ihm die Sei­ni­gen so wie äl­te­re Ver­wand­te und Be­kann­te gern er­zähl­ten und wie­der­hol­ten: die Ge­schich­ten der zu­letzt kurz auf ein­an­der ge­folg­ten Krö­nun­gen. Denn es war kein Frank­fur­ter von ei­nem ge­wis­sen Al­ter, der nicht die­se bei­den Er­eig­nis­se, und was sie be­glei­te­te, für den Gip­fel sei­nes Le­bens ge­hal­ten hät­te. So präch­tig die Krö­nung Karls des Sie­ben­ten ge­we­sen war, bei wel­cher be­son­ders der fran­zö­si­sche Ge­sand­te, mit Kos­ten und Ge­schmack, herr­li­che Fes­te ge­ge­ben, so war doch die Fol­ge für den gu­ten Kai­ser de­sto trau­ri­ger, der sei­ne Re­si­denz Mün­chen nicht be­haup­ten konn­te und ge­wis­ser­ma­ßen die Gast­frei­heit sei­ner Reichs­städ­ter an­fle­hen muss­te.

      War die Krö­nung Franz des Ers­ten nicht so auf­fal­lend präch­tig wie jene, so wur­de sie doch durch die Ge­gen­wart der Kai­se­rin Ma­ria The­re­sia ver­herr­licht, de­ren Schön­heit eben so einen großen Ein­druck auf die Män­ner scheint ge­macht zu ha­ben als die erns­te, wür­di­ge Ge­stalt und die blau­en Au­gen Karls des Sie­ben­ten auf die Frau­en. We­nigs­tens wett­ei­fer­ten bei­de Ge­schlech­ter, dem auf­hor­chen­den Kna­ben einen höchst vor­teil­haf­ten Be­griff von je­nen bei­den Per­so­nen bei­zu­brin­gen. Alle die­se Be­schrei­bun­gen und Er­zäh­lun­gen ge­sch­a­hen mit heitrem und be­ru­hig­tem Ge­müt: denn der Aach­ner Frie­de hat­te für den Au­gen­blick al­ler Feh­de ein Ende ge­macht, und wie von je­nen Fei­er­lich­kei­ten, so sprach man mit Be­hag­lich­keit von den vor­über­ge­gan­ge­nen Kriegs­zü­gen, von der Schlacht bei Det­tin­gen, und was die merk­wür­digs­ten Be­ge­ben­hei­ten der ver­flos­se­nen Jah­re mehr sein moch­ten; und al­les Be­deu­ten­de und Ge­fähr­li­che schi­en, wie es nach ei­nem ab­ge­schlos­se­nen Frie­den zu ge­hen pflegt, sich nur er­eig­net zu ha­ben, um glück­li­chen und sor­gen­frei­en Men­schen zur Un­ter­hal­tung zu die­nen.

      Hat­te man in ei­ner sol­chen pa­trio­ti­schen Be­schrän­kung kaum ein hal­b­es Jahr hin­ge­bracht, so tra­ten schon die Mes­sen wie­der ein, wel­che in den sämt­li­chen Kin­der­köp­fen je­der­zeit eine un­glaub­li­che Gä­rung her­vor­brach­ten. Eine durch Er­bau­ung so vie­ler Bu­den in­ner­halb der Stadt in we­ni­ger Zeit ent­sprin­gen­de neue Stadt, das Wo­gen und Trei­ben, das Ab­la­den und Auspa­cken der Wa­ren er­reg­te, von den ers­ten Mo­men­ten des Be­wusst­seins an, eine un­be­zwing­lich tä­ti­ge Neu­gier­de und ein un­be­gränz­tes Ver­lan­gen nach kin­di­schem Be­sitz, das der Kna­be mit wach­sen­den Jah­ren, bald auf die­se, bald auf jene Wei­se, wie es die Kräf­te sei­nes klei­nen Beu­tels er­lau­ben woll­ten, zu be­frie­di­gen such­te. Zu­gleich aber bil­de­te sich die Vor­stel­lung von dem, was die Welt al­les her­vor­bringt, was sie be­darf, und was die Be­woh­ner ih­rer ver­schie­de­nen Tei­le ge­gen­ein­an­der aus­wech­seln.

      Die­se großen, im Früh­jahr und Herbst ein­tre­ten­den Epo­chen wur­den durch selt­sa­me Fei­er­lich­kei­ten an­ge­kün­digt, wel­che um de­sto wür­di­ger schie­nen, als sie die alte Zeit, und was von dort­her noch auf uns ge­kom­men, leb­haft ver­ge­gen­wär­tig­ten. Am Ge­leits­tag war das gan­ze Volk auf den Bei­nen, dräng­te sich nach der Fahr­gas­se, nach der Brücke, bis über Sach­sen­hau­sen hin­aus; alle Fens­ter wa­ren be­setzt, ohne dass den Tag über was Be­son­de­res vor­ging; die Men­ge schi­en nur da zu sein, um sich zu drän­gen, und die Zuschau­er, um sich un­ter ein­an­der zu be­trach­ten: denn das, wor­auf es ei­gent­lich an­kam, er­eig­ne­te sich erst mit sin­ken­der Nacht und wur­de mehr ge­glaubt als mit Au­gen ge­se­hen.

      In je­nen äl­tern un­ru­hi­gen Zei­ten näm­lich, wo ein je­der nach Be­lie­ben Un­recht tat oder nach Lust das Rech­te be­för­der­te, wur­den die auf die Mes­sen zie­hen­den Han­dels­leu­te von We­ge­la­ge­rern, ed­len und un­ed­len Ge­schlechts, will­kür­lich ge­plagt und ge­plackt, so­dass Fürs­ten und an­de­re mäch­ti­ge Stän­de die Ih­ri­gen mit ge­waff­ne­ter Hand bis nach Frank­furt ge­lei­ten lie­ßen. Hier woll­ten nun aber die Reichs­städ­ter sich selbst und ih­rem Ge­biet nichts ver­ge­ben; sie zo­gen den An­kömm­lin­gen ent­ge­gen: da gab es denn manch­mal Strei­tig­kei­ten, wie weit jene Ge­lei­ten­den her­an­kom­men, oder ob sie wohl gar ih­ren Ein­ritt in die Stadt neh­men könn­ten. Weil nun die­ses nicht al­lein bei Han­dels- und Mess­ge­schäf­ten statt­fand, son­dern auch, wenn hohe Per­so­nen in Kriegs- und Frie­dens­zei­ten, vor­züg­lich aber zu Wahl­ta­gen, sich her­an­be­ga­ben, und es auch öf­ters zu Tät­lich­kei­ten kam, so­bald ir­gend ein Ge­fol­ge, das man in der Stadt nicht dul­den woll­te, sich mit sei­nem Herrn her­ein­zu­drän­gen be­gehr­te, so wa­ren zeit­her dar­über man­che Ver­hand­lun­gen ge­pflo­gen, es wa­ren vie­le Re­zes­se des­halb, ob­gleich stets mit bei­der­sei­ti­gen Vor­be­hal­ten, ge­schlos­sen wor­den, und man gab die Hoff­nung nicht auf, den seit Jahr­hun­der­ten dau­ern­den Zwist end­lich ein­mal bei­zu­le­gen, als die gan­ze An­stalt, wes­halb er so lan­ge und oft sehr hef­tig ge­führt wor­den war, bei­nah für un­nütz, we­nigs­tens für über­flüs­sig an­ge­se­hen wer­den konn­te.

      Un­ter­des­sen ritt die bür­ger­li­che Ka­val­le­rie in meh­re­ren Ab­tei­lun­gen, mit den Ober­häup­tern an ih­rer Spit­ze, an je­nen Ta­gen zu ver­schie­de­nen To­ren hin­aus, fand an ei­ner ge­wis­sen Stel­le ei­ni­ge Rei­ter oder Husa­ren der zum Ge­leit be­rech­tig­ten Reichs­stän­de, die nebst ih­ren An­füh­rern wohl emp­fan­gen und be­wir­tet wur­den; man zö­ger­te bis ge­gen Abend und ritt als­dann, kaum von der war­ten­den Men­ge ge­se­hen, zur Stadt

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