Gornerschlucht. Urs W. Käser
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Читать онлайн книгу Gornerschlucht - Urs W. Käser страница 5
»Einfach ein Traum«, sagte Barbara, blieb stehen und schaute in die Runde. Bruno legte ihr einen Arm um die Schulter.
»Ja, wunderschön. Was meinst du zu einem kleinen Kaffee da hinten?« Keine fünfzig Meter entfernt stand das altehrwürdige Hotel Riffelberg. Ein grauer Steinbau, dem rauen Klima hier im Hochgebirge trotzend, bot das Hotel sommers wie winters ihren Gästen eine herrliche Sonnenterrasse mit Blick aufs Matterhorn an.
»Gerne«, erwiderte Barbara, und sie nahmen an einem der vordersten Tische Platz. Blacky hatte keine besondere Freude daran, er wäre lieber gleich losgelaufen. Aber eben, mit so alten Rudelführern musste man sich wohl irgendwie arrangieren…
Eine halbe Stunde später waren sie wieder unterwegs. Der bequeme Weg führte sanft abwärts, weder grosse Steine noch steile Stufen stellten für die betagten Wanderer ein Hindernis dar. Blacky war voll in seinem Element, unermüdlich sprang er vor und zurück und erkundete die Umgebung. Plötzlich blieb Barbara, die voraus ging, stehen.
»Oh, was sehe ich denn da. Eine hübsche Blume, aber was kann das bloss sein? Vom Aussehen her tippe ich auf ein Nelkengewächs.«
Bruno bückte sich und sah die Pflanze genau an. »Korrekt, Barbara, es ist ein Nelkengewächs. Die Alpen-Pechnelke, Silene suecica. Nur fünfzehn Zentimeter gross, aber mit einem ganzen Büschel von sehr hübschen, pinkfarbenen Blüten. Eine ziemlich seltene Blume, ich habe sie bisher erst zweimal gesehen. Wunderschön!«
Bruno zückte seinen Fotoapparat und machte mehrere Aufnahmen der seltenen Pflanze.
Kurz darauf erreichten sie eine Wegkreuzung. Der knallgelbe Wegweiser war nicht zu übersehen. Links ging es in Richtung Gornergrat, rechts zur Riffelalp, und geradeaus steil hinunter zur Gornerschlucht. Blacky war stehen geblieben und hechelte in der dünnen Bergluft heftig vor sich hin. Barbara hatte noch eine blaue Blume genauer studiert und kam etwas später hinzu.
»Ein wunderschöner Weg«, rühmte sie, »ich nehme an, wir gehen in Richtung Riffelalp weiter?«
»Okay«, sagte Bruno, aber statt weiterzugehen, hielt er noch sein Fernglas vor die Augen. »Moment mal, die Frau dort kenne ich doch von irgendwoher.«
Auch Barbara zückte ihr Fernglas. »Natürlich, das ist unsere Berner Stadträtin vom Sozialdepartement, aber wie heisst sie schon gleich?« Eine Frau mittleren Alters kam ihnen auf dem Weg vom Gornergrat her entgegen.
»Jetzt habe ich es«, sagte Bruno, »sie heisst Nora von Graffenried, Vertreterin eines altehrwürdigen Berner Adelsgeschlechtes. Was meinst du: Sollen wir sie kurz ansprechen?«
»Warum eigentlich nicht, wenn sie schon allein unterwegs ist? Sie macht doch eine super Politik und ist kontaktfreudig.«
Bruno und Barbara stellten sich vor, und die Stadträtin freute sich über einen kleinen Schwatz in der vertrauten Berner Mundart.
Walter Werlen, Gemeindepräsident von Zermatt, verliess Punkt zwölf Uhr sein Büro in der Gemeindeverwaltung, die sich im hinteren Teil des Dorfes, direkt neben der Kirche, befand. Er pfiff leise ein altes Volkslied vor sich hin, während er die lange Bahnhofstrasse hinunter ging. Er war mit seinem langjährigen Freund Pirmin Perren zum Lunch verabredet. Sie waren schon zusammen zur Schule gegangen und hatten beide ihr ganzes Leben in Zermatt verbracht. Werlen war rundum zufrieden. Nach einem neuen Rekord in der vergangenen Wintersaison hatte auch die touristische Sommersaison ausgezeichnet begonnen. Natürlich spielte auch das meist schöne Wetter eine Rolle. Die einheimische Wirtschaft florierte, die politische Landschaft im Dorf war stabil, und sogar in Werlens Familie herrschte überwiegend Sonnenschein. Wie fast zu jeder Tages- und Abendzeit war auf der Bahnhofstrasse, der eigentlichen Flaniermeile von Zermatt, ein reger Fussgängerstrom in beiden Richtungen unterwegs. Auf einer Strecke von fast einem Kilometer reihte sich beinahe Restaurant an Restaurant, Laden an Laden und Boutique an Boutique. Autos waren in Zermatt verboten, dafür kurvten unzählige Elektromobile durch die teilweise engen Gassen, was für die Fussgänger auch zu gefährlichen Situationen führen konnte.
Werlen betrat die Walliserkanne, eines der traditionellen Restaurants des Dorfes, und schaute sich um. Am zweithintersten Tisch entdeckte er Perren, in eine Zeitung vertieft, und ging zu ihm hinüber.
»Grüss dich, Pirmin.«
Der Angesprochene erhob sich, und die zwei grossen, leicht korpulenten Männer drückten sich kräftig die Hand. »Walter, wie geht’s?«
Der Gemeindepräsident lächelte. »Ach, richtig gut, darf ich sagen. Zurzeit läuft einfach alles irgendwie rund, fast wie von selbst. Komm, setzen wir uns doch, ich spendiere einen Aperitif. Oder lieber ein Bier?«
»Oh ja, gerne.«
»Zwei Glas Bier bitte!«, rief Walter in Richtung Theke. »Und, wie läuft’s bei dir im Geschäft, Pirmin?«
»Ehm, wie soll ich das jetzt ausdrücken? Eigentlich müsste es sehr gut laufen. Die Aufträge sind da, die Nachfrage nach Sanitärinstallationen steigt eher noch an. Und doch… die Geschichte mit diesem, du weisst schon…«
Werlen hob seine Augenbrauen. »Du meinst… Vontobel?«
Perren nickte. »Das hat mir beinahe den letzten Nerv ausgerissen. Und natürlich ein erhebliches Loch in die Kasse geschlagen. Auf gut Deutsch gesagt, ist das ein schamloser Abzocker, auch wenn ihn nie jemand dafür ins Gefängnis wird bringen können.«
»Oh, so krass hast du das erlebt?«, erwiderte Werlen betroffen.
Perren zuckte mit den Achseln. »Na, was soll‘s. Ich hoffe, wenigstens etwas gelernt zu haben. In Zukunft werde ich viel genauer hinschauen, bevor ich einen Kreditvertrag unterzeichne!«
»Und trotzdem, Prost, Pirmin!« Sie stiessen mit den Biergläsern an.
Walter Werlen studierte die Speisekarte. »Hast du schon gewählt, Pirmin?«
»Ich nehme Menu eins, die Walliser Käseschnitte mit Salat.«
»Ja, doch, da kann ich mich anschliessen. Und natürlich einen kühlen Weissen dazu. Schau mal, wer da noch kommt. Tag Klara!«
Klara Kalbermatten, die Chefin von Zermatt Tourismus, war an ihren Tisch getreten. »Seid gegrüsst, Walter und Pirmin. Vertrauliche Besprechung?«
»Nein, überhaupt nicht, setz dich doch zu uns«, erwiderte Werlen, »und als Gemeindepräsident kann ich dir die Käseschnitte mit einem Glas Weissen empfehlen.«
Klara, eine grosse, stämmige Frau mit kurzen grauen Haaren, setzte sich lachend. »So, so, hast du etwa Aktien bei der Walliserkanne?«
Walter grinste. »Du weisst doch, dass ich sozusagen überall beteiligt bin. Meinst du, ich sei sonst in mein Amt gewählt worden? Übrigens, Klara, gerade vorher, auf dem Weg hierhin, habe ich zu mir selbst gesagt, wie glücklich wir alle sein können. Alles läuft in diesem Jahr so rund in Zermatt.«
Klara