Die Slowakei und NS-Deutschland. Ludovit Hallon
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Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland ging die Idee des deutschen Großwirtschaftsraums in einen völlig neuen ideologischen und wirtschaftspolitischen Kontext über. Die Führungskräfte der nationalsozialistischen Wirtschaft, darunter die Vertreter des Chemiekonzerns I.G. Farbenindustrie, Max Ilgner6 und Heinrich Gattineau7, und Staatssekretär Wilhelm Keppler8, Siemens-Vertreter Ludwig von Winterfeld, Vertreter der Finanzinstitute Otto Ch. Fischer und Ernst Justus Ruperti und viele andere, übernahmen diese Idee sehr schnell. Die oben genannten Vertreter übernahmen die Leitung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstags (nachfolgend nur "MWT"). Ilgner wurde zum stellvertretenden Vorsitzenden der I.G. Farben.9 Mehrere der oben genannten Volkswirte griffen später in die wirtschaftliche Entwicklung der Slowakei ein. Mit dem Ziel der Überwindung der Krise und des Ankurbelns des wirtschaftlichen Wachstums übernahm Hjalmar Schacht10, Präsident der Reichsbank, das Konzept des deutschen Großwirtschaftsraums bzw. der deutschen Großraumwirtschaft in den „Neuen Plan“ der wirtschaftlichen Entwicklung. Anschließend entwickelte er die Theorie der wirtschaftlichen Ergänzungsräume.11
Für die Vorbereitung des deutschen Vierjahresplans, der durch das Reichsamt für Wirtschaftsausbau unter Hermann Göring erstellt wurde, begann man in der zweite Hälfte der 1930er Jahre den Aufbau des Großwirtschaftsraums in die Praxis umzusetzen. Die Führungskräfte der deutschen Wirtschaft waren sich bewusst, dass, ähnlich wie im Ersten Weltkrieg, im Falle eines neuen Krieges, der zu beginnen drohte, durch die westlichen Großmächte eine Wirtschaftsblockade über Deutschland verhängt werden konnte. Diese Bedrohung verstärkte die Bemühungen zur Autarkie in Mittel- und Südosteuropa. Deutschland wollte in dieser Region genügend Rohstoffe und Lebensmittel für eine Friedenswirtschaft wie auch für die Kriegsführung sichern. Gefragte Rohstoffe und Produkte waren Erdöl, Buntmetalle, Eisenerz, Holz, Getreide, Obst und viele andere Rohstoff- und Lebensmittelarten. Für Importe von Antimon, Magnesit, Holz und landwirtschaftlichen Produkten war das slowakische Gebiet für die deutsche Wirtschaft bereits vor 1939 wichtig.12 Große Erwartungen wurden in die geologische Erschließung neuer Rohstoffressourcen gesetzt. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre formte Deutschland mit den Staaten Südosteuropas neue wirtschaftliche Beziehungen, die auf bilateralen Verträgen, genau festgelegten Kontingenten gegenseitiger Lieferungen und einer Clearing-Abrechnung des Handels- und Zahlungsverkehrs beruhten. Auf diese Weise baute Deutschland die Basis eines neuen internationalen und zur Autarkie führenden Systems der Großraumwirtschaft auf. Nach 1938 erweiterte Deutschland die erwähnten Formen der wirtschaftlichen Beziehungen räumlich in die selbstständige Slowakei und folglich auf Gesamteuropa, sodass ein kontinentales Wirtschaftssystem unter Kontrolle Deutschlands entstand.13
Die Führungskräfte des MWT setzten die wirtschaftlichen Beziehungen in Südosteuropa um. Sie stützten sich dabei auf Interessen und Pläne der Repräsentanten des politischen und wirtschaftlichen Projektes „Kleine Entente“. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre versuchte Milan Hodža, Ministerpräsident der Tschechoslowakei (nachfolgend nur "ČSR"), das Projekt neu zum Leben zu erwecken und zu erweitern. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges traf die Idee des deutschen Großwirtschaftsraums unter deutscher Führung auf den Plan der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der gleichberechtigten Länder Mittel- und Südosteuropas mit düsteren Aussichten zu ihrer politischen Annäherung. Während der wirtschaftspolitische Einfluss Deutschlands zunahm, geriet das Projekt der "Kleinen Entente" im Angesicht der internationalen Entwicklung in die Defensive. Zum Umbau der Innenwirtschaft nach nationalsozialistischen Plänen transformierte Deutschland schnellstmöglich ältere und gründete neue Wirtschaftsorganisationen, -behörden, -körperschaften und -institute, die bereits vor 1939 das Vorhaben der Großraumwirtschaft Mittel- und Südosteuropas zielbewusst umsetzten.14 Sie förderten und erweiterten den Aktionsradius der wirtschaftspolitischen Tätigkeiten des MWT in der Region wesentlich. Während der Zwischenkriegszeit war das Projekt der "Kleinen Entente" eher eine Ideensammlung als dass es praktisch umgesetzt worden wäre. Zum Kampf um den wirtschaftspolitischen Einfluss trat ein harter Konkurrenzkampf zwischen deutschen und tschechischen Konzernen, wobei die tschechischen schlechtere Karten hatten.15
Deutschland setzte auf Mittel- und Südosteuropa für die weitere Rohstoff- und Lebensmittelversorgung, insbesondere in Bezug auf Erdölressourcen. Zu diesem Zweck existierte bereits seit 1936 ein langfristiger Plan des Verbrauchs in Friedenszeiten, der sogenannte N-Fall oder Normalplan, und ein Plan für Kriegsbedarf, der sogenannte Mob-Fall oder Mobilisierungsplan, mit Hochrechnungen bis 1942. Der Plan zur Versorgung mit Erdöl, Buntmetallen sowie anderen Rohstoffen wurde von einem Expertenteam namens "Göring-Krauch-Gruppe" ausgearbeitet. Diese arbeitete unter Hermann Göring und Carl Krauch16, Spitzenkraft der I.G. Farben, der zum Generalbeauftragten für außerordentliche Fragen der chemischen Produktion ernannt wurde. Es ist kaum bekannt, dass Göring im wirtschaftlichen Bereich neben dem Amt des Beauftragten für den Vierjahresplan auch das Amt des Reichsbeauftragten für Rohstoff- und Devisenfragen bekleidete. Im Juli 1938 stellte Krauch einen Rüstungsplan für die Kriegswirtschaft vor, der auch Wehrwirtschaftlicher Neuer Erzeugungsplan oder Carinhall-Plan, nach Görings Anwesen, dem Ort seiner Verabschiedung, genannt wurde. Dessen Autoren sahen eine der wichtigsten Quellen der Versorgung der deutschen Kriegswirtschaft mit Rohstoffen „... in der Einschaltung des Wirtschafts- und Rohstoffgebiets Südosteuropas ... in den Großwirtschaftsraumblock Deutschlands…“17. Die Möglichkeiten der Nutzung des Rohstoffreichtums Mittel- und Südosteuropas waren Forschungsgegenstand mehrerer deutscher Institutionen und Vertreter des Wirtschaftslebens. Zu den Schlüsselfiguren dieser Forschung gehörte Wilhelm Keppler, Staatssekretär und enger Mitarbeiter des MWT, der bereits 1936 von Göring zum Generalsachverständigen für deutsche Roh- und Werkstoffe ernannt wurde. Im Herbst 1938 wurde er mit der Leitung geologischer Forschung und der Auswertung der Reserven an Bodenschätzen in der behandelten Region beauftragt, wobei der Hauptfokus auf Erdöllagerstätten lag. Keppler wurde von Geologen der neu gegründeten Reichsstelle für Bodenforschung unterstützt. Eine weitere wichtige Figur dieser Institution war Prof. Alfred Bentz18, einer der bedeutendsten deutschen Geologen. Bereits 1938/1939 wurde das Gebiet der Slowakei zum wichtigen Objekt der Forschungstätigkeiten der genannten Reichsstelle und ihrer Vertreter, die das Ziel einer Rohstoffnutzung für die Wehrwirtschaft verfolgten.19
Zur selben Zeit, als die Vorbereitungen für die Eingliederung des Großwirtschaftsraums Mittel- und Südosteuropas in die Pläne der deutschen Wehrwirtschaft ihren Höhenpunkt erreichten, begab sich die Slowakei auf den Weg in die Selbstständigkeit. Die Slowakei war aus deutscher Sicht in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Sie wurde zu einem wichtigen Bestandteil der deutschen Pläne zum Aufbau einer Großraumwirtschaft und sollte zu einem Instrument zur Auflösung