Das Komplott der Senatoren. Hansjörg Anderegg

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Das Komplott der Senatoren - Hansjörg Anderegg

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gesehen haben. Er rief etwas Unverständliches, das ziemlich unwirsch klang. Russisch, vermutete Lee, dem nichts Besseres einfiel, als sich möglichst klein zu machen. Er beugte sich vornüber, als suchte er etwas am Boden und streckte dem Fremden seinen Allerwertesten entgegen. Wieder sprach der Mann zu seinem Hintern. Russisch, definitiv, und ohne zu überlegen, was er tat, antwortete Lee mit dem einzigen russischen Wort, das er kannte, James Bond sei Dank: »Da, da!« – »Ja, ja!«. Der andere lachte heiser und verließ das Deckhaus. Klopfenden Herzens begann Lee mit seiner Suche nach einer Unterkunft.

      Für einmal hatte er Glück. Zwei Treppen höher stieß er auf eine Reihe offensichtlich unbenutzter Kabinen. Er wählte das Zimmer in der Nähe des Treppenhauses aus, das ihm die beste Fluchtmöglichkeit bot. Auf der eisernen Pritsche lag ein fleckiger, dünner Stofffetzen. Immerhin eine Matratze, dachte er grimmig. Ein Tischchen mit einem Plastikstuhl stand festgeschraubt in der Ecke, und durch ein winziges Bullauge fiel gerade soviel Licht, dass er die Taschenlampe nicht brauchte. In der engen Kabine war kein Platz für Annehmlichkeiten wie eine Dusche, aber zu seiner freudigen Überraschung fand er hinter einer Tür ein funktionierendes WC und ein Waschbecken, kaum größer als eine Kaffeetasse. Hier würde er zwei, drei Tage überleben, sollte es keinen anderen Ausweg geben. Zum ersten Mal an diesem Morgen fühlte er sich einigermaßen wohl und sicher. Er setzte sich auf die schmierige Matratze und schaltete das Handy ein. Kein Antennensignal, wie befürchtet. Sie waren weit entfernt von jeder Küste, und so würde es wohl noch lange bleiben. Er konnte nichts anderes tun, als warten, bis es dunkel wurde. Nachts würde der größte Teil der Besatzung schlafen. Die Gefahr, entdeckt zu werden müsste dann wesentlich geringer sein. Er streckte sich auf dem unbequemen Bett aus, schaute den vorbeiziehenden Wolken durch das Bullauge zu und überlegte sich die nächsten Schritte. Das gleichmäßige Stampfen und Brummen der Maschinen schläferte ihn allmählich ein. Er schloss die Augen.

      Als er erwachte, war es stockdunkel in der Kabine. Erschrocken schaute er auf das Display seines Telefons. Halb zwölf Uhr nachts, Kochi Time. Er war jetzt mehr als vierundzwanzig Stunden auf diesem elenden Frachter.

      Sein knurrender Magen ließ ihm keine Wahl: es war Zeit für seine nächtliche Entdeckungsreise. Geräuschlos und zielsicher wie eine Schiffsratte arbeitete er sich nach oben. Er nahm an, dass sich Küche und Aufenthaltsräume in der Nähe der Brücke befinden mussten. Mehr als einmal zog er sich in dunkle Nischen zurück, weil er glaubte, Schritte oder Stimmen zu hören. Acht Treppen lagen hinter ihm. Wenn er sich nicht irrte, befand er sich jetzt auf Deck fünf, ein Stockwerk unter der Brücke. Er huschte an einer offenen Tür vorbei. Der Raum dahinter war dunkel, aber er blieb wie elektrisiert stehen, als er die leuchtenden Armaturen bemerkte. Kurz entschlossen glitt er hinein. Sein Puls beschleunigte sich, als er den Computer sah, der neben der Funkanlage auf dem Tisch stand. Er bewegte die Maus ein wenig. Der Bildschirm erwachte zum Leben und präsentierte ihm das bekannte Bild des Webbrowsers. Er unterdrückte einen freudigen Ausruf, denn es sah ganz danach aus, dass dieser PC mit dem Internet verbunden war, wohl über das Satellitentelefon des Schiffs. Über die Tastatur gebeugt, tippte er die Adresse seines Webmail-Dienstes ein, doch plötzlich zerriss ein lauter Summer die Stille der Nacht und ein rotes Licht begann aufgeregt zu blinken. Als hätte ihn eine Schlange gebissen, zuckte er zurück, hetzte aus dem Funkraum, um die nächste Ecke, gerade rechtzeitig, dass ihn der herbeieilende Wachoffizier nicht bemerkte. Das war knapp, aber er hatte jetzt das Tor zur Welt gesehen. Er wagte erst einen Blick in den Korridor, als er hörte, wie sich der Mann wieder entfernte. Eine Tür am Ende des Flurs ging auf, ein Matrose trat mit einer Tasse in der Hand zum Offizier und wechselte ein paar Worte mit ihm. Lee wartete, bis die beiden verschwunden waren, dann huschte er zur verheißungsvollen Tür, horchte angestrengt, atmete tief durch und öffnete sie schließlich. Vor ihm lag das Paradies, er stand in der Küche, allein unter auserlesenen Köstlichkeiten wie grasgrünen Äpfeln, hartem Käse und trockenem Brot. Eine dicke Thermoskanne mit warmem Tee stand auf der Anrichte. Gierig trank er eine Tasse um die andere, bevor er sich die Taschen mit Esswaren vollstopfte und vorsichtig wieder zur Tür hinaus schlüpfte.

      Morgen. In seinem geistigen Logbuch machte er den betrüblichen Eintrag: 09:00, der dritte Tag! Küste gesehen. Immer noch keine Kommunikation. Kurs Nord. Wenn er nur wenigstens einen Blick auf das Navigationsgerät werfen könnte. Ein paar Mal war er versucht, die Brücke zu betreten und seine Tarnung auffliegen zu lassen, nur um endlich zu erfahren, wo sie sich, verdammt noch mal, eigentlich befanden. Zwei Tage nach Westen, jetzt ziemlich genau nach Norden. Er versuchte sich die Landkarte der Golfregion vorzustellen. Oft genug hatte er sie in den Nachrichten gesehen, aber nie wirklich hingeschaut. Ein paar Klicks auf seinen Handy-Bildschirm hätten genügt, um ihm genau zu zeigen, wo er war, aber ohne Verbindung ins Netz nützte ihm auch das GPS-Modul herzlich wenig. 21°34’21.05«N 37°54’34.41«E, wusste der Geier, welch gottverlassene Gegend das war, das Rote Meer? Er hatte die ersten sechzig Stunden in seinem seltsamen Gefängnis erstaunlich problemlos überlebt, umso mehr ärgerte ihn, tatenlos herumsitzen zu müssen. Höchst unzufrieden mit sich und der Welt tigerte er in der engen Kabine hin und her, schaute manchmal durchs Bullauge aufs immer gleiche Bild. Brillant blaues Wasser, strahlend blauer Himmel mit fernen Quellwolken und ein Horizont, dessen verschwommene Linie ebenso gut ein Küstenstreifen sein konnte.

      Wieder näherte er sich dem runden Fenster, als ihn der durchdringende Ton eines Schiffshorns erstarren ließ. Das Horn eines anderen Schiffs. Wie es sich gehörte, antwortete die Spassky mit ihrem Signal. Gleich danach schob sich ein gewaltiges Transportschiff in hundert oder zweihundert Metern Abstand langsam am Frachter vorbei. Es war nicht das erste Schiff, das ihnen begegnete, aber das erste der U.S. Navy. US, die beiden Buchstaben ließen sein Herz höher schlagen. Er war versucht, augenblicklich aufs Deck hinaus zu rennen, wild zu gestikulieren, zu rufen, um die Boys auf sich aufmerksam zu machen, ein hoffnungsloses Unterfangen. Hilfe war so nah und doch unerreichbar. Wütend griff er zur Taschenlampe und begann, Lichtzeichen zu senden. Dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz, immer wieder, bis das Schiff aus seiner Heimat nicht mehr zu sehen war. Schließlich ließ er die Lampe entmutigt auf den Tisch sinken und verkroch sich auf die Pritsche.

      Am Morgen des vierten Tages weckten ihn die Schmerzen in seinem Rücken. Die verkrampfte Haltung auf dem Lotterbett würde ihn umbringen, sollte er noch eine Nacht in dieser Zelle verbringen müssen. Er begriff allmählich, wie sich Lagerkoller oder Höhlenkoller anfühlte. Steif wankte er zur Toilette. Er spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, als jemand plötzlich hart an seine Kabinentür polterte. Sein Atem stockte. Blitzschnell zog er die Toilettentür hinter sich zu. Wieder krachte es. Es hörte sich nicht wie gewöhnliches Klopfen an, eher als versuchte jemand mit schweren Stiefeln die Tür einzutreten. Seine Nackenhaare sträubten sich, als er erkannte, wie sinnlos es war, sich in diesem besseren Einbauschrank zu verstecken. Wenn sie in die Kabine kamen, würden sie ihn auf jeden Fall finden, und überdies lag sein Handy auf dem Tisch. Verfluchte Scheiße!, er konnte ihnen ebenso gut selbst die Tür öffnen. Er stieß die WC-Tür vorsichtig auf und lauschte. Das Poltern hatte aufgehört, er vernahm nur noch entferntes Wimmern. Wimmern? Eher das verhaltene Heulen eines Motors. Ein Staubsauger? Was auch immer es war, das Geräusch entfernte sich rasch und verstummte bald. Während er noch immer ungläubig auf die Tür starrte, piepste es unvermittelt in seinem Rücken. Er fuhr herum, als hätte ihn jemand angesprochen. Sein Telefon meldete sich. Die Piepser eintreffender Meldungen wollten nicht enden. Er war auf Empfang! Mit einem Satz war er beim Tisch, schnappte das Handy und wählte die Nummer seines Kollegen Ingo. Gleichzeitig holte er die GPS Applikation auf den Bildschirm und beobachtete gespannt, wie sich die Landkarte aufbaute. Nach ein paar Sekunden wusste er endlich, wo sich das Schiff befand.

      »Lee, verdammt, wo zum Teufel steckst du eigentlich?«, meldete sich ein aufgebrachter Ingo. »Die ganze Welt sucht dich seit Tagen. Wir haben eine Vermisstmeldung aufgegeben. Du hast uns eine Scheißangst eingejagt. Was ist los mit dir?«

      »Ingo, beruhige dich. Von wegen Scheißangst. Ich habe eine lange Geschichte zu erzählen. Ich bin im Suezkanal, auf der – hallo?« Fassungslos schaute er auf das Display: keine Antenne mehr, die Verbindung abgebrochen.

      So sehr er sich bemühte, es kam kein weiteres Gespräch zustande. Stimmte seine Karte,

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