Das Komplott der Senatoren. Hansjörg Anderegg

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Das Komplott der Senatoren - Hansjörg Anderegg

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sollte, während Scott einfach wartete. Sein Schweigen setzte sie mehr als jede Frage unter Druck.

      Schließlich sagte sie fast unhörbar: »Lee kommt nächste Woche zurück.«

      »Schön, das ist gut.«

      »Und ich freue mich gar nicht«, fuhr sie fort, als hätte sie ihn nicht gehört. Scott schien nicht überrascht. Er fragte nur:

      »Warum?«

      »Ich – weiß es selbst nicht«, murmelte sie in Gedanken versunken. »Es ist, als lese ich von der Reise eines Fremden. Ich nehme sie zur Kenntnis, aber sie berührt mich nicht.«

      »Vermisst du ihn?« Typisch Scott. Diese Frage verlangte ein klares Ja oder Nein. Sie ließ keine Ausflüchte zu wie »liebst du ihn?« oder andere Allgemeinplätze. Sie ließ sich lange Zeit mit der Antwort. Was würde sich ändern wenn er wieder in Chicago wohnte? Sicher, sie würden sich ab und zu in einem teuren Restaurant gegenübersitzen, manchmal im Bett landen, aber sonst würde jeder sein Leben weiterführen wie bisher. Hatte sie ihn vermisst? Sie schüttelte den Kopf und sagte mit fester Stimme:

      »Nein, wenn ich ehrlich bin, habe ich Lee nicht vermisst.«

      »Was meinst du, wie denkt er darüber?«

      Sie wusste es nicht. Sie fühlte sich stets zu ihm hingezogen, wenn sie zusammen waren, aber im Grunde kannte sie ihn nur oberflächlich, und das Gleiche galt wohl für ihn. Ihre Seelen hatten sich noch nicht gefunden.

      »Wir sind verlobt«, sagte sie traurig.

      »Die Gefühle sind wichtiger.«

      »Ich weiß, aber – ach ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.« Er nahm ihre Hand und schaute ihr eindringlich in die Augen.

      »Sag ihm einfach, was du mir gesagt hast«, riet er.

      »So einfach ist das nicht«, murmelte sie tonlos, aber sie wusste, dass es ein guter Rat war.

      Nach dem misslungenen Training fuhr sie nicht zu ihrem Apartment, sondern gleich nach Lincoln Park, an die exklusive Cleveland Avenue zum Haus ihrer Eltern. Einmal in der Woche trafen sich die Familienmitglieder, die es einrichten konnten, zum Dinner in der mit reichen Ornamenten und Zwiebeltürmchen verzierten viktorianischen Villa der Douglas’. Jedesmal, wenn sie durch den kleinen Vorgarten auf das Haus zuschritt, in dem sie aufgewachsen war, stellten sich die gleichen, widerstrebenden Gefühle ein. Oben der Himmel, das Paradies mit ihrem Zimmer, wo alles stimmte, wo sie sich noch immer sofort zu Hause fühlte, wenn sie es betrat, und unten die kalten, strengen, kaum geschmückten Räume, wo sich das offizielle Leben der Familie des Senators abspielte. Das Erdgeschoss erinnerte eher an das kahle Innere einer calvinistischen Kirche, und das war wohl auch die Absicht des streng presbyterianischen Patriarchen.

      Ihre Mutter öffnete die Tür, bevor sie die sechs Stufen der Eingangstreppe erklommen hatte. »Gott sei Dank, dass wenigstens du Zeit hast«, rief sie erfreut.

      »Sind wir allein?«

      »Ja, Vater war kurz da, musste aber gleich wieder weg. Irgend ein Geschäftsessen im Lincoln Park.« Der Senator hielt seine Sitzungen mit Vorliebe im nahen Lincoln Park Jachtklub ab, wenn er in der Stadt war, nicht selten verbunden mit einer ausgedehnten Bootsfahrt auf dem Michigansee. Anna umarmte ihre Mutter und sie gingen ins Haus. Täuschte sie sich, oder registrierte ihre empfindliche Nase einen feinen Geruch nach Alkohol? Sollte die alte Krankheit wieder ausgebrochen sein? Sie blieb stehen und schaute ihre Mutter besorgt an.

      »Was ist los?«

      »Ma, hast du getrunken?«

      Myra wandte sich unwirsch ab und ging in die Küche. »Dummes Zeug, ich habe nur den Wein probiert«, sagte sie, ohne sie anzusehen.

      »Aber – das sollst du doch nicht. Du weiß, wie …«

      »Willst du dich mit mir streiten oder hilfst du mir in der Küche?« Sie gab auf und schwieg. Streit mit der Mutter war so ziemlich das Letzte, was sie jetzt brauchte. Nachdem sie den Tisch gedeckt hatte, bemerkte sie beiläufig:

      »Dad ist sehr oft abwesend, nicht wahr?«

      »Ich sehe ihn jeden Sonntag in der Kirche«, antwortete ihre Mutter mit einem bitteren Lächeln. Anna unterdrückte eine Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag. Sie aßen schweigend. Die Fragen blieben unausgesprochen, bis Myra zögernd feststellte:

      »Du bist so still, Liebes. Geht es dir gut?«

      Anna schreckte aus ihren Gedanken auf, lächelte beruhigend und antwortete: »Ja, alles in Ordnung. Es geht mir gut, ich bin nur etwas müde.« Sie wollte ihre Mutter nicht mit ihrem Entschluss belasten. Sie würde noch früh genug erfahren, dass die Hochzeit ihrer ältesten Tochter ins Wasser fiele. Sie wusste nur immer noch nicht, wie sie es Lee beibringen sollte.

      Business District, Washington D

      Allmählich wurde es Marion zu bunt. Warum musste sich der naive Schönling vom One To One ausgerechnet in sie vergucken? Er war viel zu jung für sie, was sie so natürlich niemals äußern würde, und überhaupt hatte sie weder Lust noch Zeit, ihren gescheiterten Affären gleich noch eine anzuhängen. Sie war ein Arbeitstier, eine Sklavin der vornehmen Senior Partner von Garrah, McKenzie, getrieben von der zweifelhaften Hoffnung, eines Tages ebenso bedeutend und stinkreich zu werden wie ihr Boss Peter. Der gute Dennis im Fitnesscenter hatte ja keine Ahnung vom wirklichen Leben in Washingtons Business District. Normale Leute machten sich um sieben Uhr abends nach dem Training auf den Heimweg, aber ihr Leben verlief alles andere als normal. Die Sporttasche in der einen, den heißen Starbucks-Becher in der anderen Hand, eilte sie die zwei Blocks bis zur achtzehnten Strasse zu ihrem Büroturm.

      Sie streifte die Kiste neben ihrem Pult am Fenster mit einem bösen Blick. Am liebsten hätte sie den Inhalt unbesehen dorthin gekippt, wo er ihrer Meinung nach hingehörte, in den Abfalleimer. Aber der selige Senator O’Sullivan war stets ein guter Kunde der Kanzlei gewesen und Peter wollte, dass es auch mit seinem Sohn und Erben so weiterging. Das Vollzeitpensum ihrer anderen Dossiers änderte nichts daran, dass sie diese Aufräumarbeiten, dieses Stochern im Nachlass des Senators nebenbei auch noch erledigen durfte. So stand diese blöde Kiste nun seit Wochen neben ihrem Schreibtisch und wartete jeden Abend darauf, dass sie sich ihrer liebevoll annahm. Sie schaute hinaus zu den Fenstern des Geschäftshauses jenseits der Strasse und schmunzelte. Ihr unbekannter Leidensgenosse genau gegenüber saß an seinem Arbeitsplatz. Wie sie würde er wohl auch heute Nacht als Letzter das Licht auf der neunten Etage löschen.

      Mit einem Seufzer warf sie den leeren Becher in den Papierkorb und schloss die Kiste auf. Die finanziellen Angelegenheiten des Verblichenen waren wesentlich komplexer als erwartet. Sie überblickte die Verpflichtungen und Außenstände noch immer nicht vollständig, und es gab Zahlungen, die dem Privatkonto des Senators jedes Quartal gutgeschrieben wurden, deren Ursprung völlig im Dunkeln lag. Sie hatte sich vorgenommen, diesen Geldflüssen heute nachzugehen. Einmal musste sie wohl in den sauren Apfel beißen. Als sie den Ordner mit den Kontoauszügen herausnehmen wollte, fiel ihr Blick auf die beiden Handys des Senators, und ihre Miene hellte sich auf. In den gespeicherten Daten der Telefone zu stöbern machte entschieden mehr Spaß, als endlose Zahlenreihen zu studieren. Sie schaltete das erste Gerät ein. Im Adressbuch standen im wesentlichen Namen und Nummern von Kongressabgeordneten, ihren Büros und die Daten von Firmen, mehrheitlich Energiekonzerne und Kraftwerkbetreiber. Big Coal in Arizona war prominent vertreten, wie sie feststellte. Es war O’Sullivans Geschäftstelefon, und sie fand auch in den Anruflisten keine Hinweise auf die Herkunft der Zahlungen. Belanglos, sie legte es weg, schaltete das zweite

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