Im Westen geht die Sonne unter. Hansjörg Anderegg

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Im Westen geht die Sonne unter - Hansjörg Anderegg

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Das schwarze Schaf der Familie.«

      »Verstehe. Nicht gerade der Sohn, den sich ein Vater wünscht, oder so ähnlich.«

      Sie schmunzelte. »Ja, davon kannst du ja auch ein Lied singen, glaube ich. Aber Ma stand ihrem jüngeren Bruder sehr nahe. Sie war wohl eine Art zweite Mutter für ihn. Hat ihn trotzdem nicht lange in Weymouth gehalten.«

      »Im Gegensatz zu dir«, lachte er. »Ich fürchte, du schlägst dort Wurzeln.«

      »Was dagegen?«, gab sie gereizt zurück.

      »Nein, natürlich nicht. Es ist eine schöne Gegend, nur fehlt die passende Uni.«

      »Die braucht zum Glück nicht jeder.«

      Er warf ihr einen betroffenen Blick zu. »He, tut mir leid, ich wollte …«

      »Schon gut. Ich muss mich entschuldigen. Die Nachricht hat mich wohl doch etwas aus der Bahn geworfen. Schade um deine schöne Vorstellung. Die war wirklich Spitze.«

      Er grinste zufrieden. »Hätte besser sein können, aber wenn du es sagst.« Sie hatte ihn unaufgefordert gelobt, und ihrem Gesicht nach zu urteilen, meinte sie es ehrlich. Was wollte er mehr? Ach ja, fast hätte er es vergessen: Punkt zwei. Den würde er heute wohl nicht mehr abhaken.

      Macao, Volksrepublik China

      Der Airbus der ›Air Macau‹ mit dem eidottergelben Rumpf setzte zur Landung an. Danny Chen saß zusammengesunken in seinem unbequemen Sessel dösend am Fenster. Der Anflug auf die scheinbar im Meer schwimmende Piste vor der Insel Taipa mit der Skyline der glitzernden Kasinowelt am Horizont beeindruckte ihn nicht mehr. Der kurze Flug von Taipeh nach Macao war für ihn längst zur Routine geworden. Mindestens jeden Monat, manchmal jedes Wochenende, saß er in einem solchen Flugzeug und kannte nur ein Ziel: so schnell wie möglich ins ›New Century‹ im Norden der Insel. Das alte Taipa-Village, die schöne Architektur der früheren Kolonialherren, die belebten Gassen und schattigen Plätze, die sich ebenso gut in der Altstadt von Faro hätten befinden können, all das reizte ihn nicht im geringsten. Ihn zogen nur die Spielhöllen des chinesischen Las Vegas an. Danny war spielsüchtig. Er wusste es, und er hatte vor langer Zeit aufgegeben, sich darüber aufzuregen. Schließlich litt niemand darunter, höchstens er selbst von Zeit zu Zeit. Als gut verdienender Elektronik-Ingenieur und leidenschaftlicher Single konnte er sein Geld zum Fenster hinauswerfen, wann und wo er wollte. Macao war nur einen Katzensprung von Taiwan entfernt, wo er lebte und arbeitete. Er machte am Freitag etwas früher Schluss im Büro und stand kurz nach sechs schon in der Lobby des ›Century‹. Taipeh und Macao lagen in der gleichen Zeitzone, es herrschte sogar meistens die gleiche Temperatur, die gleiche Luftfeuchtigkeit, das gleiche langweilige Wetter. Und die Leute verstanden seinen taiwanischen Dialekt ohne Probleme. Er brauchte sich in keiner Weise umzustellen, aber selbst wenn man ihn am Flughafen bis auf die Unterhosen gefilzt hätte, er wäre nicht weniger häufig hier aufgetaucht. Die Anziehungskraft der Roulette- und Baccara-Tische war einfach zu groß.

      Das Hotel erinnerte ihn jedes Mal lebhaft ans ›Bellagio‹ in Las Vegas – das Einzige, was ihn am ›New Century‹ störte. Sonst war es ein Kasinokomplex wie jeder andere, mit dem Vorteil der Flughafennähe und des kostenlosen Frühstücksbüfetts. Auf die Erinnerung an die fünf Jahre in den Vereinigten Staaten hätte er liebend gerne verzichtet. Kalifornien war seither nichts anderes als das Symbol seiner zerstörten Träume. Er bezog sein Zimmer und bahnte sich wenig später den Weg durch das Volk zu den Spieltischen. Die meisten Besucher waren Festlandchinesen, darunter erstaunlich viele Frauen. Neureiche Geschäftsfrauen, wie er unschwer am kostbaren Goldschmuck erkannte, die hier an einem Abend soviel verzockten, wie er im ganzen Leben nicht. Anfangs konnte er sich nicht erklären, wie die Leute soviel Geld über die Grenze in die Sonderwirtschaftszone schleppten, bis ihm einer der Croupiers das Geheimnis verriet. ›Junket Operator‹ hieß das Zauberwort. Vergnügungsspezialisten, VIP-Betreuer, die für die Kasinos arbeiteten, in Wirklichkeit nichts anderes waren als Kredithaie. Sie versorgten die betuchten Festlandchinesen gegen fette Provision mit Tonnen von Spielchips auf Kredit und kassierten die Schulden über ihre Hintermänner jenseits der Grenze wieder ein. Ein Milliardengeschäft, an dem Danny bis anhin noch nicht beteiligt war. Ihn hatte noch niemand als VIP entdeckt. War wohl auch besser so.

      Er beachtete die Mädchen mit den Drinks nicht, wie die meisten Spieler, und setzte sich an einen Tisch. ›Punto Banco‹ spielte er normalerweise, ein reines Glücksspiel, dessen Verlauf nur von den zufällig gezogenen Karten abhing. Er setzte 500 Pataca auf die Bank und zwang sich zur Ruhe.

      »Sechs für den Spieler, drei für die Bank«, verkündete der Croupier, nachdem die ersten Karten ausgeteilt waren und offen auf dem Tisch lagen. Konzentriert und beinahe geräuschlos machten die Spieler ihre Züge, wie die Regeln vorschrieben. Die Atmosphäre an den Tischen erinnerte ihn manchmal an die angespannte Ruhe in einem Prüfungszimmer. Ebenso diszipliniert wie sie die Spielregeln befolgten, steckten die Zocker ihre Verluste weg. Das Glück war eben anderweitig beschäftigt. Nach ein, zwei Spielen nahm er selbst die Umgebung kaum mehr wahr. Einzig der Croupier mit seinem Kartenschlitten und der Holzpalette war wichtig. Und natürlich die Karten. Er interessierte sich nicht für die Gesichter um ihn herum. Es waren ohnehin immer dieselben, wie ihm schien.

      Um Mitternacht hatten sich seine Chips nahezu verdoppelt – ein ganz neues Gefühl für ihn. Ein Rausch, als hätte er all die Drinks in sich hineingeschüttet, die an ihm vorbeigezogen waren. Keine Spur vom Kater, der sich sonst um diese Zeit bemerkbar machte. Heute bezwang er die Spielbank. Er war stark wie ein Drache. Aufhören kam nicht infrage. Samstag war der übliche Tag fürs Roulette, aber warum sollte er warten? Schließlich war es seit zehn Minuten Samstag. Er näherte sich den langen, grünen Tischen, als ihn eine samtweiche Stimme in seinem Rücken ansprach:

      »Sie haben großes Glück heute Abend, Dr. Chen.«

      Verblüfft drehte er sich um. Die Stimme gehörte einer zierlichen jungen Frau, die ihn freudig und auffordernd anlächelte, als wären sie alte Bekannte. Ihr schlanker, betont sportlicher Körper steckte in einem hoch geschlitzten blutroten Seiden-Cheongsam mit aufgestickten goldenen Drachenmotiven. Das Kleid allein sah teurer aus als der ansehnliche Berg Chips den er in seiner Tasche trug. Ihr rabenschwarz glänzendes Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr bis fast zum Po hinunter reichte. Die Erscheinung verunsicherte ihn zutiefst. Er konnte sie nicht einordnen. Sie passte in keine seiner bekannten Kategorien. Garderobe und Goldschmuck deuteten auf eine der Neureichen, für die er nicht sonderlich viel übrig hatte. Der schlanke Körper aber entpuppte sich auf den zweiten Blick als raffiniert verhülltes Muskelpaket einer Spitzenturnerin. Vollends verwirrte ihn das Gesicht der Frau. Sanfte, sinnliche Lippen, tadellos geschminkt in der Farbe des Kleides, strahlend weiße Zähne, die nicht die kleinste Unregelmäßigkeit zeigten, aber nachtschwarze, undurchdringliche Augen, die ihn auf der Stelle festnagelten und beinahe in die Knie zwangen, als hätte sie ihn im Würgegriff. Er schnappte nach Luft, bevor er mit heiserer Stimme fragte:

      »Entschuldigung, kennen wir uns?«

      Sie lachte. Es war ein warmes, melodiöses Lachen, das gar nicht zu ihrem hypnotischen Blick passte. »Jetzt schon«, antwortete sie. »Verzeihen Sie, dass ich Sie so überfalle. Mein Name ist Mei Tan.« Sie senkte ihre Stimme, dass die Umstehenden nicht zuhören konnten. »Herr Stanley Wu möchte etwas Wichtiges mit Ihnen besprechen.«

      Der Name elektrisierte ihn. Jeder Spieler kannte ihn. Er war beinahe so berühmt, oder besser berüchtigt, wie der Name des unbestrittenen Königs von Macao, Stanley Ho, dessen silbergrauen Rolls-Royce mit dem Kennzeichen ›HK 1‹ man früher oft in der Stadt gesehen hatte. Auch Wu sagte man unermesslichen Reichtum nach. Wenn Stanley Wu einen zu sprechen wünschte, lehnte man nicht ab. So einfach war das. Beinahe hätte er den Namen vor Überraschung laut ausgerufen. Im letzten Moment hielt er sich zurück, zwang sich innerlich zur Ruhe. Man redete nicht laut

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