Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe Klassiker bei Null Papier

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      Eine an­de­re, noch viel selt­sa­me­re Fei­er­lich­keit, wel­che am hel­len Tage das Pub­li­kum auf­reg­te, war das Pfei­fer­ge­richt. Es er­in­ner­te die­se Ze­re­mo­nie an jene ers­ten Zei­ten, wo be­deu­ten­de Han­dels­städ­te sich von den Zöl­len, wel­che mit Han­del und Ge­werb in glei­chem Maße zu­nah­men, wo nicht zu be­frei­en, doch we­nigs­tens eine Mil­de­rung der­sel­ben zu er­lan­gen such­ten. Der Kai­ser, der ih­rer be­durf­te, er­teil­te eine sol­che Frei­heit da, wo es von ihm ab­hing, ge­wöhn­lich aber nur auf ein Jahr, und sie muss­te da­her jähr­lich er­neu­ert wer­den. Die­ses ge­sch­ah durch sym­bo­li­sche Ga­ben, wel­che dem kai­ser­li­chen Schult­hei­ßen, der auch wohl ge­le­gent­lich Ober­zöll­ner sein konn­te, vor Ein­tritt der Bar­tho­lo­mäi-Mes­se ge­bracht wur­den, und zwar des An­stands we­gen, wenn er mit den Schöf­fen zu Ge­richt saß. Als der Schult­heiß spä­ter­hin nicht mehr vom Kai­ser ge­setzt, son­dern von der Stadt selbst ge­wählt wur­de, be­hielt er doch die­se Vor­rech­te, und so­wohl die Zoll­frei­hei­ten der Städ­te als die Ze­re­mo­ni­en, wo­mit die Ab­ge­ord­ne­ten von Worms, Nürn­berg und Alt-Bam­berg die­se ur­al­te Ver­güns­ti­gung an­er­kann­ten, wa­ren bis auf un­se­re Zei­ten ge­kom­men. Den Tag vor Ma­riä Ge­burt ward ein öf­fent­li­cher Ge­richts­tag an­ge­kün­digt. In dem großen Kai­ser­saa­le, in ei­nem um­schränk­ten Rau­me, sa­ßen er­höht die Schöf­fen, und eine Stu­fe hö­her der Schult­heiß in ih­rer Mit­te; die von den Par­tei­en be­voll­mäch­tig­ten Pro­ku­ra­to­ren un­ten zur rech­ten Sei­te. Der Ak­tua­ri­us fängt an, die auf die­sen Tag ge­spar­ten wich­ti­gen Ur­tei­le laut vor­zu­le­sen; die Pro­ku­ra­to­ren bit­ten um Ab­schrift, ap­pel­lie­ren, oder was sie sonst zu tun nö­tig fin­den.

      Auf ein­mal mel­det eine wun­der­li­che Mu­sik gleich­sam die An­kunft vo­ri­ger Jahr­hun­der­te. Es sind drei Pfei­fer, de­ren ei­ner eine alte Schal­mei, der an­de­re einen Bass, der drit­te einen Pom­mer oder Ho­boe bläst. Sie tra­gen blaue, mit Gold ver­bräm­te Män­tel, auf den Är­meln die No­ten be­fes­tigt, und ha­ben das Haupt be­deckt. So wa­ren sie aus ih­rem Gast­hau­se, die Ge­sand­ten und ihre Beglei­tung hin­ter­drein, Punkt zehn aus­ge­zo­gen, von Ein­hei­mi­schen und Frem­den an­ge­staunt, und so tre­ten sie in den Saal. Die Ge­richts­ver­hand­lun­gen hal­ten inne, Pfei­fer und Beglei­tung blei­ben vor den Schran­ken, der Ab­ge­sand­te tritt hin­ein und stellt sich dem Schult­hei­ßen ge­gen­über. Die sym­bo­li­schen Ga­ben, wel­che auf das ge­naus­te nach dem al­ten Her­kom­men ge­for­dert wur­den, be­stan­den ge­wöhn­lich in sol­chen Wa­ren, wo­mit die dar­brin­gen­de Stadt vor­züg­lich zu han­deln pfleg­te. Der Pfef­fer galt gleich­sam für alle Wa­ren, und so brach­te auch hier der Ab­ge­sand­te einen schön gedrech­sel­ten höl­zer­nen Po­kal mit Pfef­fer an­ge­füllt. Über dem­sel­ben la­gen ein paar Hand­schu­he, wun­der­sam ge­schlitzt, mit Sei­de be­steppt und be­quas­tet, als Zei­chen ei­ner ge­stat­te­ten und an­ge­nom­me­nen Ver­güns­ti­gung, des­sen sich auch wohl der Kai­ser selbst in ge­wis­sen Fäl­len be­dien­te. Da­ne­ben sah man ein wei­ßes Stäb­chen, wel­ches vor­mals bei ge­setz­li­chen und ge­richt­li­chen Hand­lun­gen nicht leicht feh­len durf­te. Es wa­ren noch ei­ni­ge klei­ne Sil­ber­mün­zen hin­zu­ge­fügt, und die Stadt Worms brach­te einen al­ten Filz­hut, den sie im­mer wie­der ein­lös­te, so­dass der­sel­be vie­le Jah­re ein Zeu­ge die­ser Ze­re­mo­ni­en ge­we­sen.

      Nach­dem der Ge­sand­te sei­ne An­re­de ge­hal­ten, das Ge­schenk ab­ge­ge­ben, von dem Schult­hei­ßen die Ver­si­che­rung fort­dau­ern­der Be­güns­ti­gung emp­fan­gen, so ent­fern­te er sich aus dem ge­schlos­se­nen Krei­se, die Pfei­fer blie­sen, der Zug ging ab, wie er ge­kom­men war, das Ge­richt ver­folg­te sei­ne Ge­schäf­te, bis der zwei­te und end­lich der drit­te Ge­sand­te ein­ge­führt wur­den: denn sie ka­men erst ei­ni­ge Zeit nach ein­an­der, teils da­mit das Ver­gnü­gen des Pub­li­kums län­ger dau­re, teils auch weil es im­mer die­sel­ben al­ter­tüm­li­chen Vir­tuo­sen wa­ren, wel­che Nürn­berg für sich und sei­ne Mit­städ­te zu un­ter­hal­ten und je­des Jahr an Ort und Stel­le zu brin­gen über­nom­men hat­te.

      Wir Kin­der wa­ren bei die­sem Fes­te be­son­ders in­ter­es­siert, weil es uns nicht we­nig schmei­chel­te, un­sern Groß­va­ter an ei­ner so eh­ren­vol­len Stel­le zu se­hen, und weil wir ge­wöhn­lich noch sel­bi­gen Tag ihn ganz be­schei­den zu be­su­chen pfleg­ten, um, wenn die Groß­mut­ter den Pfef­fer in ihre Ge­würz­la­den ge­schüt­tet hät­te, einen Be­cher und Stäb­chen, ein paar Hand­schuh oder einen al­ten Rä­der-Al­bus zu er­ha­schen. Man konn­te sich die­se sym­bo­li­schen, das Al­ter­tum gleich­sam her­vor­zau­bern­den Ze­re­mo­ni­en nicht er­klä­ren las­sen, ohne in ver­gan­ge­ne Jahr­hun­der­te wie­der zu­rück­ge­führt zu wer­den, ohne sich nach Sit­ten, Ge­bräu­chen und Ge­sin­nun­gen un­se­rer Alt­vor­dern zu er­kun­di­gen, die sich durch wie­der auf­er­stan­de­ne Pfei­fer und Ab­ge­ord­ne­te, ja durch hand­greif­li­che und für uns be­sitz­ba­re Ga­ben auf eine so wun­der­li­che Wei­se ver­ge­gen­wär­tig­ten.

      Sol­chen alt­ehr­wür­di­gen Fei­er­lich­kei­ten folg­te in gu­ter Jahrs­zeit man­ches für uns Kin­der lus­t­rei­che­re Fest au­ßer­halb der Stadt un­ter frei­em Him­mel. An dem rech­ten Ufer des Mains un­ter­wärts, etwa eine hal­be Stun­de vom Tor, quillt ein Schwe­fel­brun­nen, sau­ber ein­ge­fasst und mit ur­al­ten Lin­den um­ge­ben. Nicht weit da­von steht der Hof zu den gu­ten Leu­ten, eh­mals ein um die­ser Quel­le wil­len er­bau­tes Ho­spi­tal. Auf den Ge­mein­wei­den um­her ver­sam­mel­te man zu ei­nem ge­wis­sen Tage des Jah­res die Rind­vieh­her­den aus der Nach­bar­schaft, und die Hir­ten samt ih­ren Mäd­chen fei­er­ten ein länd­li­ches Fest, mit Tanz und Ge­sang, mit man­cher­lei Lust und An­ge­zo­gen­heit. Auf der an­de­ren Sei­te der Stadt lag ein ähn­li­cher, nur grö­ße­rer Ge­mein­de­platz, gleich­falls durch einen Brun­nen und durch noch schö­ne­re Lin­den ge­ziert. Dor­thin trieb man zu Pfings­ten die Schaf­her­den, und zu glei­cher Zeit ließ man die ar­men, ver­bleich­ten Wai­sen­kin­der aus ih­ren Mau­ern ins Freie: denn man soll­te erst spä­ter auf den Ge­dan­ken ge­ra­ten, dass man sol­che ver­las­se­ne Krea­tu­ren, die sich einst durch die Welt durch­zu­hel­fen ge­nö­tigt sind, früh mit der Welt in Ver­bin­dung brin­gen, an­statt sie auf eine trau­ri­ge Wei­se zu he­gen, sie lie­ber gleich zum Die­nen und Dul­den ge­wöh­nen müs­se und alle Ur­sach habe, sie von Kin­des­bei­nen an so­wohl phy­sisch als mo­ra­lisch zu kräf­ti­gen. Die Am­men und Mäg­de, wel­che sich selbst im­mer gern einen Spa­zier­gang be­rei­ten, ver­fehl­ten nicht, von den frühs­ten Zei­ten, uns an der­glei­chen Orte zu tra­gen und zu füh­ren, so­dass die­se länd­li­chen Fes­te wohl mit zu den ers­ten Ein­drücken ge­hö­ren, de­ren ich mich er­in­nern kann.

      Das Haus war in­des­sen fer­tig ge­wor­den, und zwar in ziem­lich kur­z­er Zeit, weil al­les wohl über­legt, vor­be­rei­tet und für die nö­ti­ge Geld­sum­me ge­sorgt war. Wir fan­den uns nun alle wie­der ver­sam­melt und fühl­ten uns be­hag­lich: denn ein wohl­aus­ge­dach­ter Plan, wenn er aus­ge­führt da­steht, lässt al­les ver­ges­sen, was die Mit­tel, um zu die­sem Zweck zu ge­lan­gen, Un­be­que­mes mö­gen ge­habt ha­ben. Das Haus war für eine Pri­vat­woh­nung ge­räu­mig ge­nug, durch­aus hell und hei­ter, die Trep­pe frei, die Vor­sä­le luf­tig, und jene Aus­sicht über die Gär­ten aus meh­re­ren Fens­tern be­quem

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