Im Westen geht die Sonne unter. Hansjörg Anderegg

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Im Westen geht die Sonne unter - Hansjörg Anderegg страница 9

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Im Westen geht die Sonne unter - Hansjörg Anderegg

Скачать книгу

Mit anzüglichem Grinsen machte er weiter, hörte nicht auf, bis auch der Letzte sich krümmte. Es war das Siegesritual im Handelsraum von ES&Co. Der Tanz des Triumphators, eingeführt vom damals blutjungen Chefhändler Robert Bauer, als er das erste Mal so richtig zugeschlagen hatte.

      »War ganz schön knapp heute Morgen«, meinte Charlotte später beim Mittagessen im ›Zeughauskeller‹.

      »Knapp? Wir hatten noch fast eine Minute.«

      »Bist ja echt gut drauf.«

      »So ist es, meine Liebe. So gut, dass ich mich die ganze Zeit frage, was ich mit dem freien Nachmittag anfangen soll.«

      »Großartig«, platzte Renzo, der Devisenhändler heraus, der sich ausnahmsweise den Luxus eines Essens gönnte, das nicht aus Plastikbechern stammte. »Der Star verkrümelt sich, und wir armen Schweine dürfen den Kleinkram erledigen.«

      »Wozu ist man Chef?«, grinste Robert. »Ich habe volles Vertrauen in die Kompetenz meiner Mitarbeiter.«

      Die lauten Buhrufe erschreckten die indische Familie am Nebentisch, dass Eltern und Kinder ängstlich von ihrem frittierten Flussbarsch aufschauten. Renzo verzog seinen Mund zu einer säuerlichen Grimasse und klagte:

      »Es gibt schon Spannenderes als Yuan in Dollar zu konvertieren.«

      »Sei doch froh. So geht wenigstens deine Kursabsicherung nicht in die Hose«, gab Robert spitz zurück.

      »Wundert mich schon, wie lange unsere chinesischen Freunde ihren fixen Wechselkurs noch halten können«, murmelte Charlotte, während sie lustlos in ihrem Kartoffelsalat stocherte.

      Renzos Gesicht wurde ernst. »Der Zeitpunkt wird einzig und allein von Peking bestimmt«, sagte er überzeugt. »Die lassen sich von niemandem in die Suppe spucken. Recht haben sie.«

      Robert nickte. »Von mir aus brauchen sie sich nicht zu beeilen. Der fixe Yuan erleichtert unsere Geschäfte mit China ganz erheblich.«

      Eine Weile aßen sie schweigend, bis Charlotte den halbvollen Teller wegschob und gedankenverloren zu ihm sagte: »Schon seltsam, das Timing.«

      »Was meinst du?«

      »Die Katastrophe in der kalifornischen Mine kam genau zum richtigen Zeitpunkt, kurz nach unserem Kauf. Eigenartiger Zufall, oder?«

      »Zufall oder nicht. Goldzahn hatte wieder mal den richtigen Riecher«, lachte der Devisenhändler, was ihm sofort einen strafenden Blick seines Chefs eintrug. Über Kunden sprach man nicht in der Öffentlichkeit, auch nicht mit Pseudonymen. Huan ›Goldzahn‹ Li war leitender Manager der finanzstarken Investmentfirma ›Galaxy Boom Industries‹ in Macao. Den Übernamen hatte er sich durch den leuchtend goldenen Eckzahn verdient, den er stolz zur Schau trug. Robert hatte den potenten Kunden von seinem unglücklichen Vorgänger bei ES&Co geerbt, dessen ›Enduro‹ man bis heute nicht aus den Tiefen des Urnersees geborgen hatte. Die Leiche wurde zwei Monate nach dem Unfall an Land getrieben. Jedenfalls war Goldzahn das Beste, was man einem Banker hinterlassen konnte. Der kleine grauhaarige Chinese – klein waren sie alle – richtete stets mit der ganz großen Kelle an. Die Deals, die er über seine diskrete Schweizer Bank abwickelte, führten seit Jahren regelmäßig zu fetten Provisionen. Und nicht zum ersten Mal heute Morgen hatte sich auch die private, strategische Position gelohnt, die er als Trittbrettfahrer nach dem Muster seines Kunden aufgebaut hatte. Leicht verdientes Geld im Grunde genommen. Das Risiko hielt sich dabei in Grenzen, denn Goldzahn lag bisher immer auf der richtigen Seite. Vielleicht lag es an seinem roten Löwen, der ihn auch auf seinen Reisen in die Schweiz begleitete. Einmal warf Robert einen zufälligen Blick ins Aktenköfferchen des Chinesen, und er hätte schwören können, dass sich nichts als das kleine Plüschtier darin befand.

      »Was der kleine Scheißer wohl als Nächstes im Schilde führt?«, raunte er Charlotte ins Ohr beim Verlassen des Restaurants.

      Sie lächelte spöttisch und gab ebenso leise zurück: »Kannst es wohl nicht erwarten bis er mit seiner zierlichen Mei wieder aufkreuzt.«

      So ganz falsch war die scherzhafte Feststellung nicht. Zierlich und knallhart, dachte er und schaute verträumt der Rauchwolke seiner Zigarette nach.

      Anacostia, Washington DC

      Bob Wilson traute seinen Augen nicht. Bald halb zwei. Seit fast einer Stunde steckte er in dieser Kolonne auf dem Anacostia Freeway und näherte sich bestenfalls im Schritttempo dem Campus des heiß geliebten Department of Homeland Security. Wie konnten sie die neuen Büros in eine derart gottverlassene Gegend bauen, die vor allem durch mannshohe Maschendrahtzäune glänzte? Im Leben wäre er nicht auf die Idee gekommen, hier auch nur durchzufahren. Aber wenn das allmächtige DHS rief, musste auch die fast allmächtige NSA gehorchen. Er griff zum Telefon, um seine Verspätung anzukündigen. Eine Viertelstunde würde er noch brauchen, sofern er den neuen Campus überhaupt fände.

      Es war viertel vor zwei, als er den Saal betrat. »Habe ich etwas verpasst?«, grüsste er den Sitzungsleiter kaltschnäuzig.

      »Eine Viertelstunde.«

      Sie belauerten sich einen Augenblick lang wie zwei verwundete Pitbulls, dann setzte er sich wortlos auf den nächsten leeren Stuhl.

      »Nachdem jetzt alle eingetroffen sind, können wir Punkt zwei in Angriff nehmen«, fuhr der Sitzungsleiter vom DHS trocken weiter. Er schaute demonstrativ auf seine Uhr. »Wir haben noch genau achtzehn Stunden und dreizehn Minuten bis zum nächsten Briefing des Sicherheitsberaters. Wir sollten die Zeit nutzen.«

      Kopfrechnen kann er, dachte Bob verächtlich. Ken Brown, der diese überflüssige Sitzung leitete, war einer seiner zahlreichen Lieblingsfeinde beim DHS, und auch dieses Meeting begann genau so, wie er befürchtet hatte. Er wäre besser zwei Stunden zu spät gekommen.

      Brown forderte seinen Kampfredner Pete Miller auf, die bisherigen Erkenntnisse des Departments zum Fall Mountain Pass zu präsentieren. Obwohl Miller wie ein Maschinengewehr sprach, war er keineswegs schneller fertig, denn er hatte viel zu sagen. Minutiös zählte er die Quellen auf, die er und seine Heerschar von Beamten angezapft, die Informationen, die sie in mühseliger und professioneller Kleinarbeit zusammengetragen hatten, bevor er endlich zum ernüchternden Schluss kam:

      »Um es kurz zusammenzufassen: aufgrund der Facts betrachten wir eine Verbindung zu islamistischen Terrorzellen und al-Qaida zurzeit als eher unwahrscheinlich.«

      Bob zählte innerlich langsam bis drei, um nicht zu explodieren. Was dieser Schnellschwätzer von sich gab, war keine Erkenntnis, sondern eine Vermutung, die ihm selbst schon eingefallen war, als er die erste Meldung von der Bergwerkskatastrophe gelesen hatte. Das Muster des Anschlags passte ganz offensichtlich nicht ins Schema der Standard-Terroristen aus dem Nahen Osten. Das Ziel war zu exotisch. Ein anderes Wort fiel ihm nicht ein. Nicht spektakulär genug für al-Qaida. Mountain Pass versetzte zwar die Regierung in höchste Aufregung, aber weite Teile der amerikanischen Bevölkerung nahmen den Anschlag gar nicht zur Kenntnis. Ein solcher Coup lohnte sich einfach nicht aus Sicht der islamistischen Gangster.

      Er goss sich ein Glas Wasser aus der Flasche vor seinem Sitznachbarn ein, um den schalen Geschmack im Gaumen hinunterzuspülen. Er fühlte sich schlecht. Erst die lange Fahrt im Stau, jetzt der Gestank nach frischer Farbe im stickigen Sitzungszimmer. Und was er hörte, machte die Sache auch nicht besser. Statt die Spezialisten in Ruhe arbeiten zu lassen, organisierten die hohlen Koordinatoren eine Sitzung nach der andern, es war zum kotzen. Dem Kollegen vom ›Büro‹ gegenüber am Tisch ging die Sache ähnlich an die Nieren, wenn er seinen leidenden Gesichtsausdruck richtig interpretierte. Der

Скачать книгу